Wenn Eltern krank werden: In diese Fallen sollte man nicht tappen
Wenn alte Eltern nicht mehr können, führen ihre Kinder oft als Bevollmächtigte die Geschäfte weiter. Doch das kann böse enden, wie ein Berliner Notar berichtet.

An diesen Fall will niemand denken, doch für viele Familien wird er früher oder später zur Realität: Wenn die Eltern alt, krank und womöglich pflegebedürftig werden, muss jemand ihre Geschäfte weiterführen, und sei es nur das Konto. Meist ist noch eine ganze Menge mehr zu regeln. Es gibt dann die Möglichkeit, eine rechtliche Betreuung beim Betreuungsgericht zu bestellen, doch diese kümmert sich ausschließlich um rechtliche Dinge und wird meist von einem Berufsbetreuer ausgeübt. Viele möchten ihre Geschäfte innerhalb der Familie belassen und bitten ihre Kinder darum. Oder die Kinder möchten von sich aus helfen. Dann wird schnell eine Vorsorgevollmacht ausgestellt, das geht auch ganz formlos. Doch diese kann unerwartete Tücken haben, wie der Berliner Anwalt und Notar Daniel Eichenauer erklärt.
Herr Eichenauer, Sie sind Anwalt und Notar in Berlin und kümmern sich unter anderem um Vorsorgevollmachten. Was gibt es da aktuell zu beachten?
Gehen wir davon aus, die Eltern bevollmächtigen ein Kind zu Lebzeiten, ihre Angelegenheiten zu regeln, wenn sie mal nicht mehr können, etwa bei schwerer Krankheit.
Wir sprechen also über rechtliche Betreuung?
Nein, die rechtliche Betreuung kommt nur dann zum Einsatz, wenn keine Vorsorgevollmacht da ist. Der Gesetzgeber wollte, dass möglichst viele Familien eine Vorsorgevollmacht abschließen.
Das heißt, eine Vorsorgevollmacht ist besser als eine rechtliche Betreuung?
Unbedingt. Sonst wird ein Familienfremder eingesetzt, der auch wirklich nur die rechtliche Betreuung macht. Er kümmert sich um nichts anderes, wenn nichts anderes bestimmt wurde.
Das wissen viele nicht.
Und das ist oftmals dann ein großes Problem, denn der Betreuer kennt die Wünsche des Betreuten nicht und kann diese deshalb nicht berücksichtigen. Erst durch die Vollmacht oder Patientenverfügung kann ich ja einem Dritten eine Richtschnur an die Hand geben – und dann setze ich gleich einen mir bekannten Bevollmächtigten ein. Ich kann mich natürlich auch darauf beschränken, einen Betreuer zu wählen und diesem meine Wünsche mitteilen.
Gehen wir also davon aus, die Vorsorgevollmacht wird zwischen einem Elternteil und einem Kind ausgeführt, wie auch vom Gesetzgeber vorgesehen. Was ist nun das Problem?
Mit diesem Auftragsverhältnis entstehen nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Das heißt, dass ich etwa dem Vollmachtgeber gegenüber auskunftspflichtig bin.
Das ist doch erst mal gut und sinnvoll?
Das schon, ich muss aber auch über alles Rechenschaft ablegen können.
Aber nur, wenn der andere es verlangt?
Es ist ein Anspruch, den man geltend machen muss. Das birgt aber auch das Risiko des Missbrauchs. Ein Beispiel: Die Bevollmächtigung hat sieben Jahre lang bestanden. Dann ist der Bevollmächtigte, wenn der Anspruch am Ende geltend gemacht wurde, gar nicht mehr in der Lage, das alles im Einzelnen zu beweisen. Wie soll er denn jemals nachweisen, dass er etwa dem Vollmachtgeber Geld gegeben hat?
Wir sprechen also jetzt über die Zeit nach dem Tod des Elternteils.
Nach dem Tod kann sich etwa eine Erbengemeinschaft bilden. Womöglich verstehen sich die Geschwister untereinander nicht gut, es kommt zum Streit. Und einer von ihnen sagt zum Bevollmächtigten: Du hast uns alle betrogen. So viel Geld haben Mutter oder Vater doch niemals gebraucht während ihrer Krankheit. Leg das doch mal offen. Und dieser Auskunftsanspruch besteht. Das ist ein großes Risiko für den Bevollmächtigten. Denn es geht ja nicht nur um die Auskunftspflicht, sondern auch um die Rechenschaftspflicht. Und diese umfasst auch die Belegvorlage.
Welche Belege?
Alle Belege. Alle Rechnungen, alle Einkaufsbelege. Für alles, was ich während der Bevollmächtigung für den Vollmachtgeber ausgegeben habe.
Das bewahrt doch kein Mensch auf.
Und vor allem lässt es sich niemand abzeichnen.
Von wem denn abzeichnen?
