Große Klappe für den Kiez

"Das ist ja schön, daß Sie sich in meine Boheme-Wohnung trauen!" begrüßt Klara Franke ihre Besucher. Die "Boheme-Wohnung" liegt im Erdgeschoß eines Mietshauses in der Lehrter Straße und ist gar nicht so furchterregend, wie die alte Dame glauben macht. Ein antikes Büfett, eine alte Standuhr, etwas abgeschabte rote Sessel in der guten Stube. Auf dem Sofa sitzt Klara Franke, die das Wochenende mit den Vorbereitungen für ihre Geburtstagsfeier verbringt. Heute wird sie 84 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch!Gefeiert wird in der gegenüberliegenden "Kulturfabrik". Klara Franke geht hier ein und aus, denn: "Hier treffe ich meine Studenten." Für deren Lebensqualität setzt sie sich unermüdlich ein, ebenso wie für die der anderen Kiezbewohner. Klara Franke machte von sich reden, als sie 1981 gegen den Abriß ihrer Häuserzeile protestierte. Jeden Senator schrieb sie damals einzeln an, nahm eine Handvoll Studenten ins Schlepptau und gab die Briefe persönlich im Schöneberger Rathaus ab. "Aber daß der Abriß verhindert wurde, lag wohl doch mehr an einem Gutachten von S.T.E.R.N. als an mir", sieht sie es heute. So klein kann ihr Anteil aber nicht gewesen sein. Und als vier Jahre später das Krankenhaus Moabit in ein "Nobel-Seniorenheim" umgewandelt werden sollte, lieferte Klara Franke ihr Meisterstück: "Fink, uns stinkt's!" beschallte sie den damaligen Gesundheitssenator Ulf Fink (CDU) durchs Megaphon auf einer Demonstration. Das Krankenhaus gibt es heute, zehn Jahre später noch. Und Klara Franke hat für ihr Engagement 1992 das Bundesverdienstkreuz erhalten.Seit 1934 wohnt sie in dem Mietshaus in der Lehrter Straße. Erst mit ihren Eltern, dann mit Mann und Tochter, und jetzt allein. Seit Jahrzehnten mischt sie sich in ihrer Umgebung ein. Zuerst im Betriebsrat bei Gegenbauer, wo sie 1959 als Putzfrau begann, später im Kiez. Ihr letzter Streich: Klara Franke setzte eine Bushaltestelle an der Kreuzung Thusnelda-Allee/Alt-Moabit durch. Der nächste folgt bereits: Zur Zeit kämpft sie für einen Gemüsekiosk im Süden der Lehrter Straße, wo zahlreiche alte Menschen in Seniorenwohnhäusern leben, aber die Einkaufsmöglichkeiten fehlen.Etwas kürzer tritt sie inzwischen, seitdem sie 1991 sie einen Herzinfarkt und eine Lungenembolie erlitt. "Außerdem bin ich ein bißchen vergeßlich geworden", lacht sie und erzählt von einer Demonstration gegen den Tiergartentunnel: "Da stand ich mit meiner großen Klappe vor 400 Leuten und wußte plötzlich nicht mehr, was ich sagen wollte!" +++