Interview mit Lars Eidinger: "Michael Jackson war immer mein Idol"
Die Plattenfirma K7 residiert im alten Krematorium Wedding in der Gerichtstraße. Und wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen, der Schauspieler Lars Eidinger, 41, habe sich das Label nur deshalb für die Veröffentlichung seiner ersten Platte ausgesucht.
„Wussten Sie, dass man das damals für Katastrophenfälle gebaut hat, um möglichst schnell möglichst viele Leichen zu verbrennen?“, sagt er, während wir durch den von steinernen Greifen bewachten Innenhof spazieren, auf der Suche nach einem geeigneten Fotospot.
Die morbide Atmosphäre spiegelt jedenfalls auf wundersame Weise die Stimmung auf dem Album wieder, das er „I’ll Break Ya Legg“ genannt hat und ein knappes Dutzend düster groovender Instrumental-Tracks versammelt, die er schon vor zwanzig Jahren aufgenommen hat. Und sein Grundbefinden sowieso, das von „einer gewissen Melancholie bis hin zur Depression“ geprägt ist.
Herr Eidinger, Ihr Album heißt „I’ll Break Ya Legg“. Ist das Slang – oder was hat man sich unter dem Titel vorzustellen?
Ehrlich gesagt, habe ich mich da verschrieben. Ich wusste gar nicht, das man „Leg“ nur mit einem „g“ schreibt. Ich wusste auch nicht, dass „to break a leg“ eine englische Redensart ist und soviel heißt wie „Hals und Beinbruch“. Auch wenn man das den Hören nur wünschen kann – zumindest, wenn sie zu der Platte tanzen wollen. Es ist keine Tanzplatte.
Das Cover zeigt, wie Sie in einem weißen Kleid ins Wasser gehen. Was sagt das über die Platte aus, was sagt das über Sie aus?
Das Foto hat Juergen Teller gemacht, den ich schon lange kenne, und dem ich auch ganz viel zu verdanken habe. Ich habe ihn kennengelernt, ich glaube es war 2010, das Zeit-Magazin wollte ein Porträt bringen und hatte ihn als Fotografen angefragt. Damals kannte mich noch keine Sau, ich dachte das wird nie passieren, und dann hat er mich aber tatsächlich angerufen…
… und machte das berühmte Bild, auf dem Sie dreckbeschmiert in Unterhose und mit Krone auf dem Kopf im Türrahmen stehen.
Gut, dachte ich, er wird vorbeikommen, stell dich mal vor eine weiße Wand, und in zehn Minuten sind wir fertig. Aber dann hat er erstmal vier Stunden nur mit mir geredet, bevor er das erste Foto gemacht hat, und am Ende hat er einen ganzen Tag mit mir verbracht. Wir haben uns sofort angefreundet, auch von seiner Seite war das Liebe auf den ersten Blick.
Und das Coverfoto jetzt?
Das ist im Zusammenhang mit einer Schaubühnen-Kampagne entstanden. Ich wollte das Motiv nachstellen von Ophelia, die im Wasser treibt. Das Foto zeigt sozusagen den Weg dahin. Das trifft die Stimmung der Platte ganz gut. Es hat sowas Morbides, was Suizidales offensichtlich. Dann spielt es mit den Geschlechtern, das ist etwas, was mir sehr nahe ist – also dass da ein Mann ein Frauenkleid anhat. Dann hat es auch was Romantisches. Und schließlich ist Juergen Teller ja einer, der offensiv mit den Makeln der Leute umgeht …
Ihr Haarproblem.
Jeder andere würde da kurz mit Fotoshop drüber gehen und das zumachen. Dass man in der Hochglanzästhetik so offensiv damit umgeht und das auch zeigt: Das ist auch ein Kommentar zur Popkultur. So etwas kommt eigentlich in der Popkultur nicht vor: Leute, denen die Haare ausfallen.
Sie gehen erstaunlich cool damit um.
Das ist erblich bedingt. Mein Vater hatte in meinem Alter gar keine Haare mehr. Ich glaube, das ist für keinen Mann einfach. Es ist aber interessant, wie einfach es sich die Leute machen, sich darüber zu erheben.
