Selbsthilfegruppe Post Covid: „Ich trete Ärzten jetzt selbstbewusster gegenüber“

Menschen, die an den Folgen einer Corona-Erkrankung leiden, werden von vielen Sorgen gequält. Was bringen Selbsthilfegruppen? Ein Besuch in Berlin-Marzahn.

Romy Lausecker vor der Sekis-Beratungsstelle in Alt-Marzahn, wo sich die Post-Covid-Selbsthilfegruppe trifft.
Romy Lausecker vor der Sekis-Beratungsstelle in Alt-Marzahn, wo sich die Post-Covid-Selbsthilfegruppe trifft.Gerd Engelsmann

Regina Müller* leider unter den Spätfolgen ihrer Corona-Erkrankung. Was sie zusätzlich quält, ist die Sorge um ihren Mann. Die Endfünfzigerin weiß: „Zwei Jahre mit mir als Dauerpatientin verlangen ihm fortwährend viel ab.“ Das macht sie traurig. Und dieses Gefühl teilt sie mit anderen aus der Marzahner Selbsthilfegruppe für Post-Covid-Kranke. Alle, die zu dieser Gruppe gehören, haben zwölf Wochen und länger nach der akuten Infektion noch mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen wie tiefer Erschöpfung und starken Konzentrationsstörungen zu tun.

Zu den Grundregeln in Selbsthilfegruppen gehört, dass nichts, worüber dort gesprochen wird, an Außenstehende weitererzählt werden darf. Ausnahmsweise kann die Presse mit dabei sein; die Mitglieder der Gruppe möchten allerdings nicht erkannt werden. Schließlich befinden sie sich zum Teil in langwierigen juristischen Auseinandersetzungen mit Arbeitgebern, Berufsgenossenschaften, Krankenversicherungen und Rententrägern. Es geht dabei um die bisher fehlende Anerkennung der Erkrankung, um Finanzielles wie Behandlungsrechnungen und deren Folgen sowie um Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

 „Über meine Krankheit mit anderen Betroffenen zu sprechen, tut mir gut. Sie verstehen mich besser als Ärzte und Angehörige“, sagt Regina Müller. Sie sitzt auf einem der lederbezogenen Stühle am langen Tisch. Ganz in ihrer Nähe hört Romy Lausecker, 34, aufmerksam zu, sie nickt verständnisvoll. Sie kennt sich aus, leidet selbst seit zwei Jahren an Post Covid und hat die Gruppe im vergangenen Jahr gegründet – die Berliner Zeitung berichtete darüber.

Acht Selbsthilfegruppen von Long- und Post-Covid-Erkrankten gibt es mittlerweile in Berlin, auch für Eltern von kranken Kindern; weitere sind in Vorbereitung. Johanna Schittkowski von Sekis, der Berliner Selbsthilfe-, Kontakt- und Informationsstelle, berichtet: „Das Thema wächst. Die ersten Gruppen trafen sich vor zwei Jahren aus Sicherheitsgründen nur online, inzwischen nehmen sechs davon die Kontakte persönlich wahr.“

Seit Covid-19 vor drei Jahren in Deutschland erstmals diagnostiziert wurde, sind etwa 37 Millionen Menschen hierzulande daran erkrankt. Nach Schätzungen sind bis zu zehn Prozent davon bis heute nicht vollständig geheilt. Ein Baustein in der Erarbeitung von bisher fehlenden Therapiekonzepten sind die Selbsthilfegruppen mit je zwölf bis 15 Teilnehmenden.

Johanna Schittkowski weiß aus langer Erfahrung, wie hilfreich ganz grundsätzlich der Besuch einer der mehr als 1700 allein in Berlin existierenden Gruppen sein kann. „Zusätzlich zur medizinischen Therapie entlastet ein regelmäßiger Austausch mit Gleichbetroffenen. Er vermittelt das Gefühl, nicht alleine zu sein mit Sorgen und Ängsten. Die Patienten profitieren davon, was die anderen an Erfahrungen mitbringen.“ In einer Selbsthilfegruppe geht es weder um Diagnosen noch um fachliche Begleitung; zentrales Thema ist der Leidensdruck. 

Post Covid: In der Gruppe lässt sich das Schicksal besser ertragen

In der Marzahner Gruppe ermuntern sich die Teilnehmenden vor allem, sich nicht zu viel zuzumuten. Romy Lausecker weiß: „Was früher normal war – arbeiten, Haushalt, soziale Kontakte von frühmorgens bis abends spät –, schafft niemand mehr von uns.“ Das zu akzeptieren, sein Schicksal anzunehmen, ist Schritt eins, um irgendwann wieder mit dem Leben und seinen Anforderungen zurechtzukommen. „Es bleibt schwierig, aber man kann sich umstellen in den Erwartungen und Gewohnheiten“, sagt Romy Lausecker. „Dann lässt sich Post Covid besser ertragen." 

Die vierzigjährige Geschichte von Sekis Berlin ist eine Erfolgsgeschichte. Sekis entwickelte sich aus der West-Berliner Behinderten- und Frauenbewegung: Senat und Krankenkassen unterstützten die Kontaktstelle bald und tun es bis heute. „Zwei Drittel der Gruppen verteilen sich auf Gesundheitsthemen, vor allem chronische Erkrankungen wie Rheuma oder Depressionen. Ein Drittel haben soziale Anliegen wie die verlassener Eltern oder Angehöriger von Alkoholkranken oder Pflegebedürftigen“, sagt Johanna Schittkowski.

Sekis: Gespräche in der Selbsthilfegruppe unterstützen

Nach einer guten Stunde geht das Treffen der Marzahner Gruppe zu Ende; die Erleichterung durch die äußerst offenen Gespräche ist den Teilnehmenden anzusehen. Sie fühlen sich unterstützt „Ich habe durch unser Zusammensein die Stärke entwickelt, Ärzten jetzt selbstbewusster gegenüberzutreten.“

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Gerd Engelsmann
Zur Person
Johanna Schittkowski
von Sekis Berlin (Tel. 030/892 6602) hat einen Masterabschluss in Gesundheitswissenschaften. Ehrenamtlich ist sie auch persönlich seit über zwanzig Jahren  in Selbsthilfegruppen tätig. 

Dann wird zusammengeräumt, es gibt Pläne, vielleicht demnächst Experten einzuladen oder im Sommer einen gemeinsamen Ausflug zu unternehmen. Romy Lausecker und Regina Müller verlassen den Raum und gehen gemeinsam zur Straßenbahn. Zu zweit, nicht allein.

* Name geändert