Hillary Clinton, Angela Merkel, Ségolène Royal - die Zeit, in der vor allem Männer Politik machten, ist vorbei. Ein Gespräch mit Gesine Schwan über weiblichen Führungsstil INTERVIEW: DANIELA VATES UND HOLGER SCHMALE: Die Waffen der Frauen
Frau Schwan, sind Frauen in der Politik realistischer als Männer?Ich glaube, dass die Frauen der heutigen Generation oft fähiger sind, Situationen, Motive, Gesten um sie herum einzuschätzen. Man nennt das soziale Kompetenz. Sie haben oft auch andere Prioritäten als Männer.Woran liegt das?An ihrer Sozialisation. Ich habe das an mir selbst beobachtet. Ich bin ziemlich emanzipiert aufgewachsen. Meine Mutter war eine sehr selbstständige Frau mit einem großen Emanzipationsbedürfnis. Trotzdem bin ich aber ganz anders als mein Bruder darauf orientiert worden, in der Familie dazu beizutragen, dass die Konflikte gering gehalten werden, dass alles gut läuft, dass es keinen Krach gibt. Mein Bruder hat derweil ordentlich Konflikte provoziert und seine Ideen durchgesetzt. Dieses Schema finden Sie sehr häufig.Spielen Kinder eine Rolle?Natürlich. Wenn Sie Erfahrungen mit Kindern haben, sind Sie sowieso darauf gedrillt zu vermitteln, Situationen zu erkennen, zu verstehen, warum da jemand plärrt. Das haben ja die wenigsten Männer nötig, auch wenn sich das jetzt ein wenig ändert. Das sind alles Sozialisationsfaktoren, keine biologischen.Es ist also ein typisch weiblicher Führungsstil, wenn Angela Merkel nicht auf den Tisch haut, sondern versucht, alles so hinzubekommen?Ich glaube schon. Man hat ihr ja immer ein starkes Machtbewusstsein zugesprochen, ich glaube, das hat sie auch. Aber nach allem, was ich aus ihrem Kabinett höre, auch von Ministerinnen, die der SPD angehören, hat sie einen ausgesprochen vermittelnden Leitungsstil. Da bekommen alle eine ziemlich gleichberechtigte Chance, zu Wort zu kommen. Das ist ein eher weiblicher moderierender Stil, obwohl sie ja gar keinen Wert darauf legt, betont als Frau aufzutreten.Hat sich durch diesen neuen Führungsstil schon etwas verändert an der politischen Kultur in Deutschland?Das kann ich noch nicht erkennen. Man muss natürlich auch schauen, wie das transportiert wird. Eine direkte Erfahrung mit Frau Merkel haben ja nur wenige. Ich habe den Eindruck, dass ihr dieser Stil in der Öffentlichkeit nicht durchweg positiv angerechnet wird. Man kreidet ihr eher an, dass sie keine klaren Entscheidungen trifft, dass sie Dinge lange treiben lässt.So sehen es jedenfalls viele Medien.Ja, das sind allerdings Kommentare, die oft auch von einer männlich geprägten Vorstellungswelt ausgehen. Da findet man es gut, wenn jemand auf den Tisch haut. Die Resonanz dessen, was Frau Merkel macht, hängt von dem Resonanzboden ab, und der ist für ihren Stil nicht gerade förderlich. Dazu kommt, dass der Teil der Gesellschaft, der für einen kollegialen Führungsstil eher aufgeschlossen ist, vorsichtig gesprochen, nicht gerade der konservative Teil ist. Also kommt Frau Merkel damit bei ihren eigenen Anhängern weniger gut an als bei anderen, die aber teilen ihr Politikmodell nicht.Es kann aber auch von Vorteil sein, nicht immer dem Handlungsmechanismus zu folgen, den alle erwarten, oder?Allerdings. Überraschungseffekte sind immer gut. Ich schätze diese Art des vermittelnden Führens. Allerdings muss man sie verbinden mit eigenen Vorstellungen langfristiger politischer Perspektiven. Wenn die Menschen den Eindruck haben, es gehe nur um irgendeinen Kompromiss, damit das Ganze nicht auseinanderfliegt, kommt das sicher nicht so gut an.Wenn man so will, haben in jüngerer Zeit drei Frauen drei starke Männer zu Fall gebracht: Merkel kippte Kohl, Andrea Nahles den SPD-Chef Franz Müntefering und Gabriele Pauli nun Edmund