Erleben Sie das so?
Ich war neulich auf einer Preisverleihung. Anneke Kim Sarnau und Bjarne Mädel waren auf der Bühne und haben gescherzt, es ging darum, dass Bjarne Mädel nie für einen Preis nominiert wird, ich war aber nominiert – und dann meinte Anneke Kim Sarnau, dem Lars Eidinger fallen doch auch schon die Haare aus und der bekommt trotzdem Nominierungen.
Da dacht ich nur: Wenn ich jetzt über eine Kollegin sagen würde, die hat doch auch Hängebrüste – was wäre da wohl los! Wir müssen einen Weg finden, wie man da großzügiger wird miteinander. Wir sollten Lady Gaga beherzigen, die sagt: „Lasst uns unsere Makel zu etwas Besonderem erheben.“
Mögen Sie sich auf Fotos?
Als Schauspieler habe ich naturgemäß einen gewissen Geltungsdrang, deshalb bin ich’s ja geworden. Ich habe immer davon geträumt, auf einem Bravo-Poster zu landen. Das hat leider nicht geklappt.
Sie haben die Bravo gelesen?
Damit bin ich aufgewachsen. Mit diesen Postern, die wie Ikonen in meinem Zimmer hingen. A-ha waren ganz wichtig, Morten Harket war für mich wie so eine Jesus-Figur. Es war mir aber irgendwann nicht mehr genug, die nur anzubeten – ich wollte dann auch selber einer von denen sein. Das war immer mein Ziel, auch zu so einer Ikone aufzusteigen. Juergen Teller hat mir das Foto aus dem Zeit-Magazin übrigens hinterher geschenkt, so auf zwei Meter mal einsfünfzig, das hängt jetzt bei mir zu Hause, für mich hat das den Stellenwert von einem Bravo-Poster.
Findet Ihre Frau das in Ordnung?
Also am Anfang gab’s eine Diskussion. Darüber, was das so zu bedeuten hat, wenn man sich selber da in Unterhose im Wohnzimmer hängen hat. Und was, wenn Freundinnen meiner Tochter zu Besuch sind? Wollen wir, dass unsere Tochter eine Freundin besucht, und der Vater hängt da in Unterhose? Aber letztlich denke ich mir, das bin ja nicht ich. Das ist ja eine Stilisierung, mit der umgedrehten Krone, dem Schmutz, das ist mehr Hamlet als Lars Eidinger. Irgendein selbstverliebtes Schauspielerporträt, wo man da mit einem Arm aufgestützt in die Kamera blickt, fände ich fast aufdringlicher.
Kennen Sie Kevin Rowland?
Nein.
Der frühere Sänger der Dexys Midnight Runners.
Ah ja.
Der posierte für sein Soloalbum „My Beauty“ in einem Spitzenkleid. Das war das Ende seiner Karriere und führt heute ziemlich jede Liste der „schlechtestes Album-Cover aller Zeiten“ an.
Bei mir ist es der Anfang ... Nahezu jeder Popkünstler, auf den ich was gebe, hat schon mit so etwas gespielt: Es gibt Bilder von Tricky im Hochzeitskleid, es gibt Bilder von Kurt Cobain ein einem Frauenkleid, es gibt ein Bild von Michael Jackson in Strapsen …
Michael Jackson in Strapsen?
Nein, das gibt es nicht.
Sie sagten bereits, dass Ihnen das Spiel mit den Geschlechtern nahe ist.
Das Spiel mit der Androgynität hat wirklich eine lange Geschichte. Ich finde das immer kurios, dass es gleich der Aufmacher diverser Zeitungen ist, wenn ich mir nur die Fingernägel anmale. Ich habe neulich eine Dokumentation über Mick Rock gesehen, der in den 70ern diese ganzen Cover gemacht hat, von David Bowie, Lou Reed – die Jungs haben sich alle die Fingernägel lackiert.
Meine Teenagerhelden waren David Sylvian und Adam Ant. David Sylvian sah aus wie Lady Di, und Adam Ant trug Federn im Haar und einen weißen Streifen quer über der Nase. So bin ich dann auch in die Schule gegangen.
