In der Freien Schule am Mauerpark bestimmen die Kinder selbst, was sie lernen wollen und wann sie das wollen: Drei Jahre lang nur Fußball spielen

Joris will lesen, Carla will schreiben und Almut will rechnen. "Zeigt mir später bitte eure Hefte, bevor ihr sie wegräumt", sagt Lehrer Matthias Hofmann, während er in einem Buch vermerkt, welches der Kinder was machen will. Fächer wie Mathe oder Deutsch gibt es in der Freien Grundschule am Mauerpark nicht, hier heißt das: Lesen, Rechnen, Schreiben oder auch Spielen.Zwischen 10 Uhr und Mittagessen ist Arbeitszeit. Die Schüler können sich frei mit Schul- und Lernbüchern beschäftigen. Das Klassenzimmer sieht aus wie ein Spielzimmer, in dem ein paar Schulbänke stehen. Manche sitzen daran und üben Buchstaben, andere liegen auf dem Boden und lesen, wieder andere bauen mit Lego-Steinen. "Spielend lernen" ist das Motto der Schule, Lehrer und Eltern vertrauen darauf, dass die Kinder aus eigenem Antrieb lernen.Leo ist seit sechs Wochen an der Schule, Rechnen ist sein Lieblingsfach. "Ich bin gerade richtig fleißig geworden", sagt der Sechsjährige, der anfangs wenig Lust zum Lernen hatte. "Auf einmal wollte ich auf der Stelle loslernen. Weil ich gemerkt habe, dass ich das kann und weil es mir Spaß macht." Die Lehrer der Ganztagsschule stehen den Kindern unterstützend zur Seite. Hat ein Kind Probleme oder will es mehr wissen als das Schulbuch hergibt, verabredet es sich mit einem Lehrer. Klassischen Unterricht gibt es hier nicht, Hausaufgaben auch nicht. Entscheidungen wie etwa den Wechsel des Essenanbieters werden basisdemokratisch in der monatlichen Schulversammlung abgestimmt.60 Kinder gehen in die freie Grundschule, elf Lehrer kümmern sich von morgens bis nachmittags um die Schüler. Der Alltag der Kinder ist vielseitig: Trommelgruppe, Apfelernte, Schuldruckerei, Clown-AG, Töpfern und Bibliotheks-Besuche werden angeboten. Seit 2001 ist die Schule staatlich anerkannt, elf neue Schüler werden pro Schuljahr aufgenommen. Die Bewerbung dafür betrifft aber vor allem die Eltern, die beide fest hinter dem Konzept der Schule stehen sollten. "Es kann passieren, dass ein Kind bis zur dritten Klasse nur Fußball spielt", sagt Matthias Hofmann, "da dürfen die Eltern dann nicht unruhig werden".Birgit Sunder Plaßmann hat einen solchen Fall selbst erlebt. Ihre älteste Tochter Vera besuchte die Schule am Mauerpark und lernte erst in der vierten Klasse lesen und schreiben. "Das war nicht immer einfach, aber wir haben auf unser Kind, die Lehrer und das System vertraut." Heute ist Vera in der neunten Klasse auf dem Käthe-Kollwitz-Gymnasium und war letztes Jahr die viertbeste Schülerin ihrer Klasse. "Im Übergang zum Gymnasium gab es keine inhaltlichen Schwächen, nur ein paar formale. Zum Beispiel, wo man bei einer Klassenarbeit das Datum hinschreibt", erzählt die Mutter. Zwei ihrer jüngeren Kinder besuchen noch heute die freie Schule, "weil sie dort gerne zur Schule gehen". Ein wichtiges Ziel der Schule sei es, so Nerine Buhlert vom Vorstand des Elternvereins, dass die Kinder aus eigenem Antrieb ihr Ziel erreichen. Dabei gehe es nicht um Leistung, so Buhlert, im Durchschnitt seien die Gymnasial-Empfehlungen nicht höher als an anderen Schulen auch. "Uns geht es um selbstbewusste Kinder, die ihre eigenen Wege suchen", sagt sie.------------------------------Morgen lesen Sie: Was Bildungssenator Zöllner und Professor Lehmann zu Berliner Schulen sagen.------------------------------Monatlich bezahlenDie Nachfrage nach Alternativen zur Regelschule wächst. 1997 gab es in Berlin im Bereich der allgemeinbildenden Schulen 62 Schulen in freier Trägerschaft (Privatschulen). Mitte 2008 waren es bereits 86, insgesamt sind das elf Prozent aller allgemeinbildenden Schulen Berlins.Das Schulgeld für Privatschulen wird meist monatlich gezahlt: Minimum sind in Berlin 25 Euro, Maximum 250 Euro. Das durchschnittliche Schulgeld beläuft sich auf etwa 122 Euro. Bei manchen Schulen wird die Höhe des Schulgeldes einkommensabhängig berechnet.Der Tag der Freien Schulen ist eine Veranstaltungsreihe, die noch bis Sonnabend stattfindet. Morgen um 19 Uhr findet in der Freien Waldorfschule Kreuzberg (Ritterstr. 78) eine Podiumsdiskussion der Elternsprecher freier Schulen mit den finanzpolitischen Sprechern der im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien zum Thema "Bildungsgerechtigkeit" statt.------------------------------ALTERNATIVEViel EngagementFreie Schulen sind nicht in staatlicher Trägerschaft, sondern werden von kirchlichen Organisationen, Einzelpersonen oder Elternvereinen betrieben. Im Gegensatz zur Regelschule verfolgen freie Schulen oft alternative pädagogische Konzepte, Engagement und Eigeninitiative der Eltern gehören dabei häufig mit dazu. Staatlich anerkannte freie Schulen erhalten Zuschüsse und heißen Ersatzschulen, nicht anerkannte nennt man Ergänzungsschulen. (sky.)------------------------------Grafik: Privatschulen nach Bezirken------------------------------DIE SERIEEmpirische Bildungsforscher der Humboldt-Universität haben im Auftrag der Berliner Zeitung unter Leitung von Professor Rainer Lehmann alle allgemeinbildenden Schulen der Stadt befragt und die Berliner Schullandschaft untersucht. Die Ergebnisse dieser Studie stellen wir Ihnen in dieser Serie vor. Jeden Tag beleuchten wir ein Thema ausführlich. Außerdem veröffentlichen wir eine Liste aller Schulen mit ausgewählten Ergebnissen - von Montag bis Freitag auf der Serienseite. Und zum Abschluss der Serie dann nochmals in einer Beilage zum Herausnehmen. Damit Sie die richtige Schule für Ihr Kind finden.berliner-zeitung.de/schulserie: Die Folgen zum Nachlesen und ein Blog zum Mitdiskutieren.------------------------------Foto: Kaya, Luis, Alexis und Yonah (v. l.) schauen sich in der Schule mit einer Lupe den Taschen-Brockhaus an.