Homosexualität in Deutschland: Es ist nicht gut so
Ich muss 15 gewesen sein oder 16, es war lange, bevor ich meiner Homosexualität gewahr wurde, da hatte ich nur einen Wunsch für meine Zukunft: zusammenzuleben mit einem Mann. Sonst nichts. Jahre später erfüllte sich dieser Wunsch, und es war gut so. Dabei sah ich mich vor keinem Altar, weder als Bräutigam noch als Braut. Die Homo-Ehe war nie mein Plan.
Viele glauben, dass mit dem Erreichen der rechtlichen Gleichstellung das Ende des lesbisch-schwulen Kampfes um Emanzipation und Anerkennung gekommen sei. Was für ein Irrtum! Denn die kleinen Stiche im Alltag hören damit nicht auf, nicht die dummen Witze, die blöden Sprüche, die scheelen Blicke. Keine Ahnung, wo sie liegt, aber es gibt eine Ecke im Menschen, in der Dummheit und Ignoranz sitzen. Und Dummheit und Ignoranz bekommt man mit Gesetzen nicht in den Griff.
Ein früherer Chef sprach, wenn ich nicht dabei war, vor den männlichen Kollegen vom „Schwanzlutscher“, wenn er mich meinte. Und ein anderer Kollege bat mich, als wir einmal zufällig gemeinsam die Kantine betraten, ich möge mich doch nicht mit ihm an einen Tisch setzen. Er wolle nicht, dass die anderen denken, er sei auch „so einer“. Er sagte das sehr freundlich.
„Schwanzlutscher“ oder „so einer“ – ich hatte und habe die Wahl. In einer angeblich ach so toleranten Atmosphäre lauere ich als sexualisierte Bedrohung. Dagegen habe ich keine Chance. Keine Chance gegen Bilder der persönlichsten Art, mit denen ich nichts zu tun habe, die ich aber immer wieder neu belebe nur durch mein Erscheinen. Jenseits aller politischen Lager und sozialen Schichten liegen hier die Gründe für den immer noch und immer wieder schwierigen Umgang der heterosexuellen Mehrheit mit der homosexuellen Minderheit: Männer reagieren auf Schwule ganz anders als Frauen, Lesben lösen andere Bilder aus als Schwule – die Lage ist keineswegs entspannt.
Klischees geben vermeintliche Sicherheit
Da sind sie immer noch, diese billigen Klischees, längst überholt und doch wieder und wieder aktualisiert, um eine Minderheit dingfest zu machen. Woran erkennt man den homosexuellen Mann? Er spreizt gerne den kleinen Finger ab, er ist immer gepflegt, er riecht gut. Und wenn er spricht, strömen die Töne vor allem durch die Nase. Und woran erkennt man die homosexuelle Frau? Sie trägt die Haare raspelkurz, geht festen Schritts wie John Wayne, ist barsch im Umgang und gibt Widerworte. Dumme Klischees all das, gewiss, aber den Heterosexuellen nützlich, Klischees, die vermeintlich Sicherheit geben. Denn wie soll man sonst jene erkennen, die man sich vom Leibe halten will?
Jetzt soll die Gleichstellung homosexueller Paare alles richten. Die Erwartungen sind groß, die wohlwollenden Heterosexuellen erhoffen sich ein nachbarschaftliches Nebeneinander ohne Betonung des Verschiedenen. Eine Liebe wie jede andere auch: Basta! Und das wissen alle Homosexuellen, Männer wie Frauen: Nur die Ehe gibt ihnen die Chance, den verflixten Platz am Rande zu verlassen. Dafür belohnt sie die Gesellschaft und nimmt sie auf in ihre Mitte. „Wir sind jetzt mit den Kindern mehr Teil der Gesellschaft und nicht mehr die schwulen Außenseiter“, sagt in der Süddeutschen Zeitung ein schwuler Vater, der mit seinem Partner drei von Leihmüttern ausgetragene Töchter großzieht.
