Was bedeutet die Sommerwelle und helfen neue Impfstoffe?
Lauterbach mahnt erneut zu Maske und Impfung, Infektionszahlen steigen, doch Auswirkungen in Berlin sind überschaubar. Was wurde aus den angepassten Vakzinen?

Ist die Sommerwelle schon da und wie können wir uns vor der Herbstwelle schützen? Nachdem Corona mit dem Siegeszug von Omikron und dem Krieg in der Ukraine mehrere Monate aus dem Bewusstsein vieler Deutscher fast schon verschwunden zu sein schien, erinnern der Gesundheitsminister und viele Medien aktuell wieder verstärkt daran, sich Gedanken um die Pandemie zu machen.
Dabei hat eine Nachfrage der Berliner Zeitung beim Sprecher der Hausärzte Wolfgang Kreischer ergeben, dass zumindest in der Hauptstadt von einem verstärkten Infektionsgeschehen derzeit noch nichts zu spüren ist. Ein Blick auf das Dashboard des Robert-Koch-Instituts (RKI) zeigt außerdem, dass das RKI für Berlin und die östlichen Bundesländer vergleichsweise niedrige Inzidenzwerte erfasst und deutschlandweit seit einer Woche die Ansteckungen nach einer Talfahrt im Mai wieder leicht steigen bei aktuell sinkender Todesrate. Die Krankenhausrate in der Hauptstadt lag zuletzt bei 4,7, was bedeutet: Weniger als fünf Berliner Klinik-Patienten auf 100.000 Einwohner wurden aktuell positiv auf Corona getestet. Der Anteil Covid-19-Erkrankter auf deutschen Intensivstationen liegt bei drei Prozent. Klingt alles nicht alarmierend.
Trotzdem lud Karl Lauterbach (SPD) für diesen Freitag zur Pressekonferenz mit dem RKI, um über das aktuelle Infektionsgeschehen zu informieren und Maßnahmen in Bezug auf den Herbst vorzustellen. Vorab hatte er bereits angekündigt, er rate aktuell wieder zum verstärkten Masketragen. Der grüne Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen hat am Donnerstag den zweiten Booster für unter 70-Jährige gefordert. Zusammen mit dem Vize-Chef des Robert-Koch Institus, Lars Schaade, empfahl Lauterbach auf der Bundespressekonferenz nun erneut die vierte Impfung je nach individueller Lage für Unter-70-Jährige, sagte aber auch: Für den Herbst sei kein neuer Anlauf für eine Impfpflicht vorgesehen.
Impfkampagne ins Stocken geraten
Aber wie sieht es überhaupt mit angepassten Impfstoffen aus? Oder sollen im Herbst die noch am Wildtyp entwickelten Impfstoffe weiter verimpft werden, obwohl Lauterbach stets vor der Mutation des Virus mit immer neuen Varianten warnt, gar bis zum „Killervirus“? Zu diesem Thema hat das Science Media Center aktuell Experten befragt.
Anlass waren eine Pressekonferenz von Moderna und eine Studie des US-Pharma-Konzerns zu ersten Ergebnissen seines bivalenten Omikron-Impfstoffs mRNA-1273.214. Bivalent bedeutet, dass sowohl Spike-Proteine des Wildtyps als auch solche der mittlerweile zahlreichen Varianten enthalten sind. Moderna legt damit Daten für einen angepassten Omikron-Impfstoff gegen BA.1 vor. Dieser soll mehr neutralisierende Antikörper als die aktuellen Vakzine generieren, wie der Konzern vergangene Woche mitteilte. Ähnliche Daten von Biontech werden zeitnah erwartet.
Doch kommen diese angepassten Impfstoffe für B.A1 nicht auch schon wieder zu spät? Aktuell ist in Deutschland B.A2 die dominante Variante, sie wird in wenigen Wochen wohl durch B.A5 abgelöst werden, wenn man den Daten Glauben schenken darf. Wird nun ein ständiges Impf-Update notwendig sein, dem die Hersteller hinterherrennen (müssen)?
Einschränkend hat Moderna bereits mitgeteilt, es sei noch unsicher, ob der angepasste Impfstoff einen dauerhafteren Immunschutz gegen Infektion biete als der bisherige. Es wurden auch keine Daten darüber veröffentlicht, wie der aktualisierte Impfstoff gegen die Virusvarianten BA.4 oder BA.5 wirkt.
Keine Anzeichen zur Veränderung der Krankheitsschwere
Diese jüngsten Subvarianten von Sars-CoV-2 verbreiten sich etwas leichter als die vorherigen und scheinen den Immunschutz vor allem bei ungeimpften Genesenen in Teilen zu umgehen. Bisher gibt es aber keine Anzeichen für eine Veränderung der Krankheitsschwere im Vergleich zu früheren Omikron-Linien. Was ist also das Ziel der modifizierten Impfstoffe? Hinkt die Entwicklung der Vakzine hier hinterher? Und welche Impfstoffversion sollte mit Blick auf den Herbst bei wem als Booster genutzt werden?