Stoiber. Ist das Zufall?Ich finde nicht, dass Andrea Nahles Franz Müntefering zu Fall gebracht hat. Erstens wollte sie das nicht, und zweitens ist Müntefering zwar nicht mehr SPD-Vorsitzender, aber als Vizekanzler spielt er immer noch eine sehr wichtige Rolle in der Regierung.Na gut, es ist also nichts Besonderes an dieser Reihe?Es mag schon sein, dass Frauen weniger Probleme haben, sich in der Öffentlichkeit auch gegen bestimmte sehr anerkannte Männer zu exponieren. Als Angela Merkel gegen Kohl Stellung bezog, war der allerdings auch schon ziemlich gefährdet. Ich weiß nicht, ob das ohne die ganze Spendenaffäre auch so gekommen wäre, denn in der wirkte sie am wenigsten kompromittiert. Ihre scheinbare Naivität und Spontaneität sind ihr da sicher auch zugute gekommen und haben ihr Vertrauen eingebracht. Später haben wir dann gesehen, dass sie gar nicht so naiv ist.Und wie sehen Sie Frau Pauli?Es gab ja schon ein erhebliches Rumoren gegen Stoiber in der Partei. Als man dann anfing, ihr Privatleben auszuschnüffeln, ist sie von dem Kalkül ausgegangen, dass so etwas heutzutage nicht mehr akzeptiert wird und dass sie die Wahrheit nun offensiv nach außen tragen muss. Das musste sie auch tun. Wenn man als Frau vor solchen Attacken zurückschreckt, ist man noch schlechter dran. Ich nehme an, dass es diese Telefonate gar nicht gegeben hätte, wenn sie ein Mann wäre.Wäre denn die öffentliche Resonanz auf die Kritik an Stoiber auch so groß gewesen, wenn Frau Pauli ein kleiner dicker Mann gewesen wäre?Dass sie eine attraktive Frau ist, die weiß, wie sie mit den Medien umgeht, dass sie ein paar smarte Hobbys wie ihr Motorrad hat, hat ihr sicher geholfen. Aber ich finde überhaupt, dass wir Frauen viele Möglichkeiten haben, einmal ganz andere Register zu ziehen. Jemanden durch eine unerwartete Frage verunsichern, eine Attacke nicht mit einer Gegenattacke beantworten, sondern mit einer überraschenden Freundlichkeit, so etwas können wir Frauen sehr gut. Ich mache damit jedenfalls beste Erfahrungen.Frau Pauli ist Profilierungssucht vorgeworfen worden, auch wegen ihres Aussehens, ihrer Hobbys .Ja, das ist typisch und ungerecht. Wenn Männer so auftreten, ist das okay, bei Frauen eben nicht. Wenn ich eine Führungsrolle übernehme, und das hat Frau Pauli für eine bestimmte Phase getan, muss ich mich in der Öffentlichkeit exponieren und darf nicht das schüchterne Weiblein sein, das ist doch klar.Sind Frauen in solchen Situationen vielleicht auch mutiger als Männer?Ja. Das ist auch so, weil ihnen manche damit verbundene Risiken weniger wichtig sind. Die Sorge, in der Hierarchie vielleicht ein paar Stufen herabzufallen, spielt für Frauen oft nicht so eine große Rolle.Sie sprechen von einer weiblichen Führungskultur, mehr Mut der Frauen zum Risiko - man könnte auch auf die Idee kommen, dies seien Klischees, denen manche konkrete Beispiele sehr männlich agierender Frauen in Führungspositionen so gar nicht Stand halten.Das ist sicher eine richtige Beobachtung. Die reale Führungsrolle, die Frauen ausüben, ist nicht immer identisch mit der Rolle, die sie für sich in Anspruch nehmen.Derzeit schicken sich viele Frauen an, Führungsrollen zu übernehmen: Angela Merkel hat schon eine, Segolène Royale und Hillary Clinton wollen folgen. Ist das Zufall oder ist das der Durchbruch der Frauen in der Politik?Ich glaube nicht, dass es schon der Durchbruch ist, ich glaube aber auch nicht, dass es Zufall ist. Politik wird immer mehr zu einem Moderierungsgeschäft, sie ist immer weniger ein Mehrheitsorganisationsgeschäft. Die Probleme, die Konflikte sind so diffus, dass Sie nachhaltige Entscheidungen nicht mehr hinkriegen mit der Methode: Jetzt noch schnell die letzte Stimme organisieren. Das