In Potsdam will die SPD-Spitze ihren Oberbürgermeister durch den populären Umweltminister ersetzen doch sie steht nur halbherzig dazu: "Platzeck und Gramlich - das ist wie Tag und Nacht"
POTSDAM, 12. Mai. Horst Gramlich sieht erholt aus. Das sonnengebräunte Gesicht des Potsdamer Oberbürgermeisters läßt Kulturminister Steffen Reiche neben ihm noch blasser erscheinen. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz verteidigt Gramlich ungewohnt kämpferisch den Kompromiß zum umstrittenen Potsdam-Center.Als ein Journalist nach dem Bürgerentscheid gegen Gramlich fragt, sagt der OB: "Ich bin im Amt. Etwas anderes zählt hier nicht." Der junge SPD-Vorsitzende Reiche und der 60jährige SPD-Oberbürgermeister, der von seiner Partei verlassen wurde, wechseln kein persönliches Wort. Vielleicht ist Horst Gramlich nur noch bis Sonntag im Amt. Auf einem SPD-Parteitag Mitte Februar hatte Parteichef Steffen Reiche unter Applaus dem angeschlagenen Oberbürgermeister "der erfolgreichsten Stadt Ostdeutschlands" alle Solidarität der SPD versichert. Zwei Tage später die Unterschriftensammlungen zur Einleitung des Bürgerentscheids gegen Gramlich hatten gerade begonnen präsentierte die SPD-Spitze offziell den strahlenden Umweltminister Matthias Platzeck als potentiellen Nachfolger.Wer das Signal noch nicht verstanden hatte, dem gab Regierungschef Manfred Stolpe Interpretationshilfe: Jetzt habe Potsdam die Chance zu "einem überzeugenden Neubeginn".Chaos im RathausDer "Spiegel" hatte Potsdam schon vor anderthalb Jahren als "Hauptstadt der Jammer-Ossis" gebrandmarkt: Als Stadt mit der höchsten Lebensqualität im Osten, die von ihren Einwohnern genau gegenteilig beurteilt wird. Im alten Zentrum, im Holländerviertel, auch in Babelsberg werden viele Straßenzüge bereits von restaurierten Altbauten geprägt. Die öffentliche Diskussion beherrschen aber die Bausünden. Die erste, am Glienicker Horn, wo der Blick vom Babelsberger Park zum Neuen Garten mit protzigen Stadtvillen zugebaut wurde. Und die vorerst letzte: Der unfertige Beton-Koloß Potsdam-Center am Stadt-Bahnhof, der das Unesco-Welterbekomitee auf den Plan rief.Zu den Gebäuden, die unberührt von der neuen Zeit blieben, zählt das Potsdamer Rathaus ein neubarocker Bau, kurz nach der Jahrhundertwende als Regierungsgebäude entstanden. Die Butzenscheiben im Treppenhaus lassen wenig Tageslicht einfallen. Lampen gibt es nicht. Von den Wänden blättert die Farbe. Hier regiert Horst Gramlich seit 1990.Die Wende hat den früher parteilosen Dozenten für Wirtschaftsplanung und Planerfüllung an der Potsdamer Akademie für Staat und Recht in das Amt gebracht. Er hat sich nicht danach gedrängt. Trotz enormem Arbeitseinsatz vermochte es der in sich gekehrte Mann nie, die schwierige Stadt in Aufbruchstimmung zu versetzen. Am liebsten vergräbt er sich in seinen Akten. Öffentliche Auftritte, der Small Talk beim Steh-Empfang sind ihm bis heute zuwider. Zu solchen Anlässen kommt Horst Gramlich spät und geht früh.Entscheidungsschwäche, mangelnde Führungsqualitäten, Unfähigkeit, für die Stadt zu werben, die lange Liste der gegen den Potsdamer OB erhobenen Vorwürfe kam immer auch aus den eigenen Reihen. Zwischen Potsdamer Rathaus und dem Sitz der Stolpe-Regierung liegen nur wenige Kilometer. Aber die Verständigung zwischen Stadt- und Landespolitik funktioniert nirgends so schlecht wie hier. 1993 stellte die SPD Gramlich trotzdem wieder