Hans Blumenberg erklärt seinen Hörern: Philosophie darf rhetorisch sein: Der Begriff als Falle

Während andere Veröffentlichungen aus dem Nachlass Hans Blumenbergs knifflig zu lesen sind, macht die schlanke "Theorie der Unbegrifflichkeit" auf angenehme Weise mit seiner Philosophie bekannt. Geduldig erklärt Blumenberg hier seine Theorie von Begriff und Metapher - es handelt sich um Manuskripte einer Vorlesung, die er 1975 in Münster hielt.Es wirkt spleenig: Dieser Philosoph entwickelt seine Theorie äußerst gern aus prähistorischen Szenarien. Sein Held, der Mensch, tritt irgendwann auf die offene Savanne, ist plötzlich allgemein sichtbar und unwägbaren Gefahren ausgesetzt. Der aufrechte Gang mag zwar etwas helfen, kann der Mensch doch nun selbst weiter schauen. Aber die Wirklichkeit ängstigt, überfordert. Was tun? Man geht auf Distanz, sucht in Hab-Acht-Stellung Bedrohungen vorherzusehen und über den Gesichtskreis hinaus mögliche Gefahren abzuschätzen. Der Mensch wird zu einem präventiven Wesen. Aus dem Bedürfnis heraus, die Wirklichkeit zu kontrollieren, erfindet sich die menschliche Vernunft schließlich den Begriff.Denn der Begriff kann Abwesendes anwesend machen und erlaubt so, auf neue, raffinierte Weise zu planen: "Die Falle ist eine Handlung in Abwesenheit sowohl des Beutetiers als auch, zeitlich versetzt, des Jägers. Die Falle handelt für den Jäger in dem Augenblick, in dem er selbst abwesend, das Beutetier aber anwesend ist, während die Herstellung der Falle die umgekehrten Verhältnisse erkennen lässt. Sie ist dinglich gewordene Erwartung. Insofern ist die Falle der erste Triumph des Begriffs." Doch während der Begriff das dienstbare Werkzeug des Intellekts wird, bleibt all das ungeklärt, was jenseits des Horizonts des Planbaren liegt. Hier tritt die Metapher auf die Bühne der menschlichen Existenz. Sie versucht wie der Mythos zu erfassen, was dem Begriff entgehen muss, sie ist bildhaft und unbegrifflich, sie ist Höhlen-Luxus, Imagination, Kultur.Genau um diese Spannung zwischen Präzisionsanspruch des Begriffs und der bildlichen, vagen Sinndimension der Metapher geht es in der Theorie der Unbegrifflichkeit, die Blumenberg vor allem in Auseinandersetzung mit Kant entfaltet. Warum braucht der Mensch die Bilder vom Leben als Weg, von der Welt als Wald oder Dschungel, von der Wahrheit als etwas, was mit Hellsein zu tun hat? Weil es, so Blumenberg, trotz des wissenschaftlichen Erklärungserfolgs eine Weise der Daseinserfahrung gibt, die sich begrifflich nicht auflösen lässt.Wenn wir uns aber mit Metaphern behelfen müssen, um uns das Leben, das Ganze, den Sinn zu erklären, dann droht nicht nur die Gefahr der "metaphorischen Aufschneiderei" (Benn), die Philosophie rückt zudem in scheinbar ungute Nähe zur Rhetorik. Blumenberg betont jedoch provokant und gegen den philosophischen Wahrheitsabsolutismus, dass wir als Menschen ein "Recht auf Rhetorik" haben, auf die Rhetorik als "vernünftiges Arrangement mit der Vorläufigkeit der Vernunft". Er ist auch in diesem Buch ganz der besorgte Skeptiker, der für den Menschen wenigstens Teilantworten fordert, auch wenn sich die Vernunft eigentlich nicht mit ihnen zufrieden geben kann. Denn: "Zeitmangel ist ein Radikal der menschlichen Lebensbestimmtheit, und Vernunft darf keinen beliebigen Preis an Zeit abfordern. Auf diese Sachlage ist die Rhetorik eine Antwort."------------------------------Foto: Hans Blumenberg: Theorie der Unbegrifflichkeit. Aus dem Nachlass hrsg. von Anselm Haverkamp. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007. 122 S., 14,80 Euro.