Helmut Kohl: Türken sehen Kohl-Äußerung gelassen
Berlin - Die Türkische Gemeinde in Deutschland hat gelassen auf Berichte reagiert, wonach der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) zu Beginn seiner Amtszeit die Hälfte aller in Deutschland lebenden Türken wieder nach Hause schicken wollte. „Heute kann sich die politische Klasse so etwas nicht mehr leisten. Das ist ein Fortschritt“, sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Kenan Kolat, am Freitag der Berliner Zeitung. Er ergänzte: „Außerdem hat einer der Söhne Helmut Kohls eine Türkin geheiratet. Vielleicht hat das dazu beigetragen, dass er das heute nicht mehr sagen würde.“
Zuvor hatte Spiegel online aus einem britischen Regierungsdokument zitiert, in dem ein Gespräch Kohls mit der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher aus dem Jahr 1982 zusammengefasst ist. Kohl habe dabei erklärt, dass es notwendig sei „die Zahl der Türken um 50 Prozent zu reduzieren – aber er könne das noch nicht sagen“. Darüber hinaus soll Kohl gesagt haben: „Es sei unmöglich für Deutschland, die Türken in ihrer gegenwärtigen Zahl zu assimilieren.“ Die kulturellen Unterschiede seien zu groß.
Kohl selbst verteidigte am Freitag seine Aussagen. Diese seien „damals auch in Deutschland bereits Teil einer hinreichend und breit geführten Debatte zur Ausländerpolitik gewesen“, hieß es in einer Erklärung seines Berliner Büros. Überdies werde sich Kohl in der aktuellen Debatte nicht weiter äußern. Die Darstellung seiner damaligen Aussagen in den britischen Quellen sei aber korrekt.
„Erschreckendes Denken“
Die Opposition im Bundestag ging scharf mit dem ehemaligen Kanzler und seiner Partei ins Gericht. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, sagte, das Denken dahinter sei erschreckend. „Dieses Denken war geprägt dadurch, dass Einwanderer und Flüchtlinge nur als Belastung gesehen wurden.“
Der Grüne Volker Beck warf der Union vor, noch immer im Denken Kohls verhaftet zu sein. „Die letzte Bundestagsdebatte über Optionspflicht und Staatsbürgerschaftsreform im Juni war von Seiten der Unionsredner von den gleichen antitürkischen Ressentiments bestimmt.“ Ähnliches gelte für die Haltung der Regierung zum EU-Beitritt der Türkei.
Der Vorsitzende der Türkischen gemeinde Kolat sagte, für ihn sei es keineswegs neu, dass die damalige Bundesregierung die Türken zur Ausreise drängen wollte. Seinerzeit sei in der Community hierzulande gescherzt worden, Deutschland könne die Hälfte der Türken am besten dadurch loswerden, indem es sie einbürgere.
Tatsächlich versuchte es die Kohl-Regierung ehedem mit finanziellen Anreizen: Türken, die Deutschland verließen, erhielten 10.500 D-Mark auf die Hand und bekamen überdies ihre Rentenbeiträge ausgezahlt. Von den damals 1,5 Millionen Türken in Deutschland machten davon aber nur rund 100.000 Gebrauch. Die Bundesrepublik steckte zu Beginn der 1980er Jahre in einer schweren Wirtschaftskrise, aber in der Türkei waren die Umstände noch schlechter: Auch dort lag die Wirtschaft danieder, zudem hatte 1980 das Militär die Macht an sich gerissen.