auf. Sie hatte keinen anderen. Nur ganz knapp wurde er gegen den PDS-Mann Rolf Kutzmutz in der Direktwahl durchgesetzt.Rainer Speer, der Unterbezirksvorsitzende der 550 Mitglieder zählenden Potsdamer SPD, mußte seit November ungezählte Krisensitzungen absolvieren. Die Malaise begann mit der "Baufilz-Affäre" von SPD-Baustadtrat Detlef Kaminski. Der einst mächtigste Mann im Potsdamer Rathaus hatte mit einer Bank, deren Bauprojekt in der Innenstadt er befördert hatte, einen Optionsvertrag über den günstigen Kauf einer luxuriösen Eigentumswohnung abgeschlossen. Den hat er zwar nie eingelöst, aber der Kontrakt kostete ihn im Januar sein Amt. Bevor auch Teile der SPD zu Kaminskis Abwahl im Stadtparlament ja sagten, hatte die Partei Wochen nach einer Lösung gesucht, wie mit Kaminskis "Fehler" umzugehen sei.Der 39jährige Speer, wie Gramlich und Kaminski Potsdamer SPD-Mann der ersten Stunde, hätte den umtriebigen Stadtrat gerne gehalten. Er wußte, daß sein Abgang auch das Ende des überforderten Oberbürgermeisters einläuten würde. Als das SPD-regierte Innenministerium ohne parteiinterne Vorwarnung Kaminskis Suspendierung betrieb, war nichts mehr zu retten.Verläßlichster Partner der Stadt-SPD war in dieser Zeit die PDS. Mit 38 Prozent Wählerzuspruch stärkste politische Kraft in Potsdam, hat sie seit 1993 kräftig mitregiert. Erst als Gramlich immer mehr in die Schußlinie geriet, witterten die ehemaligen Einheitssozialisten die Chance, aus dem Chaos im Rathaus Kapital zu schlagen. Nach den Jahren der heimlichen Koalition forderten sie von der SPD im Februar plötzlich offene Bekenntnisse zur Zusammenarbeit. Diese Wendung erregte im Bundestagswahljahr vor allem in der Bonner SPD Besorgnis. Der Druck auf Unterbezirkschef Speer wurde immer größer.Im Hauptberuf ist Rainer Speer Staatssekretär im Umweltministerium von Matthias Platzeck. Die beiden sind befreundet. Speer gilt als Vertrauter des Ministerpäsidenten und soll nach den Wahlen 99 Chef der Staatskanzlei werden. Manfred Stolpe auch ein Potsdamer hatte schon lange signalisiert, daß er nur seinem Kronprinzen Platzeck zutraue, das Dauergezänk in und um die Landeshauptstadt zu beenden.Zwiespalt an der BasisDer 44jährige Matthias Platzeck ist gebürtiger Babelsberger. Er kennt fast jeden Winkel der Stadt. Und er kennt ihre Verwaltung. Noch aus den Zeiten vor der Wende, als er Abteilungsleiter in der Hygieneinspektion Potsdam war. Kein anderer Politiker hat Potsdam so inbrünstige Liebeserklärungen gemacht wie Platzeck. Und wohl kaum einer hat so sehr am schlechten Erscheinungsbild der alten Residenz-Stadt gelitten. Diese Gefühlslage und die beklemmende Umarmung der PDS gaben den Ausschlag, als Platzeck dem Drängen Speers endlich nachgab und sich bereit erklärte, als Königsmörder in die Niederungen der Kommunalpolitik hinabzusteigen. Die Gefühlslage der eigenen Partei-Basis hatte das Trio Stolpe Speer Platzeck nicht im Blick.Im "Lindenhof" in Drewitz herrscht emotionsgeladene Stimmung. "Ich bin in einen tiefen Zwiespalt geraten", bekennt ein junger Sozialdemokrat. Lange Zeit hat er ehrlich dafür gestritten, seinem von allen Seiten attackierten Oberbürgermeister den Rücken zu stärken. Nun hat er mit seiner Überzeugung ein Problem. "Machen wir uns nichts vor", ruft der Mann: "Platzeck und Gramlich nebeneinander, das ist wie Tag und Nacht!" Sein Verstand sagt ihm: "Gramlich abwählen!" Was er den Leuten sagen