IEA-Chefökonom Fatih Birol über Klimawandel, Hybrid-Autos und den Ausbau der Kernkraft: "Die Ära des billigen Öls ist vorbei"

Herr Birol, Deutschland bekommt eine neue Regierung. Was sehen Sie als wichtigste Aufgaben an für Schwarz-Gelb?Der Klimaschutz wird eine enorme Herausforderung, auch für Deutschland. Wobei Berlin eine besondere Verantwortung hat, denn Deutschland verfügt über eine sehr starke technologische Basis, um den Klimaschutz voranzutreiben. Deutschland ist auf der anderen Seite sehr verletzlich, weil es stark von Öl, besonders aber von Gaslieferungen abhängig ist. Beide Aufgaben verlangen schnelle, gezielte Maßnahmen.Welche?Die exzellente Arbeit, die Deutschland bei der Verbesserung der Energieeffizienz bereits geleistet hat, muss weitergehen - im Autoverkehr, aber auch der energetischen Sanierung von Gebäuden. Die Nutzung der erneuerbaren Energien muss schnell weiter ausgebaut werden. Deutschland braucht noch mehr Windräder, noch mehr Photovoltaik-Anlagen und noch mehr Biomasse. Allerdings sollten alle Maßnahmen darauf geprüft werden, ob sie wirklich das Klima schützen, ob sie die deutsche Abhängigkeit von Energie-Importen reduzieren und ob sie wirtschaftlich sinnvoll sind. Drittens sollte Deutschland Anreize setzen und Geld investieren, damit die Autoindustrie bei Umwelttechniken ganz vorne mit dabei ist. Derzeit sind 95 Prozent aller Autos auf der Welt mit gewöhnlichen Verbrennungsmotoren ausgestattet. Bis 2030 müssen wir den Anteil von Elektro- und Hybridautos auf mindestens 60 Prozent bringen, um den durch den Klimawandel drohenden Temperaturanstieg auf zwei Grad zu begrenzen. Und viertens hoffe ich auf die politische Durchsetzungskraft der Deutschen.Was meinen Sie damit?Die Welt steht im Dezember auf der Klimakonferenz in Kopenhagen vor einer Entscheidung immenser Tragweite: Gelingt es, einen Nachfolger für das Kyoto-Protokoll zu installieren? Können sich die wichtigsten Staaten auf ein Abkommen einigen, das sie zu klaren Treibhausgas-Reduktionen verpflichtet? Deutschland hat unter der Leitung von Kanzlerin Angela Merkel in den vergangenen Jahren eine Führungsrolle übernommen im Kampf für so ein Abkommen, mit der Unterstützung der sehr engagierten deutschen Bevölkerung. Deutschland muss unbedingt soviel Druck machen wie nur möglich und versuchen, einen Kompromiss unter allen Beteiligten zu erreichen, vor allem bei den Schlüsselländern wie USA, China und wichtigen Ölförderländern.Warum ist ein neues Abkommen so dringend nötig?Ganz einfach: Für den World Energy Outlook 2009 haben wir ausgerechnet, dass jedes Jahr, in dem wir es versäumen, global auf klare Einsparziele hinzuarbeiten, uns 500 Milliarden Dollar kostet. Denn alle Maßnahmen müssen dann ja später getroffen werden, wenn die Klimaerwärmung bei zwei Grad gestoppt werden soll. Diese Verteuerung macht es wiederum unwahrscheinlicher, dass überhaupt ein Abkommen geschlossen wird, denn die Kosten schrecken viele Länder schon jetzt. Wobei die Kosten natürlich viel, viel höher sind, wenn wir nicht handeln.In Deutschland schwebt Union und FDP eine Kehrtwende in der Atompolitik vor: Der Ausstieg bis 2022 soll gekippt werden. Was halten Sie davon?Kernkraft spielt eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel. Derzeit beträgt der Anteil der Atomenergie am gesamten klimaneutral erzeugten Strom weltweit rund 18 Prozent. Er sollte sich unserer Ansicht nach verdoppeln bis 2030. Auch wenn die erneuerbaren Energien wie Wind und Solar eine wichtigere Rolle spielen müssen und das auch tun werden, braucht die Welt einen kräftigen Ausbau der Kernenergie, und zwar schnell. Wir können es uns nicht leisten, auf eine der Quellen für klimaschonenden Strom zu verzichten. Dazu geschieht