funktioniert vielleicht einmal oder zweimal, aber dann verlieren Sie an Autorität, und dann ist es vorbei. Wir haben auch so wenig Zeit, die Konflikte zu lösen, dass wir uns nicht leisten können, einfach draufzuhauen. Wir müssen genau hinschauen, was sind die verschiedenen Interessenkonstellationen, wie kann man einen vernünftigen Weg herausfinden.Und das können Frauen besser?Ja, weil das eher ihrem Politikstil entspricht. Das gilt schon für die nationale Politik, es wird immer mehr für die internationale Politik gelten, wo wir das Ende der staatlichen Souveränität selbst bei den USA feststellen müssen. Deshalb kann Politik auch nicht mehr durch ein Gewaltmonopol sanktioniert werden, sondern nur noch durch freiwillige Zustimmung. Demokratische Politik unter den Bedingungen der ökonomischen Globalisierung ist ein Aushandlungsprojekt. Es ist doch kein Zufall, dass Wissensfelder wie die Mediation florieren. Alle stehen immer mehr unter dem Druck, haltbare Entscheidungen zu treffen. Da muss man lernen, das Konsenspotenzial besser auszuloten.Frauen in Führungspositionen werden aber nach wie vor als Sensation betrachtet. Woher kommt das?Ich sage ja, es gibt noch keinen Durchbruch. Insbesondere im unternehmerischen Bereich ist die Kultur der Verständigung noch etwas ganz Untypisches. Die wirtschaftlichen Eliten in Deutschland sind noch immer an einen Hau-Ruck-Stil gewöhnt. Wenn ein neuer Vorstandsvorsitzender eines Unternehmens antritt, dann wird unterstrichen, dass er dafür steht, hart durchzugreifen, reinen Tisch zu machen. Das sind alles rabiate Formen der Entscheidungsfindung. Das wird dann als Stärke der Persönlichkeit ausgelegt. Ich halte das nicht für eine Stärke. Aber das sind die Erwartungen, die in diesem Sektor immer noch gelten. Es wird noch zwanzig oder dreißig Jahre dauern, bis sich das ändert. Dazu kommt dann das nächste ungelöste Problem: Wie vereinbare ich Beruf und Kinder?Haben Sie einen Vorschlag?Unser Wirtschaftssystem verlangt, dass man sich im Alter zwischen 25 und 45 total dem Beruf widmet. Gleichzeitig soll die Familie funktionieren, trotz der Schulprobleme der Kinder und allem drum und dran. Das ist nicht zu bewältigen, da kriegen die Kinder Probleme, die Ehepartner, und im Zweifel leidet der Job auch noch darunter. Ich plädiere dafür, Karrierehöhepunkte nach hinten zu verlegen. Die Unternehmen müssen sehen, dass es sinnvoll ist, wenn man mit Ende 50, Anfang 60 oben ankommt. Dann ist das Ganze organischer. Außerdem glaube ich nicht, dass ein 35-Jähriger ein Unternehmen auch sozial kompetent führen kann, dem fehlt es einfach an Lebenserfahrung.Die Ex-Tagesschau-Sprecherin Eva Herman schlägt als Lösung vor, dass die Frauen zu Herd und Kindern zurückkehren. Und ihr Buch hat großen Erfolg.Ich habe dieses Buch nicht gelesen. So viel ist aber klar: Wer gegen das, was als politisch korrekt empfunden wird, angeht, wirkt immer interessant. Das bedeutet aber nicht, dass die Thesen dadurch richtiger werden.Da sagt Ihnen das Auftreten von Familienministerin Ursula von der Leyen bestimmt mehr zu?Sie ist eine im guten Sinne pragmatische Politikerin, die nichts dabei findet, an vielen Punkten die richtige Politik ihrer sozialdemokratischen Vorgängerin Renate Schmidt fortzusetzen. Diesen überparteilichen Ansatz finde ich gut. Ihren persönlichen Lebensstil kann ich für mich nicht nachvollziehen, wie das mit sieben Kindern klappen kann, weiß ich nicht. Andererseits finde ich, dass man auch als Mutter Ministerin sein können muss. Meine Vorstellung ginge dahin, dass Männer und Frauen hohe verantwortliche Positionen erst dann erreichen, wenn die Kinder schon so groß sind, dass sie nicht mehr die tägliche Rückkoppelung brauchen.Als Sie Kandidatin für das