Glamour gegen den Glamour: Sofia Coppola und François Ozon verbreiten bei den Filmfestspielen Venedig geistreiches Entzücken: Die Monotonie des Jet Set
Es ist der alte Alptraum: Man betritt in letzter Minute ein vollbesetztes Kino von der Leinwandseite und es buht aus hundert Kehlen. Gottseidank richtet sich der Volkszorn dann doch nicht gegen den Kritiker sondern das Verleiherlogo von Sophia Coppolas neuem Film "Somewhere": Medusa-Film.Dieser Name ist hier in der linken Filmwelt ein Synonym für das Imperium des Silvio Berlusconi. Doch wer hätte gedacht, dass es der Regisseurin etwas später in ihrer nachdenklichen Komödie sogar gelingen würde, selbst ins Spottlied auf den Medienzaren einzufallen? Eine zentrale Szene führt ihren Protagonisten, den von einer Lebenskrise heimgesuchten Filmstar Johnny Marco (Stephen Dorff), nach Italien, geradewegs in eine typische Gala des Berlusconi-Fernsehens. Man überreicht ihm einen "Telegatto", Italiens Antwort auf den deutschen "Bambi". Doch bevor er seine Dankesrede ausfuhren kann, umtanzt ihn schon ein leichtgeschürztes Blondinen-Ballett. Das Kino tobte vor Vergnügen.Wie in ihrer seinerzeit ebenfalls auf diesem Festival aus der Taufe gehobenen romantischen Satire "Lost in Translation" legt Coppola mit der Unbefangenheit der Außenstehenden einmal mehr den Finger auf die täglichen Absurditäten des Kommerzfernsehens. Die Regisseurin, der man selbst einmal unter ähnlichen Umständen die katzenförmige Statuette in die Hand drückte, ist eine Kosmopolitin der Jet-Set-Monotonie. Mit Kennerblick verzeichnet sie die minimalen nationalen Unterschiede in den Ritualen der Repräsentation. Was in früheren Jahrhunderten die höfischen Feste waren, denen sie sich ausschweifend widmete in "Marie Antoinette", sind heute die stets aufs neue gefeierten Events des Glamour. Zunächst aber sind es die Auswüchse der amerikanischen Folklore, die für die Luxus-Langeweile eines Mannes stehen, den die Midlife-Krise schon in seinen späten Dreißigern fest im Griff hat.Auch wenn "Somewhere" über weite Strecken wie ein zweites "Lost in Translation" wirkt, ist er doch um einiges bitterer und zugleich kunstvoller. Mutig weitet Coppola ihr entlarvendes Society-Gemälde über die Celebrity-Kaste von Los Angeles auch auf die eigene Generation aus. Und man kann das Bild leicht noch weiter denken: Welche Rituale der Selbstbestätigung mögen wohl einer Paris Hilton ein erfülltes Dasein vorspiegeln? Einmal offenbart sich der deprimierte Johnny Marco einer Freundin, deren Lebenshilfe recht einfältig ausfällt: "Wie wäre es vielleicht mit einem Ehrenamt?" Doch Coppola macht es sich nicht so einfach, die Reichen und Berühmten allein für ihre Dekadenz verantwortlich zu machen. Erst das Publikum der stumpfen Fernsehgalas und Red-Carpet-Shows macht das Bild komplett.Der Belgier Nicolas Prevost hat allein aus der Paparazzi-Perspektive einen Gangsterfilm mit großen Stars gedreht, dafür reichte ihm ein Ausflug nach Las Vegas. Der zwanzigminütige Beitrag "Stardust" gehört zu den zahlreichen Kunstfilmen, mit denen der zweite Wettbewerb am Lido, die Sektion Orizzonti, neuerdings aufwartet. In ruhigen Kameraperspektiven lässt er die Spielerstadt erst einmal ihren bekannten mysteriösen Sog entfalten. Dann platziert er Beobachtungen von Stammgästen wie Jack Nicholson oder Dennis Hopper, der hier in seiner wohl letzten Filmrolle zu sehen ist. Ob er es wohl ahnte?Prevost scheut sich nicht, den Stars Dialoge aus Gangsterfilmen in den Mund zu legen. Er verdichtet alltägliche Momente einer unwirklichen Welt zur Essenz. Tatsächlich nimmt man seinen kleinen Film gern für großes Kino. Da haben es große Regisseure manchmal schwerer, die erwarteten Illusionsräume zu erschaffen. Zwei Altmeister des Hongkong-Kinos kehrten zurück ins Paradefach des Martial-Arts-Kinos. Doch während sich John Woo mit "Jianyu - Reign of Assassins" auch innerhalb der gänzlich anderen Produktionsbedingungen heutiger chinesischer Großproduktionen behaupten konnte und die alte Poesie wachrief, machte Tsui Hark eine klägliche Figur. Sein Wettbewerbsbeitrag "Detective Dee and the Mystery of Phantom Flame" ist ein aufgeblasenes Monument.Sollte man auch dieses Genre ganz den Medienkünstlern überlassen? Der Brite Isaac Julian hat bereits zugeschlagen. Für seinen Film "Better Life" holte er Hongkongs Weltstar Maggie Cheung aus dem vorzeitigen Ruhestand und ließ die Diva als Geist aus dem 15. Jahrhundert durch eine modernes asiatisches Metropolis schweifen. Doch so sehr man sich hier über den raren Gast freut, so sehr enttäuscht Julians selbstverliebtes Schaustück.Der Franzose François Ozon hat einige Erfahrung darin, durch geschickt besetzte Altstars die Nostalgie nach dem Kino besserer Tage zu wecken. Sein neuer Film "Potiche" ist ganz der großen Catherine Deneuve gewidmet, die in einer Parodie auf die sozialen Komödien der Siebziger Jahre eine frustrierte Unternehmergattin spielt. Mit sanfter Hand und damenhaftem Charme gelingt ihr die feindliche Übernahme des Familienbetriebs. Deneuve dominiert den Film genauso unangefochten wie sie das Unternehmen leitet - und vertritt dabei einen so volkstümlichen Feminismus, als hätte sich Mary Poppins mit den Suffragetten verbündet. Zurecht feiert man sie am Lido für ihre geballte Einzigartigkeit.------------------------------Foto: Von der totalen Lebenskrise in eine Berlusconi-Gala: "Somewhere"-Darsteller Stephen Dorff (als Johnny Marco).