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NEW YORK In dem Versammlungsraum im Untergeschoss des Kirchengewölbes ist es kühl. Die Stuhlreihen, die in einem Halbkreis um einen runden Holztisch gruppiert sind, füllen sich langsam. Eine erhöhte Bühne ist durch einen roten Samtvorhang abgetrennt, davor sitzt ein Pianist an einem Flügel. Ein junger Mann mit Rastazöpfen stimmt einen Gospelsong an. Die etwa 30 Anwesenden, vorwiegend schwarze Frauen und Männer, erheben sich und singen mit. Der Gottesdienst in der interkonfessionellen Riverside Church im New Yorker Stadtviertel Harlem hat begonnen.Das aus weißem Kalkstein erbaute neugotische Gotteshaus mit seinem 120 Meter hohen Glockenturm ist eine Institution in der Stadt. Die New York Times nennt die Kirche eine "Festung der politischen Debatte". Die Gemeinde steht politisch links, sie lehnt den Krieg in Afghanistan ab, fordert ein Recht auf Abtreibung und kämpft für die Abschaffung der Todesstrafe. In ihrer 80-jährigen Geschichte hat die Kirche schon viele Berühmtheiten gesehen: Der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King forderte hier 1967 das Ende des Vietnamkrieges, auch Nelson Mandela, Fidel Castro, Noam Chomsky und Kofi Annan haben in der Riverside Church bereits gesprochen.Repräsentativ für die Kirchen in den USA ist die Riverside Church nicht. Aber welche andere Kirche in diesem riesigen Land wäre es? Allein in New York gibt es mehrere Tausend Kirchen und Glaubensgemeinschaften. Wer durch die Straßen der Stadt geht, stößt fast in jedem Straßenblock auf eine Kirche, einen Tempel oder eine Synagoge. Die Internetseite areaconnect.com listet unter dem Suchbegriff "Churches" allein für Manhattan mit seinen rund 1,6 Millionen Einwohnern knapp 3000 Kirchen sowie 16Moscheen auf. Die Liste für Brooklyn umfasst rund 1700 Kirchen.Seit bekannt wurde, dass einige Hundert Meter vom einstigen Standort des World Trade Centers in New York entfernt ein islamisches Gemeindezentrum entstehen soll, ereifern sich auch viele Kirchengemeinden, die in dem geplanten "Cordoba House" eine Zumutung sehen. Die meisten New Yorker hingegen reagieren gelassen, wenn man den Umfragen glauben darf. Sie nehmen den ersten Zusatzartikel zur US-Verfassung ernst, in dem garantiert wird, dass jedermann seine Religion frei ausüben darf.Zur Religionsfreiheit gehört in den USA auch, dass jeder, der sich berufen fühlt, eine Kirche gründen darf. Die christliche Kirche Universal Life Church (ULC) erteilt kostenlos Priester-Lizenzen. Wer Hochzeitspaaren den kirchlichen Segen geben oder Kinder taufen will, kann per Mausklick eine Ordination erhalten. 20 Millionen Menschen seien bereits online zum Priester geweiht worden, erklärt die ULC nicht ohne Stolz. Auch sie ist eine Kirche mit politischem Hintergrund: In den 60er- und 70er-Jahren unterstützte sie mit ihren Lizenzen vor allem Kriegsdienst-Verweigerer, die nicht nach Vietnam wollten. Als Seelsorger war es leichter, der Wehrpflicht zu entgehen.Andere Glaubensgemeinschaften in New York sind eher kurios. Da gibt es zum Beispiel die Church of Life After Shopping. Sie wurde von dem Schauspieler und selbst ernannten Priester Bill Talen Ende der 90er-Jahre ins Leben gerufen. Die Kirche, eine Vereinigung von New Yorker Aktivisten, lehnt sich gegen den Konsumwahn der Amerikaner auf. "Wir shoppen uns zu Tode", predigt Talen. Als Gegner hat sich die Gruppe Firmenketten wie Starbucks und Wal-Mart oder Disneyland ausgesucht. Jüngstes Feindobjekt von Talen, der sich während seiner Auftritte mitunter zuckend am Boden wälzt, ist die Bank JP Morgan Chase. Im April verhängte er einen heiligen Fluch über das Geldhaus, weil