Dazu äußert sich der wissenschaftliche Direktor des Deutschen Rheumazentrums in Berlin, Andreas Radbruch: „Der eigentliche Punkt ist, wenn es um den Schutz vor Infektion geht, dass der davon abhängt, ob auf den Atemwegen neutralisierende Antikörper sind, und das sind vorwiegend IgA-Antikörper. Diese Antikörper verhindern das Andocken des Virus an seine Wirtszellen zu Beginn der Infektion.“ Der Professor ergänzt: „Sie müssen dazu aus dem Blut erstmal durch das Epithel nach außen transportiert werden, durch den Poly-Ig-Rezeptor – im Nasen-Rachen-Raum auch durch den neonatalen Ig-Rezeptor. Dieser Transport findet offenbar bei den mRNA-Impfstoffen auch statt, er ist nur nicht sehr ausgeprägt, und hört schnell wieder auf.“
„Recht unbeeindruckt von den Mutationen der Varianten“
Da der neue Impfstoff also prinzipiell gleich arbeite wie der alte, sei hier keine Verbesserung zu erwarten. Der Schutz vor Infektion werde ähnlich gering und kurzfristig sein. „Der Schutz vor schwerer Erkrankung ist dagegen abhängig von allen Antikörpern gegen die kodierten Antigene, nicht nur von den neutralisierenden, sondern auch von den zytotoxischen Immunzellen, die vom Virus befallene Zellen abtöten. Diese Zellen erkennen kleine Bruchstücke der Antigene, sind deshalb schon von vornherein recht unbeeindruckt von den Mutationen der Varianten.“ Mit anderen Worten: „Der Schutz vor schwerer Erkrankung wird weiterhin sehr gut sein, ob er bei dem binären Impfstoff besser sein wird, wird die Zeit zeigen, es wäre aber nicht überraschend, wenn er auch nicht besser wäre.“
Bester Schutz durch Impfung plus Infektion
Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, sagt: „Verglichen mit den neutralisierenden Antikörpern gegenüber dem Ursprungsvirus haben Personen nach der vierten Impfung immer noch weniger neutralisierende Antikörper gegen Omikron. Daher wird durch die vierte Impfung mit dem angepassten Impfstoff zwar der Schutz vor der Infektion mit Omikron verbessert, er wird aber immer noch nicht so gut sein wie der Schutz gegenüber einer Infektion mit den früheren Varianten.“ Geimpfte Personen mit einer Durchbruchsinfektion, die die vierte Impfung mit dem an Omikron angepassten Impfstoff erhalten haben, würden jedoch sehr hohe neutralisierende Antikörper gegen Omikron zeigen und seien daher auch wahrscheinlich sehr gut vor der Infektion und der Weitergabe des Virus geschützt. „Daraus kann man ableiten“, so Watzl, „dass gerade die Kombination aus Impfung und Infektion (hybride Immunität genannt) langfristig den besten Schutz geben wird.“
Bei immun-gesunden Personen unter 60 sehe ich aktuell keine Veranlassung zu einer vierten Impfung.
Auf die Frage nach dem zu empfehlenden Booster zur Vorbeugung einer Infektionswelle im Herbst sagt Watzl: „Bei immun-gesunden Personen unter 60 sehe ich aktuell keine Veranlassung zu einer vierten Impfung. Diese Personen haben immer noch einen sehr guten Schutz vor der schweren Erkrankung, werden aber früher oder später eine Durchbruchsinfektion haben. Diese führt dann zu der sogenannten hybriden Immunität, die diese Personen wieder sehr gut vor Ansteckung und Erkrankung schützt.“
Auffrischung im Herbst nur für Immungeschwächte und Alte sinnvoll
Auf diese Weise würden die meisten Menschen ihre Immunität alle paar Jahre auffrischen. Immungeschwächte und Alte könnten aber immer noch ein relativ hohes Risiko für eine schwere Erkrankung haben. „Daher sollten diese ihre Immunität im Herbst mit einem angepassten Impfstoff so verbessern, dass sie ohne Infektion oder zumindest ohne schwere Erkrankung durch den Winter kommen.“
Auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines Impfstoffs, der auf bereits überholte Virusvarianten wie bald BA.1 abzielt, antwortet Watzl: „Natürlich ist das Virus mal wieder schneller als die Impfstoffentwicklung. Aber der Unterschied zwischen BA.1 und BA.5 ist deutlich kleiner als der Unterschied zwischen dem Originalimpfstoff und BA.5. Daher macht auch ein an BA.1 angepasster Impfstoff noch viel Sinn. Er stimuliert gerade die Immunzellen, die sowohl die Ursprungsvarianten als auch Omikron erkennen können. Daher wird durch angepasste Impfstoffe die Immunität Varianten-unabhängiger und kann auch vor zukünftigen Varianten einen Schutz bieten.“
„Impfstoffentwicklung wird immer hinterherhinken“
Es sei grundsätzlich von Vorteil, wenn der Impfstoff dem zirkulierenden Virus möglichst gut entspreche, sagt der Abteilungsleiter für Impfstoffe am Fraunhofer-Institut für Immunologie in Leipzig, Sebastian Ulbert. „Die Technologie der mRNA-Impfstoffe ermöglicht die Anpassung an neue Virusvarianten, und daher sollte man das auch einsetzen, wenn es vom Aufwand her akzeptabel ist. Angesichts der vorläufigen Daten würde ich aber nicht erwarten, dass es mit diesem angepassten Booster zu einer wirklichen Kehrtwende in der Kontrolle der Pandemie kommt“, so Ulbert.
