Werde ich besonders intelligent, wenn ich oft Selbstgespräche führe?

Schon mal etwas von mnemonischer Autokommunikation gehört? Damit haben mehr Menschen zu tun, als man denkt. Unser Autor kann mit dieser Diagnose gut leben.

Gut hingehört beim Selbstgespräch
Gut hingehört beim Selbstgesprächdpa/Söder

Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt – mnemonische Autokommunikation. Und das kam so: Ich begann gerade mit der Therapie gegen meine hypofunktionelle Dysphonie, die ich mir ja selbst verordnet hatte. Die Therapie, nicht die hypofunktionelle Dysphonie. Obwohl es Kollegen gibt, die behaupten, ich spräche derart dysphonisch leise, dass das nur Absicht sein könne. Sie meinen, ich wolle meine Mitmenschen zum Zuhören zwingen oder ärgern oder das eine tun, um das andere zu erreichen.

Das ist natürlich Blödsinn. Ich ärgere grundsätzlich niemanden. Deswegen heile ich mich auch in häuslicher Isolation nach einer Anleitung aus dem Internet und nicht in der U-Bahn, wie ursprünglich geplant. Zwar würde mir das Singen, Johlen, Jaulen und Fratzenschneiden sicher die erhoffte Beinfreiheit verschaffen, allerdings fahre ich nicht mit Bus oder Bahn wegen des Neun-Euro-Corona-Infektionsrisiko-Vervielfachungs-Tickets, aber das gehört jetzt nicht hierher.

Einen Teil der Therapie setze ich dann doch in der Öffentlichkeit um: Ich rede. Mit mir selbst. Aus Gewohnheit. Jetzt erst fiel mir auf, was ich mir so alles erzähle. „Ich muss dann nur noch …“ – „Was ist denn das nun schon wieder?“ – „Ah ja, so ist es gut.“ Ich bin mir zum Glück meist mit mir einig, Streit gibt es praktisch nie. Fehlt nicht mehr viel und ich biete mir das Du an.

Zu Studienzwecken habe ich auf all die anderen geschaut, die um mich herum monologisieren. Vor allem die, die selbst bei größtem Straßenlärm kaum zu überhören sind. Der Typ etwa, der mich neulich auf dem Gehsteig überholte und mit dem Timbre eines Berufstrinkers irgendetwas deklamierte wie: „Seht ihr alle bescheuert aus, das glaub’ ich einfach nicht!“

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Berliner Zeitung/Paulus Ponizak
Hypochonder-Glosse
Christian Schwager ist Redakteur für Gesundheit und schreibt alle zwei Wochen an dieser Stelle über seine eingebildeten Krankheiten.

Ich fühlte mich schlagartig krank. Mir fehlte nur noch der richtige Fachbegriff und das dazugehörige Fachportal. Das war rasch gefunden, aus der Krankheit wurde allerdings nichts. Ich erfuhr, dass 96 Prozent der Menschheit zu Selbstgesprächen neigen. Ich las, dass es an der Persönlichkeit und der Lebensgeschichte liegt, welchen Umgangston jemand mit sich pflegt. Dabei stellte sich heraus, dass ich sehr gewissenhaft bin. Das überraschte mich bei all dem Chaos, das ich zum Beispiel auf meinem Schreibtisch anzurichten imstande bin.

Als haltlos erwies sich der Anfangsverdacht, dass ich verblöde. Aus reiner Routine durchforstete ich nämlich medizinisch einschlägig vorbelastete Frauenzeitschriften. Ich fand unter der Titelzeile „Drei Zeichen, dass Sie intelligenter sind, als Sie denken“ die Information, dass ich mich besser beherrschen und konzentrieren kann, wenn ich oft mit mir quatsche. Das wiederum deutet auf erlesene Klugheit hin. Ehrlich, das stand da. So ungefähr.

Selbstgespräche machen Profisportler intelligenter

Stutzig machte mich der Hinweis, dass deswegen Profisportler gern mit sich selbst reden. Ich wusste gar nicht, dass Profisportler in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeiten intelligenter werden. Aber das ist ja schön, und es könnte nicht schaden, wenn sich bei mir ein ähnlicher Effekt einstellte.

Daher bin ich auch sehr zufrieden mit der Diagnose, zu der ich abschließend gelangte. Eine Kurzrezension bei books.google.de reichte dafür vollkommen aus. Ich führe Selbstgespräche, um mein Gedächtnis zu trainieren.

Schöner klingt es natürlich, wenn ich sage: Ich betreibe mnemonische Autokommunikation. Das entgegne ich künftig allen, die mich auffordern, lauter zu sprechen.