Ich war ein Label-Junkie: In dem Buch "Good bye, Logo" erzählt Neil Boorman vom Leben ohne seine Lieblingsdroge: Marken machen Leute
Hemden von Helmut Lang und Vivienne Westwood, Turnschuhe von Adidas und Nike, Dyson-Staubsauger und Technics-Plattenspieler, Smartphone, Blackberry und ein Louis-Vuitton-Geldschein-Clip: Solche Must-Haves waren einmal der ganze Stolz des Londoner Lifestyle-Journalisten Neil Boorman. Bis zum 17. September 2006 - da verbrannte Boorman seine Habseligkeiten im Wert von 21 000 Pfund öffentlich in London. Weil er fürchtete, von den Marken und ihrem Glanz so abhängig zu sein wie andere von harten Drogen. Über seinen kalten Entzug und das labelfreie Leben hat der 32-Jährige nun den Erfahrungsbericht "Good bye, Logo" veröffentlicht.Neil Boorman, ich habe lange überlegt, was ich zu diesem Treffen anziehen soll. Schließlich beschreiben Sie in Ihrem Buch, wie Sie Leute früher primär anhand von Kleidermarken beurteilt haben. Und wer etwa Puma trug statt Adidas, hatte keine Chance.Ich versuche, das nicht mehr zu tun. Aber ich kann gar nicht anders - ich schaue hin, was die Leute tragen, sobald ich sie treffe.Was sagen Sie also?Ich weiß nicht, ich konnte an Ihnen keine Logos finden. Ich schaute mir Ihre Tasche an und Ihr Diktafon - ich habe noch nie von dieser Marke gehört. Es fällt mir wirklich schwer, herauszufinden, was für eine Person Sie sind, weil Sie keine Marken zur Schau tragen.Machen Marken Leute?Ich glaube, Leute lassen sich durch Marken machen. Alles, was wir konsumieren, ist eine Art Stenografie von dem, was wir sind. Meiner Generation wurde von Kindheit an beigebracht, dass dies die einfachste und schnellste Art sei, Identität zu bilden: Man kauft ein Paket Identitäten, mischt es auf - und hat eine Person.In Großbritannien ist Klassenbewusstsein nach wie vor stark verankert - hat die Obsession mit Brands jene mit der Postleitzahl, also der Herkunft, ersetzt?Es ist eine politisch korrekte Art, sich einer Schicht zuzuordnen. Statt zu sagen, ich komme aus der Arbeiterklasse, trägt man Reebok-Turnschuhe. Interessanterweise kaufen die Leute Marken über ihrer Schicht, wohl in der Hoffnung auf einen Aufstieg - was ein Mythos ist.Versprechen teure Labels also die Möglichkeit sozialer Mobilität?Klar kann sich auch eine alleinstehende Mutter aus der Sozialsiedlung irgendwann genug Geld für die Louis-Vuitton-Handtasche zusammensparen. Sie kann damit auf der Straße herumspazieren und vornehm ausschauen, aber am Abend muss sie zurück in ihren elenden Wohnblock gehen. Die Tasche hat sie nicht wohlhabender gemacht, sondern ärmer, weil sie ihr Geld dafür losgeworden ist.Sie haben vor unserem Treffen zu mir gesagt, Sie seien eine Art hässlicher Typ - fühlen Sie sich so?Meine Besessenheit von Marken wurzelt sicher in einem geringen Selbstbewusstsein. Diese Dinge gaben mir ein gutes Gefühl. Keine meiner Freunde, Verwandten oder Liebhaberinnen bestätigte mir regelmäßig, ich sei gutaussehend, dynamisch, erfolgreich. Die Kleider aber sagten mir das ständig.Sie sagen, Sie waren markensüchtig - ein Brandaholic. Wie äußerte sich das?In zwanghaftem Shopping und einer Obsession mit dem Status der Marken. Ich liebte es einzukaufen. Wenn ich es gerade nicht tat, dachte ich darüber nach, ich fand sogar Gründe, dafür aus dem Büro zu schleichen. Ich schaute ständig, was die Leute trugen, verglich mich mit ihnen und dachte darüber nach, was sie wohl über meine Sachen dachten.Welches Ausmaß nahm diese Sucht schließlich an?Ich hatte über 20 000 Pfund Schulden, und ich versteckte Sachen. Ich kaufte etwas, trug es nach Hause und öffnete nicht einmal die Tüte, sondern versteckte sie im Schrank, damit es meine Partnerin nicht sah.Und was hat Sie dazu bewegt, das zu ändern?Wir waren in Indien an einem einsamen Strand. Eines Tages erwachte meine Partnerin und sah mich im Meer mit meinem Blackberry winken, um Empfang zu bekommen, weil ich auf Ebay gerade für ein Sweatshirt