es den oberirdischen Bergbau im Appalachen-Gebirge finanziert. In zwei Chase-Filialen in Manhattan türmte die Kirchengemeinde Berge aus Schlamm und Dreck auf. Talen wurde verhaftet.Reich durch Gottes GunstAndere Kirchengründer zeigen weniger bekennerischen Eifer und umso regeres Interesse an irdischen Werten. Reichtum sei der Beweis für Gottes Gunst, propagiert der 48-jährige TV-Prediger Creflo Dollar, der die World Changers Church ins Leben gerufen hat. Der 48-Jährige nennt einen Rolls Royce, einen Privatjet, ein 2,5-Millionen-Dollar-Appartment in Manhattan und ein weiteres millionenschweres Anwesen in Atlanta sein Eigen. Jesus war reich, und er will, dass wir es auch sind, predigt Dollar. Der Name ist übrigens echt: "Mein Vater war ein Dollar und mein Großvater auch", sagt er. "Gott hatte ein gutes Gespür, als er mir den Namen gab."Durch und durch ihrem Glauben verpflichtet ist hingegen die Westboro Baptist Church. Aber was für einem Glauben: Ihre homophoben Anhänger demonstrieren mit Losungen wie "Gott hasst Schwule", und wenn eine jüdische Glaubensgemeinschaft im Viertel Greenwich Village auch homosexuelle Mitglieder akzeptiert, kommen noch Plakate hinzu, auf denen "Gott hasst Juden" steht.Die 1955 von dem Prediger Fred Phelps in Kansas gegründete Vereinigung schreckt nicht einmal davor zurück, Beerdigungen von Schwulen zu stören. Seit einigen Jahren stürmen Phelps' Anhänger auch Trauerfeiern von Soldaten, die im Irak oder in Afghanistan umgekommen sind. Sie kommen mit Plakaten wie "Wir danken Gott für tote Soldaten" oder "Ihr werdet in der Hölle schmoren", spucken auf die Gräber und beschimpfen die Angehörigen. Der Tod von Soldaten sei Gottes Strafe für Amerikas Toleranz gegenüber Homosexuellen, behauptet die Gruppe. Geschmackloser geht es kaum.Schwulenfeindlichkeit herrscht allerdings auch in vielen anderen Kirchengemeinden der USA, die sich ansonsten sehr gemäßigt gebärden. Eine der wenigen Glaubensgemeinschaften, die sich für die Gleichberechtigung von Homosexuellen einsetzen, ist jene Riverside Church in New York. Ausdrücklich heißt Reverend Robert Coleman in seiner Predigt alle Besucher des Gottesdienstes willkommen - unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, Hautfarbe, Nationalität, ihrem Geschlecht oder Familienstand.Die Kirche in Harlem, ein Ort der Toleranz und der Versöhnung also, an dem jedermann seinen Platz findet? Wenn das Leben doch nur nicht so kompliziert wäre: Im vergangenen Jahr ist Brad Braxton als Oberhaupt der Riverside Church zurück- und aus der Kirche ausgetreten. Mit seiner recht konservativen Glaubensauslegung fühlte er sich in der eher liberalen Gemeinde einfach nicht mehr zu Hause.------------------------------GarantierteVielfaltDer 1. Zusatzartikel zur Verfassung der USA trat 1791 in Kraft. Er garantiert neben Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit auch das Recht auf"Einrichtung einer Religion" und auf freie Religionsausübung.Die Vielfalt der Glaubensrichtungen geht zurück bis auf den Anfang dereuropäischen Besiedlung. Vieleder Gründerväter entstammtenReligionsgemeinschaften wie den Quäkern. Sie wanderten nachNordamerika aus, weil ihr Glaubevon der Amtskirche in ihrer Heimat nicht geduldet wurde.Staat und Kirche sind in den USA streng getrennt. Dass der Staat wie etwa in Deutschland für eine Religionsgemeinschaft Kirchensteuern einziehen könnte, ist dort undenkbar.Finanziell privilegiert sind dieKirchen in den USA dennoch:Anerkannte Kirchen müssen ihreEinnahmen nicht offenlegen. Obendrein sind sie von der Einkommensteuer befreit.------------------------------Foto: Ein Tempel der Liberalität: die Riverside Church in Harlem.