Ilija Trojanow über das Land, in dem er Kind war, und das er wieder aufsuchte: "Hundezeiten" in Bulgarien: In der Hölle Europas
Kennen Sie das? Man glaubt, erwacht zu sein und muß erkennen, daß man noch träumt, daß das Erwachen ein Trug war. Als einen solchen Alptraum habe ich Trojanows "Hundezeiten" gelesen. Ilja Trojanow wurde 1965 in Sofia geboren, 1972 floh die Familie über Jugoslawien nach Italien und fand später politisches Asyl in Deutschland. In seinem Roman "Die Welt ist groß und Rettung lauert überall" (1996 erschienen) hat Trojanow darüber geschrieben, nun legt er ein Buch vor, das schwer einzuordnen ist. Es sind Reportagen von innen her, aus dem Landesinnern und aus einer Innensicht, wie sie vielleicht nur der von außen Kommende so souverän artikulieren kann. Anteilnahme aus der Distanz an einer Welt, mit der der Autor auf jene unauflösliche Weise verbunden ist, die man Kindheit nennt. Diese Teilnahme, die Wut, der Hohn des jungen Bulgaren adelt die an und für sich wohl eher tristen bulgarischen Verhältnisse, an denen in Deutschland seit je wenig Interesse bestand (woran die diesjährige Leipziger Buchmesse, deren Thema Bulgarien war, auch nichts Wesentliches geändert haben dürfte). Trojanows Schmerz hat mir Bulgarien näher gebracht, als es mir jede andere Reportage hätte bringen können. Dies ist wohl das Literarische des Buches, das die immense Flut von Faktischem, von Zeitzeugen- und Zeitungsberichten, von gründlicher Recherche in allen Bereichen des nachwendigen Bulgariens durchdringt und zu einem Ganzen werden läßt: zum Aufschrei.Es ist die andere, die westliche Sozialisation, die Trojanow aufschreien läßt. Kein eigentlicher Schrei, sondern die Dringlichkeit mit der er die Verkommenheit politischer, wirtschaftlicher, sozialer Kultur seinem Leser nahelegt, es ist sein bei aller Sachlichkeit insistierender Ton, der schreit. Die andere Sozialisation macht es ihm unmöglich, bulgarische Verhältnisse mit dem angelernten dumpfen Fatalismus vieler seiner Landsleute zu ertragen. Was sie schon viel zu lang ertragen haben, um es wirklich noch ändern zu wollen, um es innerlich noch ändern zu können, um noch an eine Änderbarkeit zu glauben. Er kann dort nicht mehr atmen, es sei denn, alles würde anders. Wie aber, wenn nicht durch Menschen wie ihn. Soll man ihm aber diesen moralischen Imperativ wünschen: Du, Trojanow, gehörst genau dorthin, nach Sofia, an den Ort deines größten Schmerzes, du könntest einen Anfang machen!? Nach der Lektüre seines Buches kann man ihm wohl nur empfehlen, was ihm viele seiner wohlmeinenden Gesprächspartner rieten: Fahr bloß schnell wieder weg und kommt nicht wieder. Sie können seine schonungslose Außenansicht gewiß schwer ertragen, wenn sie im Lande bleiben müssen oder wollen, aber sie schicken ihn auch um seinetwillen fort. Was man nicht ändern kann, darf man sich wohl nur als Autor so zu Herzen nehmen, wie es dieser Trojanow tut.Bulgarien? Das ist vielleicht der exemplarische Extremfall Ostblockland. Aus innerer Kultur kaum widerständig gegen Fremdherrschaft, nachdem es 500 Jahre türkische Provinz war, sind die öffentlichen Instanzen hier nur dem Namen nach Diener der Gesellschaft, denn diese Gesellschaft, diese Nation konnte nie zu sich finden, eine kollektive Selbstachtung, die nötig wäre, für die anderen etwas zu opfern oder zu leisten, hat sich wohl nie entwickelt. In Bulgarien herrschte bis 89 die Ausbeutung der Gesellschaft durch den "Apparat", der sich aller nur denkbarer Ressourcen des Landes bemächtigt hatte, um sie zum privaten Vorteil möglichst im Westen zu vermarkten. Vom bulgarischen Staat und seinen Organisationen wurden Schiebereien aller Art auch mit Rauschgift, mit Waffen, auch in Embargoländer, nicht nur geduldet, sondern betrieben. Und diese Machtstrukturen sind Trojanow weist das detailliert nach fast unbeschadet durch die Wende geschlüpft, haben sich anders benannt, und benehmen sich in der neuen Freiheit nur noch unverschämter. Das Parlament, die Wirtschaft, die Polizei, die Justiz, die Presse sind von alten Partei- und Stasi-Seilschaften nicht unterwandert, sondern beherrscht, ganz selbstverständlich und ohne jeglichen Widerstand. Das Elend wächst, die Auslandskredite versikkern wie das Gift der maroden Fabriken, es gibt keine oppositionelle Organisation, die der mafiosen Herrschaftsstruktur etwas entgegensetzen könnte, es gab auch vor der Wende keine nennenswerte Opposition mehr."Im Mai 1996", schreibt Trojanow, "Monate vor der nächsten Ernte, neigten die Vorräte dem Ende zu. Kein Brot , schrieen die Zeitungen, und die Menschen gewöhnten sich wieder daran, täglich um fünf Uhr aus dem Haus zu gehen, um sich in eine Schlange einzureihen. Wieder standen sie in Grüppchen vor den Geschäften, zusammengefaltete Plastiktüten in der Hand. Nur warteten sie diesmal nicht, im Gegensatz zu 1990, dem Jahr des großen Mangels, auf Milch oder Käse, sondern auf Brot. Die Verkäufer warteten mit ihnen. In einer halben Stunde , sprachen sie den Wartenden und sich selber Mut zu, in einer halben Stunde, man hat es uns versprochen. Auf der Titelseite der regierungsnahen Zeitung Duma versprach der Landwirtschaftsminister Brot für die Feiertage. Ansonsten reagierte die Regierung abgeklärt: Es gibt keine Brotkrise. Doch sie konnten nicht verheimlichen, daß ein Clan der Getreidemafia, Businessmen aus dem Umkreis des Premierministers, die heimischen Getreidereserven verscherbelt hatten." Bitterer Hohn, ein Blick, der sich gleichwohl nicht abwenden kann. Seit 1990 ist der Autor regelmäßig nach Bulgarien zurückgekehrt, verbrachte mehrere Monate dort. "Von Mal zu Mal", schreibt er im Vorwort, "verstärkt sich das Gefühl, in der Hölle Europas zu sein. Ich fuhr widerwillig hin und kehrte mit schlechten Träumen nach München zurück. ( ) Der dominierende Eindruck war der einer allumfassenden Zerstörung."Ilija Trojanow: Hundezeiten. Heimkehr in ein fremdes Land. Carl Hanser Verlag, München 1999. 313 S., 39,80 Mark.