Vielen anderen Homosexuellen dagegen ist die Ehe einerlei, eine per Gesetz geregelte Gleichrangigkeit aber unbedingte Voraussetzung für alles, was da noch kommen muss: die völlige Akzeptanz einer Lebensweise, die so anders sein kann wie gleich, deren Verschiedenheit nicht zur Anpassung zwingt, die ihren selbstverständlichen Platz hat in der Mitte oder auch am Rand.
Seit dem 1. August 2001, dem Tag, an dem hierzulande die sogenannte Homo-Ehe eingeführt wurde, ist ein neues Bild geschaffen worden, das die alten Bilder vorläufig beiseitegeschoben hat: das homosexuelle Paar. Seitdem gibt es Lesben und Schwule nicht mehr einzeln, sondern nur noch im Doppelpack. Schwule im Standesamt, Lesben Hand in Hand, einander küssend oder im gemeinsamen Haushalt. Und wird über eine Lesbe, einen Schwulen öffentlich gesprochen, darf der Zusatz nicht mehr fehlen, dass sie oder er in einer Beziehung lebt und wie lange schon. Das ist alles freundlich gemeint, die Akzeptanz homosexueller Paare unter Deutschen liegt nach aktuellen Umfragen bei 66 Prozent. Der einzelne Fremde ist nicht mehr fremd, wenn er zweifach auftritt, sein Lebensstil unterscheidet sich offensichtlich kaum noch von dem der Mehrheit.
Mit der Möglichkeit der amtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften aber sind die Ansprüche von Lesben und Schwulen gewaltig gestiegen. Sie begnügen sich nicht mehr nur mit der halben Hochzeitstorte, nein, sie wollen sie ganz. „Im Grunde geht es darum“, so die lesbische Feministin Nina Degele, „dass alle das gleiche Recht auf Spießigkeit wollen.“ Die Homo-Ehe soll ihren Namen wirklich verdienen: mit dem Ehegattensplitting, das nach dem jüngsten Urteil aus Karlsruhe kommen wird, und dem Recht auf Adoption, das auch nicht mehr lange auf sich warten lässt, und allen sonstigen Privilegien, die einem getrauten Paar zustehen. Das stößt auf Widerstand, Deutschlands Rechte muckt auf, um die völlige Gleichstellung zu verhindern. In dieser Auseinandersetzung, die anmutet wie ein Kampf der Tradition gegen die Moderne, lassen die Gegner der Gleichstellung keine Dummheit aus. Sie beleidigen und setzen herab, sie verletzen und demütigen, sie reden wirr. Dafür stehen ihnen alle Bühnen zur Verfügung, die diese Gesellschaft unter dem Vorwand der demokratischen Auseinandersetzung bietet. Sie hocken in Talkshows rum, schreiben Kommentarspalten voll, nutzen den parlamentarischen Auftritt. Man stelle sich vor, Vergleichbares würde an gleichen Stellen über die Minderheit der Juden oder die der Migranten geäußert, ein Aufschrei ginge um – und keiner der Provokateure käme noch einmal vor eine Kamera, vor ein Mikrofon. Bei Homosexuellen ist das anders. Ihnen ist alles zuzumuten: „Die Toleranz, die sie für sich einfordern, gilt offenbar nicht für andere Standpunkte“, lamentiert die Bild-Zeitung.
Toleranz wofür? Dafür, dass der Bundestagsabgeordnete der CSU, Norbert Geis, beständig wiederholen darf, homosexuelle Eltern seien nicht „naturgemäß“ und dazu im Bundestag erläutert: „Unter Natur verstehen wir auch, dass der Mensch von Anfang an seine Würde hat.“? Dafür, dass Katherina Reiche, Staatssekretärin im Umweltministerium, in der Gleichstellung homosexueller Paare eine Gefahr sieht für den Fortbestand Deutschlands? „Wir senden mit der Homo-Ehe ein falsches Signal“, sagt sie. Dafür, dass die CDU-Bundestagsabgeordnete Ute Granold als Garant für eine „gedeihliche Entwicklung“ von Kindern nur die Vater-Mutter-Konstellation sieht, für die Bewertung anderer Lebensformen eine „gesicherte Datengrundlage“ vermisst? Dafür, dass der Journalist Ralf Schuler einer homosexuellen Partnerschaft die Gleichstellung abspricht, da sie „grundsätzlich zur Nachkommenschaft nicht fähig ist“? Dafür, dass der katholische TV-Journalist Martin Lohmann mutmaßt, Lesben und Schwule hätten „falsche heterosexuelle Erfahrungen gemacht“ und ihnen wünscht, dass sie die „Schönheit einer klaren heterosexuellen Lebenswelt“ wiederentdeckten?