Ach ja, das haben Sie sich getraut? Das ist ja mein Dilemma gewesen, dass ich genau in der Schule immer Angst hatte. Ich hatte mich nicht einmal getraut zuzugeben, dass ich Schauspieler werden wollte, obwohl es mir relativ früh klar war. Ich habe diese Popkünstler auch deshalb so bewundert, gerade in den 80ern, weil sie so expressiv waren, so extrem, und so viel Mut und Fantasie hatten zur Verkleidung. Zu Hause vorm Spiegel ja, aber ich hätte mich nie getraut, so auf die Straße zu gehen.
Aber Sie trauen es sich jetzt.
Jetzt ja. Aber es ist immer noch mit einer gewissen Überwindung verbunden.
Braucht die Welt nun auch eine Platte von Lars Eidinger?
Es kommt ja demnächst auch noch meine Schmuckkollektion.
Na dann.
Ich weiß schon, dass der eine oder andere jetzt denkt: Was muss’n der jetzt auch noch Musik machen? Und wenn ich ehrlich zu mir bin, denke ich genau so schlecht über die Kollegen, die jetzt alle Musik machen. Aber ich fühle mich da auf der sicheren Seite, weil die Musik ja schon ein bisschen älter ist, späte 90er, aus einer Zeit also, als ich noch studiert habe. Ich mach ja schon ganz lange Musik.
Immerhin singen Sie nicht.
Ich finde, die Musik ist sowieso auf eine Weise sperrig und nicht gefällig, dass gar kein Verdacht aufkommt, dass ich da irgendwen oder irgendwas melken will. Ein paar Leute wird es interessieren, die anderen wird’s eher verstören. Wenn ich jetzt deutsche Singer-Songwriter-Musik machen würde, wäre die Situation schon eine andere.
„I’ll Break Ya Legg“ ist HipHop – düsterer, instrumentaler HipHop. Wenn mich vorher jemand gefragt hätte, wie ich meine, dass Lars Eidinger klingt, hätte ich eher auf Schubert-Lieder getippt oder auf harten Techno.
Na, das ist wahrscheinlich genau die Mischung.
Wer soll es hören? Wo passt es hin? Was sagt es über Sie?
Ich finde schon, dass es den Kern dessen anspricht, was mich so ausmacht. Ich meine, heute verbindet man vielleicht eher etwas Expressives mit mir, aber eigentlich bin ich von der Veranlagung her total phlegmatisch. Die Expressivität hat ja ihren Ursprung darin, gegen dieses Phlegma anzukämpfen. Ich würde mich eher als melancholischen bis depressiven Charakter beschreiben. Ich versuche halt, dem nicht so zu erliegen. So wie diese Musik sieht es in mir aus, und das spür ich auch immer noch, zwanzig Jahre nachdem ich sie gemacht habe. Deshalb hat sie bis heute eine Gültigkeit. Ich würde sie zwar heute wohl nicht mehr so machen, aber ich war total froh darüber, dass die Leute von K7 das Ganze wieder ausgegraben und mich gefragt haben, ob sie das nicht noch mal rausbringen dürfen. Das hat mir total eingeleuchtet.
Es ist eine Wiederveröffentlichung?
Vor zwanzig Jahren sind sechs Tracks davon erschienen, zusammen mit zwei anderen Platten, eine von Transporter, eine von Lamé Gold, in einer kleinen 10-Inch-Vinyl-Reihe. Die hatten alle das gleiche Cover, das war von Max Dax layoutet, alle drei waren so türkisfarben, also in so einem komischer Grünton. Und es hat mich jetzt auch wahnsinnig gereizt, die Möglichkeit zu haben, mein eigenes Cover zu gestalten. So wie jeder von uns als Kind im Bett liegend davon träumt, wie er seine Band nennen könnte, habe ich mir immer vorgestellt, wie mein Cover aussehen würde, wenn ich eine Platte mache.
Wann und wo haben Sie die Sachen aufgenommen?
Um 1996 herum, zu Hause in meinem Elternhaus im Keller.
Ach, Sie wohnten damals noch zu Hause?