bot. Da sagte sie mir: Das muss jetzt aufhören.Sie beschlossen also, Ihre Sachen auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen, was ihnen viel Kritik eingebracht hat. Das waren immerhin Kleider und Elektronikgeräte im Wert von über 21 000 Pfund. Warum haben Sie es nicht einer Wohltätigkeitsorganisation geschenkt?Ich war sehr wütend und wollte ein lautes Zeichen setzen. Keiner hätte sich für meine Geschichte interessiert, wenn ich einfach alles in den Wohltätigkeits-Laden getragen hätte.Haben Sie seither wirklich ganz markenfrei gelebt?Hin und wieder brauchte ich dringend Toilettenpapier und konnte nicht wählen. Jetzt, da über ein Jahr vorbei ist, gehe ich entspannter damit um. Aber alle meine Kleider sind ohne Logo.Wie steht es mit Lebensmitteln?Das ist mein neuer Lifestyle, ich mag das: auf den Markt zu gehen und frische Produkte einzukaufen.Da finden Sie sich in London unter all den Yuppies wieder, die auf den schicken Märkten für den doppelten Preis einkaufen, den sie im Laden zahlen würden.Ja, jegliche Art von Lifestyle wird hier sofort zur Marke. Das ist auch das Verrückte am grünen Konsum: Es bietet einfach einen Grund mehr, um einzukaufen. Wirklich grün konsumieren würde eigentlich bedeuten, möglichst wenig zu konsumieren.Welchen Einfluss hat das markenlose Dasein auf Ihr Leben?Es ist viel langsamer geworden. Ich brauche Zeit, um auf den Markt oder zum Metzger zu gehen. Aber das macht auch Spaß, ich habe die Händler kennengelernt - das gibt mir ein Gefühl von Gemeinschaft. Ich bin entspannter und kann mich selbst besser akzeptieren.Wie haben sich Ihre Beziehungen verändert?Für meine Partnerin war es sehr schwierig, sie musste ein Jahr ohne Fernseher leben, ohne DVD und CDs, aber wir sind immer noch zusammen und haben nun ein Kind. Es wurde nach dem Feuer empfangen. Wir mussten unsere Beziehung völlig neu aufbauen - und da hatten wir auch mehr Zeit für Sex.In Ihrem Buch reden Sie von diesen verrückten Samstagen, an denen ganz London zum Shopping geht, und bezeichnen das als typisch britisch. Was ist daran so typisch?Das Klassensystem ist in unserer Kultur stark verankert, aber seit Margaret Thatcher sind wir neureich geworden. Wir hatten in den letzten 20 Jahren einen unglaublichen Zuwachs an Wohlstand.Die meisten Leute sind doch gar nicht wohlhabend. Alles ist hier so wahnsinnig teuer, viele verdienen wenig und kommen fast nicht über die Runde.Das stimmt, die Sachen sind sehr teuer, aber der Preis spielt keine Rolle mehr, weil man so einfach zu Krediten kommt. Man überlegt sich nicht mehr, ob man sich etwas leisten kann, sondern kauft es ohnehin mit Kreditkarte. Die Privatverschuldung beläuft sich in Großbritannien nicht umsonst auf über 1,3 Billionen Pfund.Kann man denn mit Marken nicht auch friedlich zusammenleben - so wie viele Leute regelmäßig Wein trinken, ohne gleich Alkoholiker zu werden?Ich selbst habe offenbar ein großes Suchtpotenzial. Viele Leute sagen mir, sie würden sich nicht von der Werbung beeinflussen lassen. Trotzdem fahren sie einen BMW oder einen Mercedes. Man vertraut einfach der Marke. Wir unterscheiden nicht zwischen dem, was wir brauchen, und dem, was wir glauben zu brauchen. Wenn man Ende des Monats seine Bankabrechnung durchgeht und sich ehrlich fragt, was man davon wirklich, wirklich brauchte, kommt man vielleicht auf 30 bis 40 Prozent.Was soll man dagegen tun?Wir sind der Werbung gegenüber zu nachlässig. Man wird so mitgetragen, muss sich nichts überlegen und auch nicht viel tun. Trotzdem würde ich niemandem raten, seine Sachen zu verbrennen. Ich bin auch heute noch nicht sicher, ob ich wirklich das Richtige getan habe.------------------------------Neil Boorman: Good bye, Logo. Wie ich lernte, ohne Marken zu leben. Econ, Berlin 2007, 300 Seiten, 16,90 Euro.Die Homepage des Autors:www.brand-aid.info------------------------------Foto : Mach kaputt, was dich kaputtmacht: Neil Boorman zerstörte 2006 öffentlich sein Hab und Gut.