der Klimawandel zu schnell.Sie plädieren für Weiterbetrieb?Ja, ich halte das für eine gute Option für Deutschland. Die Kraftwerke sind schon da und noch nicht übermäßig alt. Neben dem Klimawandel wird ja auch die Abhängigkeit von Importen reduziert, zum Beispiel von russischem Gas.Umweltverbände fürchten nicht nur die technischen Risiken der Kernkraft, sondern auch, dass dann der Ausbau der Erneuerbaren leidet.Wir brauchen beides: Einen drastischen Ausbau grüner Energie, dafür muss die Politik sorgen. Und zusätzlich die Atomkraftwerke. Der Klimawandel lässt uns kaum eine andere Wahl.Erdöl wird noch lange eine wichtige Rolle spielen. Die Preise sind immer noch relativ hoch, obwohl die Nachfrage durch die Krise stark zurückgegangen ist. Woran liegt das?Die Ära des billigen Öls ist vorbei. Das habe ich vor einem Jahr gesagt als die Preise nach dem Hoch im Sommer stark gefallen waren, und dabei bleibe ich. Es stimmt zwar, dass derzeit hohe Reservekapazitäten vorhanden sind, die Ölproduzenten also sehr schnell deutlich mehr aus der Erde pumpen könnten. Doch es zeichnet sich schon die nächste Knappheit ab, und das treibt die Preise.Wann kommt die Knappheit?Schon ab 2011 ist das möglich. Es hängt von der Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Erholung ab. Wenn die Weltwirtschaft sehr schnell wächst, dann braucht sie viel zusätzliches Öl. Besonders Länder wie China, Indien und die Ölstaaten könnten ihren Verbrauch schon bald wieder schnell erhöhen.Drohen also wieder Rekordpreise? Vor gut einem Jahr stand der Ölpreis ja bei knapp 150 Dollar pro Fass, heute sind es nur etwa 70.Wie gesagt, es kommt auf die wirtschaftliche Erholung an. Verläuft sie schnell, droht bald eine sehr, sehr angespannte Versorgungslage, die zu extrem hohen Preisen führen kann. Das macht mir große Sorge, denn es würde die Weltwirtschaft wieder abwürgen.Es wird viel über Peak-Oil diskutiert, die Möglichkeit, dass der Höhepunkt der Ölförderung erreicht ist und die Vorräte schnell schwinden. Wann erwarten Sie Peak-Oil?In den Ländern außerhalb der Opec erreichen wir beim konventionellen Öl gerade Peak-Oil. In den Opec-Ländern, insbesondere im Nahen Osten, gibt es nach deren Angaben noch sehr große Vorräte. Ich denke, bis 2020 ist die Versorgung der Welt mit den bekannten Lagerstätten noch einigermaßen gewährleistet. Aber danach müssen wir 20 Millionen Fass pro Tag neues Öl entdecken. Das ist nicht einfach, es hängt von der Ölpolitik und dem Investitionsklima der wichtigsten Förderländer ab. Wir müssen auch neue Ressourcen ausbeuten - zum Beispiel Tiefseevorkommen oder Teersande. Ich hoffe, dass wir bis dahin Alternativen zum Öl haben, insbesondere bei Transport und Verkehr. Der Kampf gegen den Klimawandel wird uns vermutlich genau jene Techniken bescheren, mit denen wir unsere Abhängigkeit vom Öl in den Griff bekommen.Gespräch: Jakob Schlandt------------------------------Knapp ein Achtel aus einem LandFörderung: Saudi-Arabien war im vergangenen Jahr das Land mit der größten Ölförderung und lieferte knapp ein Achtel der globalen Ausbeute. Die Liste der Länder mit dem höchstem Verbrauch wird von den USA vor China und Japan angeführt.Preis: Der Preis für ein Barrel Öl liegt auf dem Weltmarkt gegenwärtig bei etwa 70 Dollar. Das ist etwas weniger als die Hälfte des Rekordstandes von Mitte vergangenen Jahres. Die Internationale Energie-Agentur rechnet im Zuge der erwarteten weltweiten Konjunkturerholung damit, dass der Preis wieder in die Höhe geht.------------------------------Grafik: Die großen ÖlförderländerFoto: Öl-Anlage auf Kuba im Osten von HavannaFoto: Fatih Birol, Jahrgang 1958 und gebürtig in Ankara, ist Chefökonom der Internationalen Energie-Agentur mit Sitz in Paris.