soll, die ihn fragen, wie er am 17. Mai abstimmt, das weiß er nicht.Die Wahlbenachrichtigungen für den Bürgerentscheid sind längst eingetroffen. Aber die zwölf SPDler, die sich zur Sitzung des SPD-Ortsvereins der Potsdamer Neubaugebiete Stern, Drewitz und Kirchsteigfeld treffen, wissen noch immer nicht, wie sie sich zu ihren beiden OB-Kandidaten verhalten sollen. Da kommt Wut auf, über Landesregierung und Landes-SPD, die sich "viel zu sehr einmischen". Die von der Landespartei in Auftrag gegebene Umfrage, nach der die Stadt-SPD mit Platzeck an der Spitze bei den Kommunalwahlen im September erdrutschartige Zugewinne von 18 Prozent einbringen und die PDS als stärkste Kraft weit hinter sich lassen könnte, beeindruckt kaum. Viel zentraler ist an diesem Abend die Frage, "wie geht die SPD mit ihren Leuten um?" "Gramlich wird in die Geschichte eingehen als erster Nachwende-Bürgermeister von Potsdam, der von seiner Partei fallengelassen wurde", ruft einer. Am anderen Ende des Tisches fordert ein anderer: "Wir müssen über Inhalte reden. Ich mache einen solchen Putsch nicht mit!"Die SPD hat sich in eine schizophrene Lage manövriert. Eigentlich ist Matthias Platzeck ihr Traumprinz für das Bürgermeisteramt. Der Sonny-Boy des Stolpe-Kabinetts kann mit Bürgerinitiativlern genauso freundlich und offen umgehen wie mit Investoren. Er führt die Rangliste der beliebtesten Politiker des Landes an.Aber die Art und Weise, wie er inthronisiert wurde, weckte den Widerstandsgeist der Basis, die sich mit den herrschenden Verhältnissen längst abgefunden hatte. Damit die Konflikte in der zerrissenen SPD nicht offen ausbrechen, klammern sich alle an den von der Parteispitze ausgeworfenen Rettungsanker: An die neutrale Losung, jetzt können die Potdamer Bürger frei entscheiden. Oft folgt noch der trotzige Nachsatz: "Wir haben den Bürgerentscheid ja nicht gewollt!"Konspirativer WahlkampfNiemand in der SPD hat es gewagt, von der Partei ein klares Votum für Matthias Platzeck einzufordern den einzigen Brandenburger SPD-Politiker, der offen für ein Amt in Bonn umworben wird. Der Pro-Platzeck-Wahlkampf der SPD wird allenfalls konspirativ geführt. Mit mehr oder minder verschlüsselten Botschaften von Landespolitikern, dem Verbreiten positiver Umfragen, mit gezielt arrangierten Auftritten Platzecks wie zur 1.-Mai-Feier in Potsdam mit Kanzlerkandidat Gerhard Schröder. Im Stadtbild weist nichts auf den Bürgerentscheid am Sonntag hin. Die Landes-SPD setzt wieder einmal alle Hoffnung auf die Autorität von Landesvater Stolpe, der am letzten Wochenende in Zeitungsinterviews ungewohnt eindeutig Partei für den "Mutmacher" Platzeck ergriffen hat.Um die Ära Gramlich zu beenden, müßten mindestens 26 000 Potsdamer in die Wahllokale strömen und "ja" zur Abwahl sagen. Dazu aufgefordert werden sie von keiner Partei. Selbst das schillernde Bündnis aus CDU, Bündnisgrünen, Bürgerbündnis und Wehrdienstverweigerern, das den Bürgerentscheid eingeleitet hat, verhält sich zurückhaltend, seit die Umfragen ihnen allen sinkende Wählersympathien attestiert haben. Die PDS wirbt unter der Hand sogar für den alten OB. Ein schwacher Gramlich sichert ihr allemal mehr Einfluß als ein starker Platzeck.Horst Gramlich wirkt bei seinen öffentlichen Autritten immer befreiter. Bei schönem Wetter wird er den Wahltag wohl im Garten verbringen. Nach den Wochen der öffentlichen Demontage hat er nichts mehr zu verlieren.