Stimmung wird gemacht
Wider die Natur, ohne jede Würde, falsch – unter dem Deckmantel, sich um das Wohl von Kindern und die Vormachtstellung der heterosexuellen Ehe zu sorgen, wird hier allen homosexuellen Frauen und Männern eine Klatsche nach der anderen verabreicht. Kalt kalkuliert, skrupellos. Jedes der Argumente fällt in sich zusammen bei der erstbesten Nachfrage, alle zusammen eignen sich hervorragend, um Stimmungen heraufzubeschwören, deren Wirkungen nicht abzusehen sind. „Das ist doch wider die Natur“, sagte unlängst einer bei einer TV-Passantenumfrage. Und ein anderer: „Einem richtigen Mann wird es schlecht, wenn sich solche Homos im Fernsehen küssen und um den Hals fallen.“
Homosexuelle eignen sich gut für dieses Spiel Mehrheit versus Minderheit. Freilich sieht man sie gerne schrill und munkelt von homosexuellen Verschwörungen in Politik und Gesellschaft, aber man weiß genau, dass sie stillhalten und genügsam bleiben. Nach zwölf Jahren dieses halbherzigen Konstrukts, sperrig „eingetragene Lebenspartnerschaft“ genannt, und beflügelt durch noch zu erwartende und bereits ergangene Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu ihren Gunsten, wollen sie jetzt die völlige Gleichstellung. Das ist die historisch erstmalige Gelegenheit, Gleichheit einzufordern. So, wie sie jedem verfassungsgemäß zusteht.
Dafür würden Homosexuelle aber nicht massenhaft auf die Straße gehen. Nach jeder neuen Zumutung geht ein Raunen durch die sozialen Netzwerke, ein Klick und abgehakt. Ansonsten geben sie sich zufrieden mit dem Engagement wohlgesonnener Politiker und übereifriger Verbandslobbyisten. Der Wunsch, herauszutreten aus der Schattenwelt eines minderen Milieus, drängt zu keiner größeren politischen Aktion. Wenn einmal pro Jahr, am Christopher Street Day, Hunderttausende die Innenstädte bespielen, sind nur wenige politische Parolen zu sehen. Und auf homosexuelle Prominente, die sich wie in den USA oder in Frankreich gezielt starkmachen für ihre Rechte, wartet man hierzulande vergebens. Es herrscht Ruhe in der Minderheit, so als tangiere die aktuelle Debatte nichts von Bedeutung.
In der Tat geht es um 34 000 registrierte verpartnerte Paare und 5 700 Kinder, die in sogenannten Regenbogenfamilien leben. Das ist nicht viel, der mediale Wirbel dazu steht offensichtlich in keinem Verhältnis. Doch spürt jeder, ob homo- oder heterosexuell, dass es hier um nichts weniger geht als um, wie die Zeit formuliert, „die Auflösung der traditionellen Familie“. Nach steigenden Scheidungsraten und der Zunahme der Zahl Alleinerziehender und Singles ist die vollständige Angleichung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft an die herkömmliche Ehe die letzte Warnung vor dem Ende einer Lebensform, die man für ewig hielt, gott- und naturgegeben. Deshalb sprengen Konservative hierzulande jeden rationalen Diskurs, gehen in Frankreich Hunderttausende auf die Straße, spricht der neue Papst Franziskus von der Homo-Ehe als einem „anthropologischen Rückschritt“. Homosexuelle stehen plötzlich im Mittelpunkt gegensätzlicher Projektionen, voller Sympathie von denen betrachtet, die selbst schon lange kein Glück mehr haben mit Ehe und Familie, und mit Verve bekämpft von jenen, die den Zerfall ihrer stabilisierenden Werte fürchten. „Wenn etwas egalisiert wird, ist beides egal“, argwöhnt der CSU-Mann Norbert Geis.