Denn: „Wenn ein Virus wie Sars-CoV-2 pandemisch zirkuliert, wird man bei der Impfstoffentwicklung immer hinterherhinken.“ Wichtig sei, dass man die relevanten Virusvarianten kenne und die Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe konstant überprüfe. „Die Erfahrungen mit den bisherigen Impfstoffen gegen das Virus zeigen, dass der Schutz vor schwerer Erkrankung sehr robust gegenüber den Virusvarianten ist.“
„Wir werden wohl nie den perfekt angepassten Impfstoff haben“
Christine Dahlke von der Sektion Infektiologie am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) erinnert daran, dass zu den neuen Impfstoffen noch zu wenig Daten vorliegen, um sie beurteilen zu können.
„Einige Ergebnisse deuten darauf hin, dass Impfstoffe mit zwei verschiedenen Spike-Proteinen vor mehr Varianten gut schützen können als ein monovalenter Impfstoff“, so Dahlke. Bivalente Impfstoffe könnten generell wichtig sein, um eine breitere Immunantwort hervorzurufen. Eine Bewertung des neuen Impfstoffes sei aber vorab noch nicht möglich.
Auch die Frage nach einem jetzt zu empfehlenden Booster für den Herbst hält die Wissenschaftlerin für zu verfrüht – weil es schwierig sei, „das Infektionsgeschehen, die Übertragbarkeit der Varianten, die Virulenz oder Immunogenität der Varianten und die Verfügbarkeit von neuen Impfstoffen für den Herbst zu beurteilen“. Die Entwicklung der neuen Varianten und des Infektionsgeschehens könne man schlicht nicht vorhersehen.
Besserer Schutz vor Ansteckung bei Risikopatienten zentral
Deshalb müssten der Zeitpunkt einer Auffrischungsimpfung, die Dosis sowie die Verwendung angepasster Impfstoffe „leider noch geklärt werden“. Dahlke fragt: „Können zum Beispiel auch Impfstoffe, die oral oder inhalativ verabreicht werden, einen guten Schutz für den Herbst liefern? Können Impfstoffe, die gegen das Nukleoprotein gerichtet sind, gute T-Zell-Antworten gegen verschiedene Varianten hervorrufen? Und brauchen wir eventuell spezielle Impfstoffe für bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie ältere Menschen, Risikopatienten und Menschen, die enge Kontakte mit Risikopatienten haben? Und sind hier Vakzine, die hohe und langanhaltende T-Zell-Antworten induzieren, ein wichtiges Tool? Zurzeit würde ich noch keine Empfehlungen aussprechen.“ Allerdings sollten Impfstoffentwickler weitere Studien durchführen, um Daten von neuen oder angepassten Impfstoffen zu generieren und Erkenntnisse über Boost-Intervalle, optimale Dosis, und eventuell auch zur Impfstoffroute zu gewinnen, um für den Herbst Empfehlungen basierend auf Daten aussprechen zu können.
So zeigten etwa Daten aus Israel zur vierten Impfung, dass der Nutzen einer vierten Dosis bei Personen, die aufgrund einer kürzlich erfolgten Infektion oder Impfung bereits eine starke Immunantwort aufweisen, sehr viel geringer sei.
„Wir werden wahrscheinlich nie den perfekt angepassten Impfstoff haben“, sagt Dahlke. Eine zentrale Frage sei aber, wie man einen besseren Schutz vor Infektion bei Risikopatienten hervorrufen könne. „Sind hier Impfstoffe, die eine hohe mukosale Immunität (etwa durch die Nasenschleimhaut; Anm. d.Red.) hervorrufen, geeigneter? Benötigen wir Mix-Match-Kombinationen, um eine höhere und langanhaltendere Immunantwort zu induzieren? Oder sind bivalente Impfstoffe für die Risikopatienten geeignet?“ All dies müsse erst noch geklärt werden, bevor man von einer ausreichenden Vorbereitung auf den Herbst sprechen könne.