Israel zwischen Theokratie und Demokratie

Die Nahost-Friedensverhandlungen stecken fest, die israelische Wirtschaft dümpelt dahin, und die sozialen Spannungen im Lande nehmen zu. Dennoch steht im Zentrum der israelischen Aufmerksamkeit derzeit die Auseinandersetzung um das "Rückkehrergesetz" sowie das Problem, welche Regeln der Konversion zum jüdischen Glauben gültig sind. Dieser Streit bringt Säkulare gegen Religiöse auf, liberale gegen orthodoxe Gläubige, Israelis orientalischer gegen die europäischer Herkunft. Und der unmittelbare Anlass dafür sind die Einwanderer aus Russland.Der Streit um Gesetz und Konversion ist zwar alt, doch die politische Ebene ist neu: Das Büro des Ministers für Diaspora, Michael Melchior, hat den Parlamentsausschüssen für Einwanderung sowie für Konversion ein Arbeitspapier vorgelegt. Im Kern empfiehlt es die Änderung des Gesetzes und die Schaffung einer für alle akzeptablen Instanz für die Konversion. Für Israelis sind die Fragen - Wer ist Jude? Was ist Israel? - nicht akademisch, sondern die Antworten darauf haben für sie existenzielle Bedeutung. MasseneinwanderungDas Rückkehrergesetz wurde vor fünfzig Jahren verabschiedet und schreibt fest, dass jeder Jude, ganz gleich welcher Nationalität, nach Israel kommen kann und sofort Staatsbürger wird. Damit zog der junge, jüdische Staat die Konsequenz der leidvollen Erfahrung des Holocaust, entsprach aber vor allem dem Ziel des Zionismus, in Palästina einen Heimstatt für das verfolgte Volk schaffen zu wollen. Die Gesetzgeber hatten jedoch nicht festgelegt, wer Jude ist. Stillschweigend galt die Bestimmung der Halacha: Jude ist jeder, der eine jüdische Mutter oder Großmutter hat. Damit wurden nicht-jüdische Ehepartner und Kinder aus Mischehen mit einem jüdischen Vater ausgeschlossen. 1970 wurde ein Gesetz verabschiedet, das diesem Kreis von Personen die Einwanderung ermöglichte. Gründe gab es genug: Israel brauchte Einwanderer für die eroberten Gebiete, für die Armee, die Wirtschaft, und vor allem, um das ungleiche Zahlenverhältnis zwischen jüdischer und arabischer Bevölkerung zu verändern. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion lag der Anteil der Neu-Einwanderer, die im Sinne der Halacha "Nicht-Juden" sind, unter 25 Prozent. Doch dann kamen immer mehr und im letzten Jahr erstmals über 50 Prozent "Nicht-Juden". Wie wird man Jude?Neben dem Streit um die Abstammung gibt es aber auch noch den Konflikt darum, wie man Jude wird. Die Orthodoxen in Israel erkennen nur Konversionen an, wenn sie unter ihrer Obhut erfolgen. Dieser Alleinvertretungsanspruch wird ihnen von liberalen und konservativen Rabbinern vor allem in der Diaspora bestritten - bisher ohne Erfolg. Denn nicht nur den religiösen, sondern auch den säkularen Israelis wird bei der Vorstellung himmelangst, dass Millionen Menschen aus rein sozialen Erwägungen heraus konvertieren und sich ins Gelobte Land aufmachen könnten. Viele glauben, dass Israel einen solchen Massenansturm wirtschaftlich nicht verkraften kann. Aber das Verhältnis von Juden zu Nicht-Juden wirft noch eine Frage auf. Was eigentlich ist Israel? Ein Staat der Juden, also nur von Angehörigen einer Religionsgemeinschaft? Oder ein Staat der israelischen Bürger, der Religiösen und Säkularen, der Juden und Nicht-Juden? Die säkularen Gründer Israels wollten, dass nicht die Religion, sondern die Nationalität für den jungen Staat identitätsstiftend ist. Aber sie legten keine klare Trennung zwischen Religion und Staat fest. Und sie griffen auf religiöse Elemente zurück, um aus den Einwanderern so unterschiedlicher Herkunft eine Nation zu schaffen. Sie verwendeten den Davidsstern, nutzten religiöse Traditionen, ließen das Hebräisch der Bibel als Alltagssprache aufleben. Religiöse Angelegenheiten wurden den Rabbinern überlassen, ihre Abstinenz von der Politik mit Geld und Zugeständnissen erkauft. Doch die haben ihren Einfluss auf die Gesellschaft und die Politik in den letzten Jahren immens vergrößert - in steter Konfrontation mit den säkularen Israelis. Denn was die Religiösen und deren Parteien anstreben, ist im Grunde nichts Anderes als eine Theokratie, einen Staat für Gottes auserwähltes Volk, in dem alle Bereiche, insbesondere die Gesetzgebung, auf religiösen Prinzipien beruhen. Wenn sie gewinnen, wird Israel keine Demokratie mehr sein. Die Säkularen, die Israel als Staat einer Nation sehen, wollen die Demokratie verteidigen und werden dafür Abstriche am jüdischen Charakter des Staates machen müssen. Vor dieser Konsequenz aber scheuen sie zurück - denn dann wird Israel ein Staat wie alle anderen.