Die Idee der Homo-Ehe ist noch jung in Deutschland. Als im Zuge der 68er-Bewegung eine neue Generation von Schwulen und Lesben sich an der Seite einer aufbruchbereiten Linken ihren Platz suchte, war vom bürgerlichen Lebensmodell der Ehe keine Rede. Im Gegenteil: „Letztlich verbirgt sich hinter all dem Suchen eines Schwulen nach Identität mit den Rollen einer heterosexuell geprägten Umwelt Schwulenfeindlichkeit, die für ihn nichts anderes bedeutet als Selbsthass aufgrund der Schwierigkeit, sich selbst zu akzeptieren“, hieß es 1973 in einem Papier der Homosexuellen Aktion Westberlin. Und in dem Forderungskatalog, der im Juli 1979 in Frankfurt am Main nach der bis dato größten Schwulendemonstration hierzulande verlesen wurde, stand ganz oben: „Gleiche Rechte für Homo- wie für Heterosexuelle“, von Ehe keine Rede. Herbert Rusche, Gründungsmitglied der Grünen und erster offen schwuler Abgeordneter im Bundestag, erinnert sich: „Eheschließung sahen wir als bürgerliches Problem an. Nein, die Homo-Ehe spielte keine Rolle. Uns ging es um Akzeptanz auf ganzer Linie.“ Der Einbruch der Aids-Katastrophe in den Achtzigerjahren setzte der radikalen Schwulenbewegung ein vorläufiges Ende, viele starben, und alle Kraft der Übrigen konzentrierte sich auf die Abwehr möglicher Sanktionen im Zuge der Krankheit. Im Schlepptau der sich etablierenden Grünen entstand dann eine realpolitische Strömung, die sich als Bürgerrechtsbewegung deklarierte. Sie widmete sich ausschließlich den Forderungen, die diskursfähig waren im Politbetrieb. Die Homo-Ehe rangierte mit einem Mal ganz oben auf der Agenda, der damalige Schwulenverband in Deutschland machte im August 1992 mediale Furore mit einer „Aktion Standesamt“. Damit begann der homosexuelle Marsch durch die Parlamente.
Dieses Land hat sich wahrlich sehr viel Zeit gelassen, Lesben und Schwule zur Kenntnis zu nehmen. Homosexuelle Männer galten mehr als 100 Jahre lang als Täter; seit 1871 wurden sie nach Paragraf 175 bestraft. Die Nationalsozialisten verschärften das Sonderrecht, bis zu 15 000 Schwule kamen in Konzentrationslager, mehr als die Hälfte von ihnen wurde ermordet. Überlebende galten weiterhin als Verbrecher, der verschärfte Nazi-Paragraf blieb gültig in der Bundesrepublik. Manch einer musste nach 1945 seine KZ-Strafe im Gefängnis zu Ende absitzen, einem in Gefängnis und KZ Inhaftierten wurden 1949 die Verpflegungskosten während seiner Haftjahre in Rechnung gestellt. Bundeskanzler Konrad Adenauer verteidigte den Paragrafen als „Damm gegen die Ausbreitung eines lasterhaften Treibens“, rund 50 000 Schwule wurden bis 1969 rechtskräftig danach verurteilt. Es folgten 1969 und 1972 zwei Reformen, aber erst nach der Wiedervereinigung wurde 1994 im Zuge der Rechtsangleichung zwischen DDR und BRD (die DDR hatte ihre Sondergesetzgebung 1989 abgeschafft) der Paragraf 175 endgültig gestrichen.
Nur einmal, das war am 8. Mai 1985, erinnerte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner Gedenkrede zur Befreiung vom Nationalsozialismus auch an die bislang verschwiegene Verfolgtengruppe der Homosexuellen. Es dauerte weitere 15 Jahre, bis im März 2000 der Bundestag erstmals in seiner Geschichte über die Verfolgung von Homosexuellen debattierte. Noch im selben Jahr, im Dezember 2000, entschuldigten sich die Abgeordneten des Bundestages einstimmig für die strafrechtliche Verfolgung während der Nazi- und der Nachkriegszeit. Daraufhin rehabilitierte das Parlament 2002 die schwulen Opfer des Nazi-Regimes, und Ende 2003 wurde an gleicher Stelle die Errichtung eines Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen beschlossen. In Berlin eingeweiht wurde das Denkmal 2008, 2011 folgte die Gründung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.
