Heinz Rudolf Kunze im Gespräch über Deutschland, Deutschrock und sein neues Album "Rückenwind": Der Botho Strauß des Rock'n Roll

Heinz Rudolf Kunze wurde 1981 auf dem Pop-Rock-Nachwuchsfestival in Würzburg entdeckt. Er galt zuerst als Liedermacher, wurde aber bald zum Deutschrocker. 1985 landete er mit "Dein ist mein ganzes Herz" in den deutschen Top Ten; anders als Grönemeyer und Westernhagen, blieb ihm der große Durchbruch allerdings versagt. Seit den 90ern machte Kunze eher durch provokante Äußerungen als durch seine Musik von sich reden. 1996 forderte er in einem Interview "Deutschlands musikalischen Austritt aus der Nato" und eine Quote für deutschsprachige Musik im Radio. Seine Themenfelder "Deutschland" und "deutsche Mentalität" hat er bis heute nicht nur in 23 Platten, sondern auch in fünf Büchern beackert. Der Worthandwerker verklausuliert seine persönlichen Erfahrungen und Ansichten gerne zu sperriger bedeutungsüberladener Lyrik, die Liebeslieder sind etwas einfacher gehalten. Wurde Kunze in seinen Erfolgsjahren dem linksintellektuellen Spektrum zugerechnet, so bezeichnet er sich selbst seit einiger Zeit als Wertkonservativen, festigte seinen Ruf als zynischer Querdenker und blieb so im Talkshowgespräch. Am Donnerstag stellt er in der Berliner Columbiahalle sein neues Album "Rückenwind" vor. Ihr aktuelles Album "Rückenwind" ist das Dreiundzwanzigste seit 1981. Fällt es Ihnen leicht, Jahr um Jahr 15 neue Lieder zu schreiben? Ich schreibe sogar noch viel mehr. Ich könnte die Plattenfirma damit quälen, dass ich jedes Jahr drei Alben abliefere. Aber man muss sich ein bisschen der normalen Öffentlichkeitsrhythmik anpassen. "Rückenwind" markiert einen Neuanfang. Sie haben sich von alten Partnern getrennt... Ich habe jetzt einen neuen Hauptschreibepartner gefunden, den Niels Frevert, der vorher die Band Nationalgalerie als Sänger und Hauptschreiber geführt hat. Dann gibt es noch Andreas Becker, ein Freund von mir aus der Maffay-Band. Flash and Gordon, ein Elektronik-Duo aus Hamburg, haben auch einen Song komponiert, und sechs Lieder sind von mir. Nach der von Ihnen angeregten Quotendiskussion 1996 kam mit dem deutschen HipHop viel Deutschsprachiges ins Radio. Die Blütezeit, in der sich damit Geld verdienen ließ, ist aber schon wieder vorbei.Mich hat das jedenfalls mit dem HipHop sehr gefreut, weil es eine Entwicklung war, die von unten kam - Gottseidank ohne gesetzliche Maßnahmen. Sie können mir schon glauben, niemand von uns hat sich wirklich gewünscht, dass man das gesetzlich regeln muss. Es ist für einen Künstler immer sehr problematisch, wenn er sein Gesicht hinhält - weil man durchweg Missverständnissen ausgesetzt ist. Man wird beschuldigt als Nazi, als kultureller Abschotter, was infam ist, was gemein ist, es ist einfach lächerlich!! Jeder der mich wirklich kennt, weiß doch, was ich Engländern und Amerikaner zu verdanken habe, was ich von ihnen gelernt habe.Ihnen ging es ja mit der Quote darum, dem Nachwuchs besonders bei "schrägen Bands" eine Chance zu geben. Aber für Bands, die nicht von den großen Musikkonzernen gepusht werden, ist es fast unmöglich, auf die Playlist der Sender zu kommen. Würde da eine Deutschquote wirklich zu mehr Vielfältigkeit im Radio führen? Mir ging es natürlich um mehr Chancen ür Leute, die was Interessantes machen, und das finde ich nach wie vor ein bisschen unterbewertet. Da würde ich mich freuen, wenn Blumfeld in Deutschland einen Status hätten wie. wie Oasis.Man nennt sie auch "der singende Zeigefinger", "der Botho Strauß des Rock n Roll", "der Houellebecq des Rock n Roll".Der Botho Strauß des Rock n -Roll? Das wär ja ein Kompliment!!Und Houellebecq? Dazu sage ich Ihnen ganz offen, dass ich zwar ein ziemlich belesener Mensch bin, aber Houellbecq nie gelesen habe, dazu kann ich also nichts sagen. Aber ich glaube, es ist eher als Kompliment zu verstehen.Der singende Zeigefinger?Das hat weder mit Botho Strauß noch mit mir etwas zu tun.Vielleicht geht das auf ihren früheren Beruf zurück, weil ihr Gestus als etwas lehrerhaft ...Es ist so erbärmlich! Sagen Sie mir ein einziges Lied - ein einziges! -, in dem ich versuche, Menschen zu etwas zu überreden und zu meiner Meinung zu verführen! Der Vorwurf ist einfach lächerlich!Sind ihr Lieder im weitesten Sinne des Protestsongs?Furchtbares Wort: Protest! Nein. Vielleicht im allerweitesten Sinne, gegen eine mir oft nicht gefallende Welt, ja. Aber der das Wort Protest ist so fragwürdig geworden, das überlasse ich lieber Reinhard Mey. Das Gespräch führte Christiane Rösinger.WEA Jetzt ohne Kinnbart: Heinz Rudolf Kunze.