Heimliche Handy-Ortung: Behörden setzen stille SMS massenhaft ein
Berlin - Die Opposition im Bundestag hat den rapiden Anstieg der Überwachung durch sogenannte „stille SMS“ kritisiert. Das Bundesamt für Verfassungsschutz verschickte im ersten Halbjahr 2014 fast 53.000 dieser SMS zur Ortung von Handys – und damit fast doppelt so viele wie im ersten Halbjahr 2013. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor. Mit diesen Kurzmitteilungen ohne Text, die auf dem Handy des Empfängers nicht angezeigt werden, können Polizei, Zoll oder Geheimdienste Verdächtige orten und Bewegungsprofile erstellen.
Steigerung bei Verfassungsschutz
„Beim Verfassungsschutz gab es den größten Anstieg bei stillen SMS“, sagte die grüne Obfrau im Bundestags-Innenausschuss, Irene Mihalic, der Berliner Zeitung. „Diese Ausweitung der Überwachung sehe ich sehr kritisch. Angesichts der hohen Zahl ist zu befürchten, dass solche Maßnahmen immer weniger kontrollierbar werden. Außerdem fehlt es an klaren rechtlichen Regelungen für die Nutzung von stillen SMS. Das ist rechtsstaatlich sehr bedenklich.“
Es sei höchste Zeit, dass die Arbeit der Nachrichtendienste gesetzlich geregelt und effektiv kontrolliert werde. Linksfraktionsvize Jan Korte monierte, die Überwachung werde „immer umfangreicher und unkontrollierbarer und demokratiegefährdender“. Das müsse ein Ende haben. „Es ist schon erstaunlich, mit welcher Kaltschnäuzigkeit Bundesregierung und Sicherheitsbehörden unbeirrt ihre Schnüffelei fortsetzen“, fügte er vor dem Hintergrund des NSA-Skandals hinzu. Von einem Innehalten oder einer Neubewertung der staatlichen Überwachung nach den Enthüllungen über die US-Geheimdienstausspähung in Deutschland fehle jede Spur.
Der Vorsitzende der G 10-Kommission des Bundestages, Andreas Schmidt (CDU), verteidigte die Maßnahmen hingegen. „Ich gehe davon aus, dass sich die Dienste da vollkommen rechtsstaatskonform verhalten“, sagte er dieser Zeitung. „Wir treffen, wenn es notwendig ist, die entsprechenden Entscheidungen.“ Die Zahl der zu genehmigenden Maßnahmen sei enorm, so der frühere Bundestagsabgeordnete. „Sie können sich gar nicht vorstellen, was wir da alles behandeln.“ Die G-10-Kommission muss die Überwachung einer Person genehmigen. Der Versand von stillen SMS zählt dazu.
Aus Sicherheitskreisen verlautete, der Anstieg beim Verfassungsschutz habe unter anderem mit dem Sprengstofffund am Bonner Hauptbahnhof Ende 2012 und der Ausreise und anschließenden Rückkehr deutscher Syrien-Kämpfer zu tun. Deren Überwachung ist schwierig, weil es sich um mindestens 320 Personen handelt. Noch schwieriger ist es oft, ihnen strafbare Handlungen nachzuweisen. Hier greifen die deutschen Sicherheitsbehörden nicht zuletzt auf den umstrittenen amerikanischen Geheimdienst NSA zurück.
Verschlusssache Zoll
Die G 10-Kommission – benannt nach dem einschlägigen Artikel 10 des Grundgesetzes, der das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis schützt – besteht aus insgesamt vier Mitgliedern, die nicht Mitglieder des Bundestages sein müssen und es aktuell auch nicht sind. Dazu zählen neben Schmidt die ehemaligen Bundestagsabgeordneten Frank Hofmann (SPD), Ulrich Maurer (Linke) und der frühere Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht Frankfurt am Main, Bertold Huber. Stellvertreter sind die Ex-Parlamentarier Wolfgang Götzer (CSU) und Wolfgang Wieland (Grüne) sowie die linke Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak.
Nicht nur beim Bundesamt für Verfassungsschutz, auch beim Bundeskriminalamt (BKA) und der Bundespolizei nahm die Nutzung „stiller SMS“ gegenüber dem Vorjahreszeitraum leicht zu. Das BKA versandte in den ersten sechs Monaten des Jahres fast 35.000 solcher Kurzmitteilungen, die Bundespolizei knapp 69.000 – das waren jeweils rund 3000 mehr als im ersten Halbjahr 2013. Die Angaben zu „stillen SMS“ beim Zoll stufte die Regierung als Verschlusssache ein.