Das also sind die Stationen einer viel zu spät in Gang geratenen Debatte um Entschädigung und Wiedergutmachung – mit dem homosexuellen Mann als Opfer im Mittelpunkt. Ansonsten war viele Jahrzehnte von Schwulen nur als Kranken oder Kriminellen die Rede, Lesben kamen gar nicht vor. Dagegen wirkt heute das politische Ringen um eingetragene Partnerschaft, Ehegattensplitting und Adoption wie eine Diskussion mit Ausblick; schließlich geht es darum, wie homosexuelle Paare künftig ihr Leben gestalten können. Dabei fällt auf, dass in einer Gesellschaft, die nichts durchgehen lässt ohne Umfragen und Stimmungsbarometer, Lesben und Schwule in all den Jahren nie danach befragt wurden, ob sie die Homo-Ehe überhaupt wollen. Stattdessen gibt es viele repräsentative Untersuchungen in der Allgemeinbevölkerung über das Für und Wider.
Außer einigen wenigen Politikern, die ihr homosexuelles Coming-out mehr oder weniger souverän über die öffentliche Bühne gebracht haben, gibt es auch keine Lesben oder Schwulen mit Kompetenz, die man zu Wort kommen lässt. In den Talkshows sitzen homosexuelle Privatmenschen zur gefälligen Illustration am Rande dabei und dürfen darüber sprechen, wie sie mit ihren Kindern leben oder den gemeinsamen Haushalt führen. Ansonsten gelten homosexuelle Wortgeber – wie beispielsweise Wissenschaftler, Journalisten oder Publizisten – als nicht vertrauenswürdig, weil betroffen. Ihre sachliche Kompetenz wird angezweifelt, ihre Einlassungen können nur subjektiv sein. Ein Reden über Homosexuelle findet in dieser Gesellschaft nicht mit ihnen statt, sondern nur über ihre Köpfe hinweg.
Dieser Ausschluss erfolgt auch dann, wenn es um die Homosexualität öffentlicher Personen geht. Wenn einer, der prominent ist, sagt, er ist’s, geht sofort das Palaver los: Was geht uns das an? Wir gehen doch auch nicht mit unserer Sexualität an die Öffentlichkeit! Was der in seinem Schlafzimmer macht, hat uns nicht zu interessieren! Homosexuelle, deren Privatleben über viele Jahrzehnte öffentlich wurde durch Verfolgung und Strafe, sollen jetzt schweigen darüber und niemanden damit behelligen. Zwar hat Klaus Wowereit, wenn er sagt: „Und das ist auch gut so!“, noch kein Wort über seine Sexualität verloren, und doch geht sie los, die Bilderproduktion in den Köpfen der anderen. Tatsächlich ist das, was in seinem Bett passiert, ganz privat und hat niemanden zu interessieren. Aber alles andere muss selbstverständlich öffentlich sein wie bei jedem Heterosexuellen auch.
„Pfui Rosa!“
Noch größer ist die Empörung, wenn einer die Homosexualität eines anderen gegen dessen Willen enttarnt. „Pfui Rosa!“, schrie 1993 die Bild-Zeitung, als Rosa von Praunheim Hape Kerkelings und Alfred Bioleks Schwulsein öffentlich machte. Bei diesem „Pfui“ ist es bis heute geblieben. Vor ein paar Monaten wurde öffentlich über das häusliche Leben von Umweltminister Peter Altmaier spekuliert, und wieder wurde dagegen gewettert von allen Seiten. Als sei es eine Beleidigung, einem anderen nachzusagen, er sei homosexuell. Und wieder war die Rede davon, dass jeder selbst entscheiden müsse, ob er öffentlich darüber spricht oder nicht.
