In "Giulia geht abends nie aus" erzählt Giuseppe Piccioni vom Segen und Verhängnis des Zögerns: Das Glück ist nie unschuldsvoll
Giulia geht abends nie aus. Sie hat schwerwiegende Gründe, es nicht zu tun. Das ist schon seit langen Jahren so, und wird sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern. Es fällt ohnehin schwer, sich Giulia anderswo vorzustellen als in dem Hallenbad, in dem sie tagsüber arbeitet. Es ist ihr Lebenselement. Das Leben verläuft dort in klaren Bahnen, sie muss nichts von sich preisgeben und kann stille Buße leisten. Das Blau, in das Luca Bigazzis Kamera das Bad taucht, leuchtet beinahe so verlockend kühl wie die Augen von Valeria Golino, die Giulia spielt.Weshalb sie sich abends nie verabredet, enthüllt der Film erst spät. Es ist ein Geheimnis, das man auch in einer Kritik nicht vorschnell ausplaudern soll. Dass es so lange gewahrt bleibt, verdankt sich der Erzählperspektive, die Giuseppe Piccioni und seine Co-Autorin Federica Pontremoli gewählt haben. Wir lernen Giulia aus dem Blickwinkel des Schriftstellers Guido kennen. Zunächst erteilt sie seiner Tochter und dann ihm Schwimmunterricht. Guidos Romane und Kurzgeschichten handeln, wie Piccionis Filme, von der Begegnung unterschiedlicher Sphären und der Sehnsucht, sich durch sie verwandeln zu dürfen. Sie sind leidlich erfolgreich, seine Tochter und nicht einmal seine Verlegerin lesen sie mit nennenswertem Interesse. Es sind die Bücher eines Menschen, der eine mittlere, kleinmütige Existenz führt.Seiner liebenswürdig schlauen Tochter ist er ein aufmerksamer Vater (hübsch, wie er zwischen ihr und dem Freund vermittelt, den sie gerade verlassen hat, dessen Hund sie aber weiterhin gern sehen möchte), seine liebenswürdig traurige Frau leidet darunter, dass sie ihren Mann nicht inspiriert. Wenn Guido nachts allein ist, statten ihm manchmal seine Figuren einen Besuch ab. "Männer im Schatten" soll seine neue Geschichtensammlung heißen. Er ist einer, dem es genügt, an der Schwelle des Glücks zu stehen. Ein guter Schwimmer werde er nie, gesteht er Giulia, aber er bleibe oben.Irgendwann erreicht der Film einmal den Punkt, an dem der Zuschauer darauf brennt, dass er die männliche Perspektive aufgibt und Giulia ihre eigene Stimme zugesteht. Piccioni hätte ihn um ein Haar verpasst. Dieses Zögern erweist sich zunächst als Vorzug, nachdem Guido der Schwimmlehrerin näher kommt. Sie ist von verführerischer Wehmut, aber keine Projektion. Dafür trägt Golino wacker Sorge, die Giulia als eine Frau spielt, die für sich keine Entschuldigungen suchen muss. Abweisend und spöttisch ist sie anfangs; es gefällt Guido, wie vulgär sie sein kann. Zwischen ihnen bahnt sich eine jener noblen Affären an, für die das Kino immer großes Verständnis hat. Das Glück ist ja nie unschuldsvoll. Aber diese zwei Liebenden tun einander gut. Ihre Zärtlichkeit ist nicht fordernd. Sie will nicht voreilig Besitz ergreifen. Ihr Begehren ist ein unverhofftes Geschenk, das sie nicht von sich selbst erlösen muss.Das Gefühl der Katharsis, das am Ende des Films in ihn einzieht, wird um einen hohen Preis errungen. Piccionis Filme (darunter "Nicht von dieser Welt") verraten großen, mitunter überschüssigen melodramatischen Elan. Zugleich finden sie jedoch die richtige Bildsprache, um diesen zu besänftigen. Ihnen eignet stets ein Flair von elegischer Glätte. Aber der Regisseur ist ein vertrauenswürdiger Treuhänder für das Gefühl des Ungenügens, das seine Charaktere umtreibt. Er hat Geduld mit denen, die ernsthaft suchen.-----------------------Giulia geht abends nie aus (Giulia non esce la sera) Italien 2009. Regie: Giuseppe Piccioni, Drehbuch: Giuseppe Piccioni, Federica Pontremoli, Kamera: Luca Bigazzi, Darsteller: Valeria Golino, Valerio Mastandrea, Sonia Bergamesco u. a.; 105 Minuten, Farbe. FSK o.A.------------------------------Foto: Diese zwei Liebenden tun einander gut. Guiseppe Piccioni gibt ihnen die Zeit, die sie für sich brauchen.