Hochwasser - Kolumne: Alles im Fluss
Ich sah Regen und war deprimiert. Die Obstwiese war so durchgeweicht, dass man im Boden versank, und ich hatte Angst um den neu gepflanzten Quittenbaum. Hinter der Wiese liegt die Löcknitz, und dann kommt die Elbe. Nachbar Grabowski sagte: Schreib über das Hochwasser. Hochwasser geht immer.
Aber was soll man über Hochwasser schreiben? Es kommt, wann es will, es geht, wann es will. Voltaire hat zwar einmal einen Vulkan dafür beschimpft, ausgebrochen zu sein, aber auf das Wasser einreden hilft jetzt auch nicht weiter. Interessant am Hochwasser ist nur, dass vor allem Sozialdemokraten daraus einen Nutzen ziehen. Ob Helmut Schmidt, Matthias Platzeck oder Gerhard Schröder: Sie verdanken dem Hochwasser oder der Flut ihren Ruf, ihre Karriere oder ihre Wiederwahl. Vielleicht ist Katastrophenmanagement sowieso die historische Aufgabe der SPD. Nicht wie Phoenix aus der Asche kommen, sondern wie der Sozi aus dem Wasser.
Was soll Merkel als Physikerin sagen?
Auch Angela Merkel machte im Krisengebiet nicht die Figur, die Steinbrück oder Gabriel schon qua Parteibuch hätten hinlegen können. Was soll sie als Physikerin auch sagen: Das Wasser kommt von oben und fließt nach unten? Während es beim Euro natürlich genau andersherum ist. Der kommt von unten und fließt immer nach oben, wo er dann auch bleibt. Geld wird vielleicht gedruckt, regnet aber nicht. Dafür steigen die Pegel der Elbe in Höhe Lenzen, Prignitz, unaufhörlich. Konservative Politiker sind ja weniger mit echten als mit eingebildeten oder metaphorischen Wassermassen verbunden. Sie holen gerne Klassiker aus der Kiste wie „Asylantenflut“ und sehen sich als „Fels in der Brandung“ und wollen auf keinen Fall „überschwemmt“ werden, von was auch immer. Die Aversion gegen fließende Gewässer und die Furcht vor Kontrollverlust hat schon Heerscharen von Psychoanalytikern beschäftigt. Etwas tritt über die Ufer, und dann ist es vorbei. Tatsächlich aber geht es immer weiter. Wahrscheinlich sehen sich Politiker rechts von der Mitte sowieso eher in der Rolle eines Dammes. Politiker links von der Mitte gefallen sich eher als Deich. Den Grünen würde in diesem Zusammenhang die Rolle des Polder zufallen, den man fluten kann, während die NPD sowieso der Meinung ist, dass die Wolken aus dem Ausland kommen und deutscher Regen nur fällt, wenn der Führer es befiehlt.
Das Wasser kommt, man kann die Pegelstände im Internet verfolgen. Grüne Punkte für keine Gefahr, gelbe Punkte für Hochwasseralarm der Stufe 1, bei roten und tiefroten Punkten wird es ungemütlich. Für den Landkreis Prignitz wurde am Dienstag Hochwasseralarm Stufe 1 gegeben, und die roten Punkte rücken unbarmherzig vor. In Wittenberge rechnet man damit, dass am Freitag der Wasserstand so hoch ist, dass der Grenzwert für Alarmstufe 4 überschritten wird. Für Sonntag wird ein Hochwasser von 7 Meter 50 erwartet, bei der Flut 2002 waren es nur 7 Meter 32, aber die Deiche sind höher gebaut worden. Es werden Sandfüllplätze eingerichtet.
Grabowski sagt, uns könne nichts passieren. Die Elbe sei zu weit weg. Über uns schwebt ein Storch auf der Suche nach Fröschen. Im Osten Deutschlands regnet es immer noch. Die Flut, denke ich, ist schon da, dabei kommt sie erst noch. Dem Quittenbaum geht es gut.