Auch das ist eine Fehleinschätzung: Keine Lesbe und kein Schwuler – ganz egal ob prominent oder gänzlich unbekannt – entscheidet sich freiwillig dafür, ihre/seine Homosexualität unter Verschluss zu halten. All dieses Lamento in solchen Fällen lässt nur einen Schluss zu: Homosexuelle Frauen und Männer sollen unterhalb einer bewussten Wahrnehmungsgrenze verbleiben, je weniger sich zeigen von ihnen, umso besser. Dieser Akt der Abwehr geht hinein bis in die Sprache. Ist von einem Homosexuellen die Rede, so geht nichts mehr ohne ein „bekennend“, besser noch „offen bekennend“. Mit dieser Sprachregelung wird vorausgesetzt, dass der homosexuelle Normalfall das Versteck ist, erst nach einem Bekenntnis, einer Beichte gleich, ist die öffentliche Rede erlaubt. Niemand käme auf die Idee, von einem „bekennenden“ Heterosexuellen zu sprechen. Diese Umkehrung entlarvt den baren Unsinn und bestätigt gleichzeitig die Deutungshoheit der Überlegenen.
Dabei verweisen Heterosexuelle, um sich ihrer Liberalität und Weltoffenheit zu versichern, gerne darauf, wie gut es Homosexuellen ergeht hierzulande. Jedem Konservativen reiben sie unter die Nase, wie rückständig er sei und wie wenig urban, weil er nicht für die Homo-Ehe ist. Die gute Meinung über Homosexuelle wird zum Ausweis der besseren Gesinnung. Vor ein paar Jahren noch betonten die Fortschrittlichen gerne, dass ihr Gemüsehändler ein Türke sei. Heute hat jeder einen Schwulen oder eine Lesbe in seinem Freundeskreis. Kürzlich zierte der TV-Moderator Jörg Thadeusz die Plakatwände: „Ich bin schwul“. Angeschmiert, natürlich weiß jeder, dass der Mann nicht schwul ist, aber bei dieser Aktion „Gesicht zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland“ mit einer glatten Lüge sein Gesicht zu zeigen, sollte „Irritationen und Verwirrungen“ hervorrufen.
Warum nur diese halben Sachen? Um wie vieles größer wäre die Irritation gewesen beim Anblick eines lesbischen Regierungsmitglieds oder eines schwulen Bundesligaspielers. Da wäre nicht nur die Überschrift korrekt gewesen, da hätten sich auch Toleranz und Akzeptanz wahrhaftig beweisen müssen. Stattdessen verbleiben Prominente lieber im Schrank, lassen sich in Magazinen als „ewiger Junggeselle“ porträtieren oder mieten langbeinige Begleiterinnen für den roten Teppich. Heute noch, im Jahr 2013.
So werden wir weiter im Unklaren darüber gelassen, wie Lesben und Schwule aussehen. Wir können uns auch künftig an den Vorurteilen bedienen und mit dem Paarbild den homosexuellen Klischees ein heterosexuelles hinzufügen. Nicht ohne den deutlichen Widerspruch einer jungen, der queeren Generation. Einer Generation, die die angepassten, die assimilierten Homosexuellen verlacht, die nicht mehr nur vom heteronormativen Blick spricht, sondern gar vom homonormativen. Sie lehnt die „Hierarchie der Respektabilität“ ab, von der der amerikanische Autor Michael Warner bereits 1999 sprach, und wenden sich gegen eine aufgenötigte Spaltung in gute und in schlechte Homosexuelle. Eine, die nur denen eine gesellschaftliche Anerkennung gewährt, die sich anpassen, und die alle anderen weiter aussortiert, die sich widersetzen. „Die Minderheit bleibt eine Minderheit“, schreibt der taz-Autor Enrico Ippolito, „und das ist kein schlechter Ausgangspunkt, um darüber nachzudenken, wie wir gleiche Rechte für alle Beziehungs- und Familienformen schaffen können.“
In zehn Jahren ist alles vorbei, dafür braucht es keine prophetische Gabe. Die Debatte um die rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare wird beendet sein. Was bleiben wird, sind die Unbelehrbaren, die sich auch in zehn Jahren einmischen und homosexuellen Frauen wie Männern jeglichen Respekt und jegliche Anerkennung verweigern werden. Homosexualität bleibt so lange außen vor, solange es Heterosexualität gibt.