Wissenschaftler bemängeln Berechnungsfehler bei Heinsberg-Studie

Nach Recherchen des SWR basiert die Heinsberg-Studie zur Dunkelziffer der Corona-Infektionen auf einer falschen Berechnung. Wichtige Faktoren wurden wohl nicht berücksichtigt.

Berlin-An der sogenannten Heinsberg-Studie sind erneut Zweifel aufgetaucht.

An der Aussagekraft der Heinsberg-Studie tauchten schon in der Vergangenheit Zweifel auf.
An der Aussagekraft der Heinsberg-Studie tauchten schon in der Vergangenheit Zweifel auf.Foto: Imago Images

Es klang nach einem wichtigen weiteren Schritt bei der Erfassung der Infiziertenzahlen: Wissenschaftler der Universität Bonn um den Virologen Hendrick Streek hatten am Montag Forschungsergebnisse mitgeteilt, deren zufolge man die Sterblichkeitsrate des Coronavirus ziemlich genau berechnen könne. Diese wiederum ließe auch eine konkretere Schätzung der Dunkelziffer der tatsächlich Infizierten zu, die in Deutschland bei 1,8 Millionen liegen könnte.

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Nach Recherchen des SWR ist diese angeblich präzise Rechnung aber nicht haltbar. Mehrere Wissenschaftler hätten die fehlerhafte Hochrechnung bestätigt, die auf Grundlage der Infizierten- und Todeszahlen des Ortes Gangelt an der niederländischen Grenze erfolgte. Demnach müsse man als Ergebnis der Schätzung eine deutlich weitere Spanne für die Dunkelziffer angeben.

Die Bonner Wissenschaftler hatten für ihre Schätzung die Dunkelziffer der Infizierten in der untersuchten Gemeinde und die dort errechnete Sterblichkeitsrate bei einer Corona-Infektion herangezogen. Dabei ging man davon aus, dass in Gangelt 0,37 Prozent der Infizierten gestorben sind. Allerdings flossen in die Berechnung der Sterblichkeitsrate nur sieben Todesfälle ein.

Aus diesen Daten errechneten die Forscher eine theoretische Zahl für Deutschland: Wenn bekannt ist, wie viele Infizierte auf einen Toten kommen, kann man von der Zahl der Verstorbenen, die das Robert-Koch-Institut (RKI) inzwischen mit mehr als 7100 angibt, auf die Zahl der tatsächlich Infizierten - auch der nicht Erfassten - schließen.

Nach Angaben des SWR hat die Berechnung der Infektionssterblichkeit aber zwei Unsicherheitsfaktoren, die berücksichtigt werden müssten: die Zahl der Infizierten und die Zahl der Verstorbenen. Der Tübinger Statistikprofessor Philipp Berens sagte dem SWR: „Man hat einmal die Unsicherheit, die daher kommt, dass man die Infektionsrate nicht kennt, man hat aber zusätzlich die Unsicherheit, dass man den Anteil der tatsächlich Sterbenden unter den Kranken auch abschätzen muss.“

Der SWR meldet, dass das RKI bereits seit mehreren Wochen auf Studien verweist, die zu sehr unterschiedlichen Erkenntnissen bei der Dunkelziffer kommen. Demnach könne diese beim elf- bis 20-Fachen liegen. Wenn die Heinsberg-Studie ebenfalls nur eine ähnlich breite Spannweite ergibt, liefert sie für die Präzisierung der Dunkelziffer in Deutschland kaum neue Erkenntnisse.

Streeck hatte schon bei der Vorstellung der Studie eingeräumt, dass es sich um eine Schätzung handele. Andere Wissenschaftler hatten sich bereits am Montag zurückhaltend geäußert. So warnte Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig, davor, die Zahlen aus Gangelt auf ganz Deutschland zu übertragen.