Vom Vollmachtgeber. Alles, was ich von seinem Konto abgehoben und bar jemandem ausgezahlt habe, müsste ich mir eigentlich vom Vollmachtgeber abzeichnen lassen. Wenn ich das nicht mache und es schlecht läuft, muss ich alles zurückzahlen an die Erbengemeinschaft, obwohl ich es an den Vollmachtgeber übergeben habe.
Nur weil ich es nicht nachweisen kann?
Genau. Ich hatte jetzt häufiger diese Konstellation in meiner Kanzlei. Ein Kind war bevollmächtigt, das andere sagte nach dem Tod: Leg mal Rechenschaft ab. Dann sagte der Bevollmächtigte: Das kann ich gar nicht.
Der Vorsorgevollmacht liegt ja ein Rechtsverhältnis zugrunde; das ist entweder ein Auftrag oder ein Gefälligkeitsverhältnis. Bei letzterem gibt es keine Auskunftspflicht. Jetzt sagt der Bundesgerichtshof: Unter Ehepartnern wird man eher von Gefälligkeit ausgehen. Bei Kindern eher nicht. Und das hat gravierende Konsequenzen.
Was kann ich als Kind also tun, wenn ich meinen Eltern helfen will, ohne selbst in diese Schwierigkeiten zu kommen?
Es gibt auch bei der Vorsorgevollmacht die Möglichkeit, den Bevollmächtigten von der Rechenschaftspflicht zu befreien. Das birgt aber auch wieder Risiken. Denn zu Lebzeiten möchte ich die Rechenschaft als Vollmachtgeber vielleicht schon gerne haben. Deshalb gibt es die Möglichkeit, in die Vollmacht aufzunehmen, dass die Auskunfts- und Rechenschaftspflicht nach dem Tode nicht mehr bestehen soll.
Das heißt: Darüber sollte man sich vor Abschluss der Vorsorgevollmacht schon Gedanken machen.
Auf jeden Fall. Es sollte mit allen Beteiligten erörtert werden, was sie möchten und was nicht. Man kann das alles regeln. Zum Beispiel auch die Möglichkeit, dass der Bevollmächtigte eine Vergütung erhält.
Das gibt es auch?
In der Regel ist so ein Auftragsverhältnis unentgeltlich, aber wenn man dafür einen bestimmten Betrag bezahlen will, ist das in Ordnung.
In welcher Höhe denn?
Das kann man frei verhandeln, dafür gibt es keine Tabellen oder keine Vorlagen. Angehörige bekommen meist nichts, da dies auch eventuell versteuert werden müsste.
Das ist im Übrigen die erste Verteidigungslinie in so einem Fall. Dass man sagt: Ich habe ein Auftragsverhältnis. Das zweite hieße: Ich habe den Anspruch schon erfüllt. Ich habe etwa meinem Vater gegenüber die Rechenschaft erfüllt, denn ich habe ihm immer alle Quittungen mitgebracht. Das muss man aber beweisen. Und das wird man in der Regel nicht können. Also scheidet das auch aus. Das ist dann eine problematische Situation. Die Rechtsprechung hilft hier zwar den Bevollmächtigten, denn die Rechenschaftspflicht ist nicht ganz uferlos. Das würde sonst den Zielen des Gesetzgebers zuwiderlaufen. Trotzdem gilt: Sollten gewisse Anhaltspunkte vorliegen, dass ein Missbrauch der Vorsorgevollmacht stattgefunden haben könnte, etwa wenn die Ausgaben plötzlich höher geworden sind, dann hat man schnell ein Verfahren an der Backe.
Kurze Zwischenfrage: Die Kontoauszüge kann wer genau einsehen nach dem Tod?
Nur die Erben. Keine Enterbten etwa, die nur auf den Pflichtteil gesetzt sind. Auf den Kontoauszügen kann ich etwa Barabhebungen sehen, aber nicht, was mit dem Geld passiert ist. Wenn der Erblasser zum Beispiel bettlägerig war, kommt schnell die Frage auf: Wozu brauchte der Bargeld? Aber die Ausgaben können sich ja ändern, wenn man pflegebedürftig wird und sich die Lebensgewohnheiten ändern. Da kann es viele Unsicherheiten geben, in die man als Bevollmächtigter nicht unbedingt reinlaufen sollte. Ich hatte jetzt mehrere Fälle, bei denen die Bevollmächtigten gesagt haben: Hätten wir das vorher gewusst, hätten wir das nie im Leben gemacht. Damit ist das gesetzgeberische Ziel, die Vertretung in der Familie zu belassen und die Berufsbetreuer außen vor zu lassen, komplett konterkariert.
Durch diese Regelung der Rechenschaftspflicht und die daraus folgenden Zahlungspflichten?