Ja klar. Ich war ja noch auf der Schauspielschule und habe kein Geld verdient. Bis ich dann meinen ersten Stückvertrag am Renaissancetheater bekam, da habe ich 200 Mark pro Vorstellung bekommen, da konnte ich dann ein Zimmer von einem Freund übernehmen, am Kudamm.
Darf ich fragen, wo Ihr Elternhaus war?
In Marienfelde. Das steht da auch immer noch, und meine Eltern wohnen da immer noch. Und den Keller gibt es auch noch, wo ich die Musik aufgenommen habe. Ich habe mich damals mit einer Gruppe von Freunden zusammengetan und einen PC für 2 000 Mark angeschafft, weil das für einen zu teuer gewesen wäre. Der stand dann da, und jeder durfte immer rein und musizieren. Die Mittel waren natürlich total eingeschränkt, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen – ich hatte eine 4MB-Soundkarte, das heißt, ich konnte die Drums in Stereo sampeln, alles andere in Mono; das hat halt auch die ganze Sound-Ästhetik vorgegeben.
Das geht heute schon wieder als Retro-Cool durch.
Ich habe neulich ein interessantes Interview mit Jean-Michel Jarre gelesen, der meinte, dass eine Form von Reduzierung immer auch stilprägend ist. Und das stimmt schon. Wenn man in seinen Mitteln limitiert ist, ist man doch kreativer. Ich hatte Freunde, die große Studios zur Verfügung hatten, mit Broad-Synthesizern und allem möglichen, und immer, wenn ich gesagt habe, spiel mir mal was vor, meinten sie: „Ne, noch nichts fertig, nur so Ideen.“ Ich hatte halt relativ schnell Ergebnisse. Gleich das erste Stück, das ich gemacht habe, es heißt „Empty Teardrop“, ist jetzt auf der Platte drauf.
Ist bei Ihnen zu Hause alles noch so wie es war? Ihr Zimmer unverändert, Ihr A-ha-Starschnitt noch an der Wand?
Ziemlich, ja. Meine Eltern schmeißen aber immer mal wieder was weg. Dann steht da eine große Kiste, und sie fragen: „Brauchst du das noch?“ Neulich erst habe ich einen ganzen Schwung Musikkassetten entsorgt. Das hat ein bisschen wehgetan, aber ich wollte die auch nicht zu Hause haben.
Die Bravos?
Die Bravos habe ich noch, die sind unangetastet. Die will ich auch behalten.
Gibt es den PC noch?
Der stand ewig bei uns rum, und meine Frau hat sich daran gestört, weil das so ein Riesenkasten war, und irgendwann habe ich was beim China-Lieferservice bestellt – und als er kam, hat ihm meine Frau spontan diesen Rechner geschenkt. Der stand halt so im Flur, dann kam dieser Lieferservice, meine Frau meinte: „Braucht ihr ’nen Computer?“ Und die so: „Ja, nehm’ wa mit.“
Und Ihre ganze Musik drauf?
Als die von K7 anriefen und meinten, sie wollten die Sachen wiederveröffentlichen, musste ich ihnen erstmal sagen: „Tut mir leid, meine Frau hat leider den Computer weggeschenkt.“ Ich habe dann zum Glück noch eine MD gefunden, das war so ein Format, das schon wieder gestorben ist ...
Ah, Mini Disc.
Ja, da waren die ganzen Sachen noch drauf. Im Theater hab ich dann auch noch ein Gerät gefunden, um das zu überspielen.
Hatten Sie denn zuletzt auch andere Angebote, mal eine Platte zu machen?
Ich hatte mal das Angebot, eine Session zu machen mit Annette Humpe, und das fand ich total schmeichelhaft. Die ist, wie alle wissen, die größte Musikproduzentin Deutschlands. Die hat sich Hamlet angekuckt und meinte hinterher: „Ey, du groovst ja total. Lass uns mal treffen.“ Ich hab’s dann nicht gemacht. Ich dachte, eben, wenn ich jetzt noch anfange zu singen, das glaubt mir vielleicht keiner.
