JAZZFEST, TMM, JAZZWERKSTATT - Drei Festivals lockten am Wochenende mit dem gleichen Etikett und verstanden darunter völlig verschiedene Dinge. Das Jazzfest wird ab 2008 von dem Schweden Nils Landgren geleitet.: Jazz ist anders
Eine Reihe von interessanten Konzerten, die sich aus dem einen oder anderen Grund als Jazzkonzerte ausgaben, konnte am Wochenende in Berlin besucht werden: das Total Music Meeting in der Berlinischen Galerie, diverse Veranstaltungen der Jazzwerkstatt Berlin-Brandenburg sowie last but not least das Jazzfest Berlin, das zum letzten Mal von dem seit 2003 amtierenden künstlerischen Leiter Peter Schulze verantwortet wurde. Hier bekam man unter anderem Folklore aus Afrika und Südamerika geboten, aber auch kammermusikalische Kompositionen; das TMM und die Jazzwerkstatt widmeten sich eher jener improvisierten Musik mit Wurzeln im afroamerikanischen Blues, für die man das Wort "Jazz" früher gemeinhin zu gebrauchen pflegte.Aber Verwirrung kann ja auch produktiv sein. Wer vorher schon nicht wusste, was "Jazz" an und für sich wie auch in seiner Bedeutung für die musikalische Gegenwart heißt, war nach diesem Wochenende wieder nicht klüger. Dafür hatte man Gelegenheit, die jazztypische Dialektik von Freiheit und Zwang in unterschiedlichen Gestaltungsformen zu studieren.Die "freieste" Musik wurde fraglos beim Total Music Meeting gespielt; hier herrschte zugleich die gezwungenste Atmosphäre. In der grellweiß ausgemalten Berlinischen Galerie, in der das Festival seit dem Jahr 2003 veranstaltet wird, wirkt das Konzertpublikum immer noch wie ein Fremdkörper. Beim Musikhören darf weder geraucht noch getrunken werden, man sitzt in geraden Reihen auf Seminarstühlen, während vorn auf der Bühne etwa ein israelischer Sopransaxofonist wie ein zorniger Ochse in sein Instrument brüllt. Die Festivalleiterin Helma Schleif, die das Total Music Meeting seit dem Jahr 2000 organisiert, wollte nach eigener Auskunft ursprünglich Lehrerin werden. Wirklich hat man, wenn sie am Rand des Konzertsaales steht und über ihre schmale Brille das Publikum mustert, immer ein wenig Angst, gleich etwas mit einem Rohrstock auf die Finger zu bekommen, zum Beispiel, wenn man nicht aufmerksam genug zuhört oder an einer leisen Stelle hustet.Beim Jazzfest muss man zwar - jedenfalls während der Abendveranstaltungen im Haus der Festspiele - ebenfalls sitzen. Doch sind die Stühle ein wenig bequemer, und in dem großen dunklen Auditorium fühlt man sich nicht so kontrolliert. Dafür werden die Konzerte hier inzwischen zu wesentlichen Teilen vom Blatt abgespielt oder folgen doch fest vorgegebenen Verläufen. Von der früher einmal populären Idee, dass es sich beim Jazz um spontane Musik handelt, ist beim Jazzfest nicht mehr viel zu spüren: weder bei dem algerischen El-Gusto-Orchester, das zur Eröffnung am Mittwoch algerische Volksmusik der 50er-Jahre darbot, noch bei dem Trio Madeira Brasil am Sonnabend - drei brasilianischen Musikern, die mit Mandoline, Gitarren sowie einer Reihe von Gästen die heimische Choro-Musik des späten 19. Jahrhunderts auferstehen ließen.Das war virtuos und angenehm anzuhören; lediglich ein Bezug auf die Gegenwart fehlte.Nicht alles war jedenfalls so schlimm wie die Konzerte am Freitagabend: Wayne Horvitz, als Kooperationspartner von John Zorn in den 80er-Jahren ein fulminanter Krachmacher, trödelte in einem kammermusikalischen Quartett durch ein paar halb notierte, halb improvisierte Kompositionen, die nach Angaben des Programmhefts etwas mit Mata Hari zu tun hatten; Michael Mantler, als Partner von Carla Bley und Mitbegründer der Jazz Composer's Orchestra einst ein bedeutender Avantgardist, hatte für ein Kammerensemble u nd sieben Solisten sieben vollkommen farb- und ziellose neoklassische Suiten komponiert, die zum Langweiligsten gehörten, was ich jemals auf einer Konzertbühne gesehen habe. Stargast war Nick Mason, als Schlagzeuger von Pink Floyd weltberühmt. In seiner Autobiografie hat er erst kürzlich noch einmal bekannt, ein sehr schlechter Musiker zu sein, und was soll man sagen: Der Mann hat vollkommen Recht.Was für ein Unterschied jedenfalls, was für eine Befreiung - wenn man dann, nach getaner Jazzfest-Arbeit, spätnachts in den Schlot Club an der Invalidenstraße einkehren durfte, wo Peter Brötzmann mit einigen alten, einigen jungen und einigen sehr jungen Musikern in allen möglichen Konstellationen jammte. Zum Beispiel mit Mats Gustafsson, einem großen bösen Blasewolf aus den schwedischen Wäldern mit einem ofenrohrdicken Instrument, dem Kontrabassisten Clayton Thomas und dem Schlagzeuger Michael Wertmüller, der etwa zu Gustafssons gewaltigen Soli eine so rasende Doppelbasstrommel trat, dass jede Death-Metal-Band darüber vor Neid noch blasser werden müsste als Death-Metal-Bands es ohnehin sind.Was für ein Glück, einer so lebenden, spontanen Musik zuhören zu dürfen, dachte man, während man in dem ausverkauften Club in der dichtgedrängten Menge stand, und: Warum haben wir diesen Jazz auf dem Jazzfest so lange nicht mehr gehört? Weil es Jazz ist?Für Peter Schulze ist "Jazz" ein leerer Begriff; "ein Four-Letter-Word, das immer wieder neu mit Bedeutung gefüllt werden muss", wie er 2004 im Interview mit dieser Zeitung gesagt hat. Von diesem Neu-Befüllen mit Folklore, Kammermusik und Kabarett hat er so reichlich Gebrauch gemacht, dass man das Jazzfest inzwischen auch in "Festival für dieses und jenes" umbenennen könnte oder in "Festival für alles, was Peter Schulze gefällt". Wogegen an sich nichts zu sagen wäre, idiosynkratische Intendantenpersönlichkeiten haben schon die tollsten Festivals erzeugt, und nach dem desaströsen Auftakt seiner Amtszeit konnte Schulze sich ja durchaus steigern: auf das Niveau einer soliden Mittelmäßigkeit.Vielleicht ist aber Mittelmäßigkeit auf Dauer doch nicht genug, um ein musikalisches Genre am Leben zu erhalten, von dem selbst der Festivalleiter sagt, dass er gar nicht weiß, worum es darin eigentlich geht. Wir wissen es: Ein einziger Besuch in einem Jazzclub, in dem Musiker wie Brötzmann, Gustafsson, Thomas und Wertmüller miteinander improvisieren, zeigt, was den Schulze'schen Programmen in den vergangenen fünf Jahren fast durchgängig fehlte: Energie. Lautstärke. Wagemut. Wut. Unversöhntheit mit der Realität.------------------------------Nach fünf Jahren Peter Schulze ist das Jazzfest ein Festival für dieses und jenes.------------------------------Foto: Vor dem Konzert, nach dem Konzert: Peter Brötzmann (l.) und Mats Gustafsson (r.) hinter der Bühne des Schlot Club.