Genau. Der Gesetzgeber und die Rechtsprechung müssen das natürlich ausbalancieren. Auf der einen Seite sollte die Vorsorgevollmacht natürlich nicht Tür und Tor für Missbrauch öffnen. Damit hilfsbedürftige Menschen nicht ausgebeutet werden. Auf der anderen Seite darf sie auch nicht dazu führen, dass man diejenigen, die sich zur Hilfe bereit erklären, auf einmal völlig drangsaliert. Im besten Fall sind dafür Vorkehrungen zu treffen in der Vorsorgevollmacht. Und: Den Bevollmächtigten sollte von vornherein klar sein, dass sie unter Umständen haftbar gemacht werden können für das, was sie dort tun. Dann kann man da gegensteuern. Indem man etwa plant: Ich hole für Mutter jeden Monat 1000 Euro ab, bezahle davon alles, was sie braucht, lasse es mir von ihr aber gegenzeichnen.
Was, wenn sie nicht mehr gegenzeichnen kann?
Wenn es vorher schon diese Regelmäßigkeit in der Abbuchung gab, wird das weniger schwierig sein. Sonst wird es eng. Dann könnte man noch mit Zeugen arbeiten, aber das ist eher unrealistisch.
Das bedeutet: Wenn meine Mutter etwa einen Schlaganfall hatte, was ja keine seltene Erkrankung ist, und ihre rechte Hand nicht mehr bewegen, also nicht mehr unterschreiben kann, dann könnte ich später ein Problem damit bekommen als Bevollmächtigter?
Ja, damit kann ich ein Problem bekommen.
Wie wäre das lösbar?
Das ist so gut wie nicht lösbar, wenn man keine Zeugen hat und sie etwa nicht mit links unterschreiben kann.
Das heißt: Ich habe generell ein Problem, wenn ich die Vorsorgevollmacht für jemanden übernehme, der das nicht mehr bezeugen kann?
Dann geht es nur noch über den Zeugenbeweis. Die Leute, die das Geld bekommen haben, müssen den Empfang quittieren. Zum Beispiel Pflegepersonal oder Lieferanten.
Es muss also einfach alles beweisbar sein, was man im Sinne des Pflegebedürftigen ausgegeben hat.
Ja. Schwierig wird es natürlich, wenn das auch wieder Familienangehörige sind, die Geld für solche Leistungen bekommen haben. Dann kann es schnell heißen: Die stecken unter einer Decke.
Wenn ich mir das überlege: Mein Vater hatte einen Schlaganfall, oder meine Mutter. Er oder sie kann nichts mehr attestieren. Ich übernehme die Vorsorgevollmacht und gehe damit zum Notar. Was genau kann man dann niederlegen?
Es kommt darauf an. Wenn Ihr Elternteil beispielsweise noch geschäftsfähig ist und das notariell aufgesetzt wird, würden wir darüber sprechen, ob derjenige für die Zeit nach dem Tod den Bevollmächtigten von der Rechenschaftspflicht befreit. Das wäre die Sache der Wahl. Zum anderen würden wir Sie darauf hinweisen, dass es dort ein Problem geben kann und dass Sie Vorsorge dafür treffen sollten, nicht in solche Fallen zu tappen, sich also alles abzeichnen zu lassen, nicht nur von Ihrem Elternteil, sondern bei allen anderen Leuten, die Sie bezahlt haben. Sofern das möglich ist.
Das klingt ziemlich kompliziert, wenn ich nur helfen will. Dass man sich noch überall absichern soll, kann man in der Regel nicht gebrauchen. Vor allem wenn man als Angehöriger womöglich auch noch die Pflege übernimmt oder selbst berufstätig ist oder eine eigene Familie hat oder auch alles gleichzeitig. Kann ich dieses Problem irgendwie umgehen? Etwa indem ich die gesetzliche Betreuung übernehme?
Als Betreuer bin ich ebenfalls rechenschaftspflichtig, dann aber dem Betreuungsgericht gegenüber. Und das verlangt in jedem Fall eine detaillierte Ein- und Ausgabenrechnung und den Rechenschaftsbericht.
Aber nur einmal im Jahr.
Und da ist der Vorteil: Man weiß das vorher. Das große Problem ist ja meist nicht die Rechenschaftspflicht, sondern dass man bei der Vorsorgevollmacht nicht vorher davon weiß. Und dass man alle Beweise, die man womöglich hatte, selber vernichtet hat. Weil man ihnen keine Bedeutung zugemessen hat. Wenn ich gesetzlicher Betreuer bin, dann weiß ich, dass ich in der Beweislast bin. Wichtig ist, auch für die Vorsorgebevollmächtigten ein Bewusstsein zu wecken: Vorsicht, hier ist unter Umständen ein Haftungsfall! Dazu sollte man sich überlegen: Wie sind die Miterben gestrickt? Wenn es keine Miterben gibt, ist es eh egal.
Besteht nicht die Gefahr, dass sich noch weniger Leute kümmern, wenn man darüber aufklärt?
Das kann man so sehen. Man könnte aber auch meinen, dass diejenigen, die sich dann von dem Vorhaben verabschieden, diejenigen sind, die eh nichts Gutes im Schilde führten.
Oder einfach keine Zeit haben für diesen Aufwand.
Das kann natürlich auch sein.