Gibt man mit einer Platte mehr von sich preis als mit einer Theater- oder einer Filmrolle?
Ich glaube, das funktioniert sehr ähnlich. Wenn ich auf der Bühne stehe und mich selber zur Disposition stelle, und wenn ich ehrlich bin zu mir und zum Publikum, dann erfahre ich etwas über mich. Das Publikum lernt aber im Umkehrschluss auch etwas über sich. Wenn ich das Publikum als Spiegel benutze, benutzen die mich auch als Spiegel, das heißt, den Leuten geht es, wenn sie mich betrachten, um sich selbst – sie projizieren sich in mich und leiden dann, weil sie sich vorstellen, sie würden das gleiche durchleben wie die Figur oder ich. Und so funktioniert ja Popmusik auch. Man projiziert sich hinein, und es geht um die eigenen Gefühle. Ich glaube, letztendlich funktioniert die Platte dann am besten, wenn die Leute sich selber da entdecken, nicht mich.
Geht Ihnen das so mit Ihren Lieblingsplatten?
Ich drehe gerade einen Film mit Juliette Binoche und Robert Pattinson, und da spielt auch André Benjamin mit, also André 3000 von Outcast. Ich fand es, und das habe ich ihm auch gesagt, extrem kurios, ihn zu treffen. Ich meine, wenn man einen Schauspieler toll findet, dann schaut man sich vielleicht den Film zweimal an. Aber wenn man einen Popmusiker toll findet, dann verbringt man so viel Zeit, auch intime Zeit, mit seiner Musik und seiner Stimme, und es ist extrem irritierend, ihm plötzlich gegenüberzustehen. Weil ich dann doch merke, dass es viel mehr mit mir als mit ihm zu tun hat. Da stört mich seine Persönlichkeit fast, die will ich eigentlich ausblenden.
Macht es Ihnen Angst, wenn Fans glauben, sie kennen Sie?
Sie meinen, ob mich die Leute mit meinen Rollen verwechseln?
Ja.
Ach, das hält sich in Grenzen. Was die Leute vergessen: Ich spiele ja auch, wenn ich in einem Interview auftrete, eine Rolle. In gewisser Weise spiele ich ja immer Lars Eidinger. Der Lars Eidinger, den meine Frau kennt und den ich zu Hause abgebe, ist dann aber doch noch mal ganz anders.
Kommen Sie damit gut zurecht?
Klar wünscht man sich manchmal, man wäre Hamlet, auch im Alltag, und dann ist man fast ein bisschen wehmütig, wenn man diese Rolle zurücklässt. Und merkt, dass man da viel mutiger ist und über eine Expressivität verfügt, über die man im Alltag nicht verfügt. Das kenn ich schon. Dass ich privat viel mehr Zwängen und Ängsten unterworfen bin als in gewissen Figuren. Und das macht ja auch den Reiz des Berufs aus. Das hat ja schon immer was von diesem Wechselspiel zwischen Superman und Clark Kent. Das ist ein und dieselbe Figur, aber die eine ist schwach und introvertiert, und die andere ist ein Superheld. Zwischen diesen beiden Extremen spielt sich das bei mir auch ab.
Die Charaktere, die Sie in Film und Fernsehen geben, sind ja, um es mal so auszudrücken, nicht durchweg Sympathen. Gerade sind Sie in der Sky-Serie „Babylon Berlin“ zu sehen, als seelisch beschädigter Adelsspross mit Mutterkomplex und Nazi-Sympathien.
Eine gebrochene Figur, klar. Ich würde jetzt aber mal allen meinen Kollegen unterstellen, dass das die Figuren sind, die sie am meisten interessieren. Ich möchte den Schauspieler treffen, der sagt, er spielt am liebsten den Love Interest. Bei einer „Faust“-Inszenierung will doch jeder der Mephisto sein. Und bei den „Räubern“ will jeder Franz Moor sein. Wer will schon Karl Moor spielen?
Braucht es eigentlich lange, bis Sie nach einem Dreh wieder runter kommen, gerade wenn Sie einen so dunklen Charakter spielen?