Präsidentenamt waren, haben Sie sich da geärgert, wenn auf Ihr Geschlecht und nicht auf Ihre Kompetenz abgehoben wurde?Nein, keine Sekunde. Aber ich habe auch nie einen Anlass gesehen, mich irgendwie Männern anzugleichen. Ich habe mich immer in meiner Haut wohl gefühlt und bin immer gern eine Frau gewesen. Es gab nur ein, zwei Fälle, in denen ich gedacht habe: Ach, es ist vielleicht einfacher für einen Mann.Wann war das?Ich habe nach dem Tod meines Mannes ziemlich lange allein gelebt. Da habe ich oft im Spaß gesagt: Schade, dass ich so gar nicht lesbisch bin, denn es gibt viel mehr Frauen als Männer in meinem Alter, die allein leben, die interessant sind, und mit denen ich mich zusammentun könnte. Witwer mit Mitte 50 haben es viel leichter, jemanden zu finden als Frauen in dem Alter. Aber ich habe dann das große Glück gehabt, doch einen Mann zu treffen, mit dem ich mich sehr gut verstehe und perfekt harmoniere.Hat Ihre Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten Ihren Blick auf die Politik verändert?Nicht prinzipiell. Aber sie hat mich gezwungen, mich mit vielen Fragen intensiver auseinanderzusetzen, insbesondere mit den Folgen der Globalisierung. Und ich habe den Eindruck gewonnen, dass die deutsche Gesellschaft viel verständiger ist für die Kompliziertheit der Politik, als viele denken.Wie kam das?Ich habe als Präsidentschaftskandidatin gegen den Rat von Medienberatern daran festgehalten, Probleme ausführlich zu erläutern, weil das eben nötig ist, und ich bin trotzdem gut angekommen. Ich glaube, ich bin sogar gerade deshalb gut angekommen. Viele Menschen haben sich dadurch ernst genommen gefühlt, dass ich versucht habe, ihre Fragen zu beantworten, anstatt sie als Plattform für das zu nutzen, was ich schon immer mal sagen wollte. Das ermutigt mich bis heute. Wenn man sich an die Sache hält und sie erläutert, kann man weiten Kreisen der Bevölkerung sehr viel zumuten. Die Menschen sind doch nicht blöd. Und damit kann man auch bessere Politik machen. Mit einer aufgeweckten und kritischen Gesellschaft geht das viel besser als mit einer, die da hinten als Konsument sitzt und wartet, was der Markt so bringt.Wenn man Sie so hört, könnte man meinen, Sie hätten Lust, noch einmal zur Wahl anzutreten?Ich bin Präsidentin der Europa Universität Viadrina. Und das bin ich sehr gerne.------------------------------Gesine SchwanDie Politikwissenschaftlerin wurde 1943 geboren. Sie stammt aus einem christlichen, sozial engagierten Elternhaus und wuchs in West-Berlin auf, wo sie das französische Gymnasium besuchte.Nach Studium und Promotion lehrte sie an der FU Berlin und bei Gastprofessuren in Washington, New York und Cambridge. Seit 1999 ist sie Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Gesine Schwan ist Mitglied der SPD und war lange Zeit in ihrer Partei umstritten. 1980 wurde sie aus der SPD-Grundwertekommission abgewählt, weil sie den laxen Umgang ihrer Partei mit kommunistischen Regierungen kritisierte. 1996 wurde sie wieder in das Gremium aufgenommen. 2004 kandidierte Gesine Schwan auf Vorschlag von SPD und Grünen für das Amt der Bundespräsidentin, unterlag aber Horst Köhler im ersten Wahlgang mit 589 zu 604 Stimmen. Seit 2004 ist sie auch Beauftragte der Bundesregierung für die deutsch-polnischen Beziehungen.Die Mutter zweier Kinder ist mit Peter Eigen, dem Gründer der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International, verheiratet.------------------------------Foto (4) :Gesine SchwanHillary Clinton will 2008 Präsidentin der Vereinigten Staaten werden.Angela Merkel ist seit 2005 die erste Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik.Ségolène Royal ist Präsidentschaftskandidatin der französischen Sozialisten.