Interview mit Margot Käßmann: „Es gibt keinen heiligen Krieg“

Köln - Nach der heftigen Debatte über ihre jüngste Kritik an Auslandseinsätzen der Bundeswehr wollte Margot Käßmann eigentlich so schnell nichts mehr zum Thema „Krieg und Frieden“ sagen. Aber die Aussicht auf einen Dialog mit Mouhanad Khorchide, dem Verfechter eines liberalen Islam, reizte die frühere hannoversche Landesbischöfin dann doch. Khorchide ging es nach eigenem Bekunden ähnlich.

„Nicht von außen fremdbestimmen lassen“

Herr Khorchide, Sie predigen einen Islam der Barmherzigkeit. Das Gottesbild, das dahinter steht, passt aber vielen Muslimen nicht.

MOUHANAD KHORCHIDE: Das passt lediglich denen nicht, die nur etwas mit einem repressiven Gott anfangen können, einem Gott, der dem Menschen Gesetze und Vorschriften auferlegt, um seine Macht zu demonstrieren. Er verlangt Gehorsam und droht mit Bestrafung. Mit diesem Gott auf seiner Seite kann man ja viel mehr Macht im Namen dieses Gottes demonstrieren. Solche Vorstellungen eines Diktator-Gottes machen Gott aber klein und minderwertig. Wir tun ihm damit keinen Gefallen. Ich glaube an einen Gott, der meint: „Ihr Menschen, ich will gar nichts von euch. Ich will etwas für euch. Meine Gebote sind nicht für mich gut, sondern für euch.“ Deswegen sehe ich den Islam auch weniger als eine Gesetzesreligion, in der Gesetze Selbstzweck sind, sondern vielmehr als eine geistliche Quelle gelingenden Lebens. Gott ist glücklich, wenn es uns gut geht.

Das sagen Sie ...

KHORCHIDE: Viele Muslime würden unterschreiben, was ich sage.

Aber wer ist denn nun auf der richtigen Spur? Sie oder Ihre Gegner, die Ihnen Missdeutung des Korans vorwerfen?

KHORCHIDE: Meine Sicht des Islams ist eine Bedrohung des Gelehrten-Establishments. Als der Prophet Mohammed einmal von jemandem um Rat gefragt wurde, wie er sich verhalten solle, hat er dreimal hintereinander geantwortet: „Frag dein Herz!“ Ich will die Menschen durch den Glauben ermutigen, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen und sich nicht von außen fremdbestimmen zu lassen.

MARGOT KÄßMANN: Das ist auch gut christlich, speziell lutherisch!

„Sehnsucht nach dem strafenden Gott“

KHORCHIDE: Für religiöse Autoritäten aber schwer zu ertragen.

KÄSSMANN: Die Erfahrung hat Martin Luther auch gemacht. Außerdem gibt es bei manchen Menschen eine Sehnsucht nach dem strafenden Gott. Einem Gott, der sagt, wo's langgeht. Ich habe erst vor kurzem wieder den Vorwurf gelesen, die evangelische Kirche predige zu wenig über die Sünde.

Und? Stimmt das?

KÄßMANN: Darauf antworte ich mit der Geschichte vom Pfarrer, der in seinem Garten Äpfelklau verhindern will und deshalb ein Schild an den Baum hängt: „Gott sieht alles.“ Am nächsten Tag sind die Äpfel weg, und auf dem Schild steht der Zusatz: „Aber Gott petzt nicht.“ Eine Anekdote, klar. Aber sie weist uns auf das Geheimnis der Liebe Gottes hin.

KHORCHIDE: Dieser Anspruch an einen autoritären Gott ist im Wesentlichen eine patriarchale Projektion – im Christentum wie im Islam. Gott wurden die Eigenschaften und Machtmittel eines unumschränkt autoritären Stammesfürsten oder Clanchefs zugeschrieben. In unserer Tradition hat das sicher auch mit den Bedingungen zu tun, unter denen sich die islamischen Gesellschaften entwickelt haben: Die Menschen auf der Arabischen Halbinsel im 7. Jahrhundert hätten nicht mitgemacht, wenn das von Mohammed verkündete Gottesbild weniger autoritär gewesen wäre oder wenn er gar zum völligen Gewaltverzicht aufgerufen hätte.

KÄßMANN: Wenn ich das Bild des liebenden Gottes stark mache, kriege ich regelmäßig zu hören, ich wolle Gott weichspülen.

Käßmanns Kuschel-Christentum ...

KÄßMANN: Warum ist es eigentlich so schlimm, wenn Gott die Liebe ist? Was beängstigt Menschen bei diesem Gedanken?

KHORCHIDE: Ich glaube, das Unbehagen bei der Botschaft vom liebenden Gott, dem die Freiheit des Menschen heilig ist, hat mit der Scheu des Menschen vor der letztendlichen Verantwortung zu tun. Ein autoritärer Gott erwartet mehr Passivität als ein dialogischer Gott.

Lesen Sie im nächsten Abschnitt, warum Waffenlieferungen für Käßmann „zu einfach“ sind und was Clint Eastwood mit dem Vorgehen der IS-Terroristen zu tun hat.