Das hallt schon immer so nach. Ich merke dann, dass die Gedanken in diesen Bahnen weiter kreisen und dass man das nicht sofort ablegen kann. Mir fällt es zum Beispiel schwer, noch während ich in so einer Figur bin, ein neues Drehbuch zu lesen. Das kann ich gar nicht. Dieser Charakter wird ja dann doch Teil von einem. Natürlich ist es Fiktion. Aber ich habe gemerkt, dass diese Fiktion für die Dauer des Films zu meiner Realität wird. Wenn man den Anspruch hat, dass man das, was die Figur erlebt und fühlt, auch wirklich erlebt und fühlt, dann macht es keinen Unterschied mehr, ob man es im Film tut oder in der Wirklichkeit. Es gibt den Ausspruch von Rainer Werner Fassbinder: „Das Leben ist eine größere Lüge als der Film.“ Den kann ich total nachvollziehen.
Wie geht es Ihnen eigentlich so gerade?
Gut. Ich meine, mir ist schon bewusst, dass ich wahnsinnig verwöhnt bin, was die Auftragslage angeht, dass ich einen Status habe, um den mich viele beneiden, und ich nehme das auch nicht als etwas Selbstverständliches hin. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum ich gerade so wahnsinnig viel arbeite, weil ich immer darum weiß, dass das auch wieder vorbei sein kann.
Trotzdem bringen Sie jetzt diese düstere Platte raus. Sie haben eigentlich gar keinen Grund für düstere Gedanken.
Na ja, eine gewisse Melancholie bis hin zur Depression zeugt ja auch von einer gewissen Intelligenz. Selbst wenn man in der absoluten Euphorie ist, weiß man, wenn man über einen gewissen Horizont verfügt, dass das wieder endet, und das kann einen schon melancholisch stimmen. Michael Jackson war immer mein Idol: der König des Pop und der einsamste Mensch der Welt zugleich. Und es gibt eine ganz tolle Aufnahme von Robbie Williams: Da steht er vor einer nicht endenden Menschenmenge, die geht bis zum Horizont, und auf einmal hält er kurz inne, und es kommen ihm die Tränen.
Ich kann das sowas von nachvollziehen: Dass man begreift, dass diese Liebe, die einem da widerfährt, dass die nicht greifbar ist, dass die nichts ist, was man festhalten kann. Und damit muss man erst einmal klarkommen. Ich habe irgendwann für mich verstanden, dass das auch den Reiz des Lebens ausmacht: dass es endlich ist; dass das Leben überhaupt erst durch den Tod definiert ist, dass das eine das andere bedingt, und dass einen das immer mit einer gewissen Trauer umgibt.
Spüren Sie eigentlich Druck bei dem, was Sie tun, so: Ich bin Lars Eidinger, die Leute erwarten Großes, ich muss liefern?
Klar, das spüre ich extrem. Aber ich habe doch immer das Gefühl, dass ich mich in der Arbeit davon frei machen kann – dadurch, dass ich ja in erster Linie am eigenen Erleben interessiert bin und das dann der Motor ist. Trotzdem ist es etwas, was mich extrem beschäftigt. Und ich glaube keinem Kollegen, der sagt, ihm sei Kritik egal. Man ist ja extrem abhängig vom Publikum, und wenn diese Beziehung gestört ist, weil das Gegenüber sagt, wir lehnen dich ab, dann fehlt ein entscheidender Aspekt.
Fühlen Sie sich dann auch in Ihrer Eitelkeit verletzt?
Ach, ich versuche, das professionell zu nehmen.
Sie haben bei Kritikern den Ruf, eher unversöhnlich zu sein.
Ach was. Es gibt einen Journalisten beim Kulturradio, der da immer die Kritiken macht. Und dann war ich da mal eingeladen und die Kollegin erzählte mir, dass der Mann händeringend jemanden gesucht hat, der an diesem Tag seinen Dienst übernimmt, weil er Angst hatte, mir zu begegnen. Da sag ich, macht euch doch bitte locker, das hat doch nichts Persönliches. Ich kann damit umgehen. Aber natürlich bin ich von einem Verriss gekränkt. Und wenn ich gekränkt bin, dann vergesse ich das auch nicht.