John Berggruen hat seinen berühmten Vater lange vermisst. Dann kam es in Paris zur ersten Begegnung: Der Sohn des großen Sammlers

Vor mehr als 37 Jahren betrat ein damals 24-jähriger Amerikaner eine kleine Galerie in der Rue de l'Université am linken Seine-Ufer in Paris. In dem Raum, ihm dem Rücken zugewandt, stand ein zierlicher Mann. Freudig und unsicher zugleich sprach ihn der Junge an. "Dad?" Der Händler drehte sich um zu ihm und sagte "Sohn".Diese Begegnung zwischen Heinz Berggruen und seinem Sohn John war der Anfang einer späten Beziehung zwischen den Beiden, "unsere eigentliche Wiedervereinigung", wie der Jüngere sie heute nennt. "Mein Vater wusste, dass ich kommen würde", sagt er. "Aber ich kam früher, als er mich erwartet hat. " Heinz Berggruen hatte die Familie in den USA verlassen, als John und seine Schwester Helen Kleinkinder waren. 1944 war der deutsche Emigrant als amerikanischer Soldat nach Europa zurückgegangen, mit dem festen Vorsatz, dort zu bleiben. 1945, zum Kriegsende, ließen die Eltern sich scheiden. John war zwei Jahre alt. Zu jung, um zu verstehen. Mittlerweile ist er 60, ein viel beachteter und geschätzter Kunsthändler in San Francisco. Unlängst hat seine Galerie mit einer Ausstellung großartig wilder, voyeuristischer Aktzeichnungen von Picasso für Aufmerksamkeit in der gesamten Kunstszene gesorgt.Hat er nach diesen vielen Jahren verstanden, warum sein Vater gegangen ist? "Nein, ich habe diese Frage noch nicht wirklich gelöst", sagt Berggruen. "Ich weiß, dass mein Vater ging, weil es eine schwierige Ehe war. Meine Mutter war psychisch schwer krank. Sie hat viel Zeit in Sanatorien für Geisteskranke und anderen Hospitälern verbracht. Ihr Leben war eine Tragödie. " Er spricht nicht darüber, dass er selbst den Großteil seiner Kindheit in Internaten verbracht hat. Dass andere ihn und seine Schwester bedauert haben. Noch heute wird das von alten Bekannten erzählt. Einmal hat sein Vater versucht, seine beiden Kinder zu sich nach Europa zu holen. Die Familie seiner Mutter, eine der wohlhabendsten und angesehensten San Franciscos, lehnte diesen Vorschlag ab. "Sie hatten Angst, es werde ihren Zustand noch verschlimmern", sagt er.Entspannt sitzt Berggruen in einem hellen Ledersessel im Besucherraum seiner Galerie. Er ist zufrieden, auch wenn das Geschäft schwerer geworden ist. Nach dem 11. September 2001 und dem Zusammenbruch der New Economy, der besonders das benachbarte Silicon Valley getroffen hat, kaufen die Leute weniger Kunst. Zum Glück aber habe er auch Kunden mit eigenem Vermögen, die immer kauften. "Doch es ist harte Arbeit. Ich habe immer hart gearbeitet, zusammen mit meiner Frau Gretchen", sagt er, "mir ist nichts geschenkt worden. Mein Vater hat mir keinen Cent gegeben, als ich die Galerie eröffnen wollte. Ich hätte auch nie danach gefragt. " Er wird das noch oft betonen, dass er unabhängig ist, Hilfe nie erwartet hat.War er sehr frustriert über seinen Vater? "Sicher habe ich mich in meiner Kindheit gefragt, wie er wohl ist", sagt Berggruen, "doch ich kann mich nicht erinnern, jemals gedacht zu haben, Oh, mein Gott, mein Vater ist nicht hier'. Ich denke, ich habe angefangen, ihn zu vermissen, nachdem ich ihn das erste Mal gesehen habe. " Damals war er zwölf. Die Mutter nahm die Kinder mit auf eine Fahrt nach Europa. "Wir trafen meinen Vater, und es war wunderbar. Ihn dann wieder verlassen zu müssen, war schlimm. " Als er siebzehn war, stattete er ihm erneut eine Stippvisite ab. "1967 schien es für mich dann eine natürliche Sache, nach Paris zu gehen", sagt Berggruen. "Ich wollte meinen Vater wirklich kennen lernen. Ich wollte Teil seines Lebens sein. " Das Leben des Älteren war zu dieser Zeit längst ein Leben für die Kunst. In seiner gut gehenden Galerie stellte er die wichtigsten Maler des 20. Jahrhunderts aus, unter ihnen Picasso, Miró, Matisse, Klee. "Der einfachste Weg, meinen Vater zu erreichen und mich wohl mit ihm zu fühlen, war, sich für sein Geschäft zu interessieren", erinnert sich John Berggruen. Dem studierten Politologen schien es ganz natürlich, sich in die Welt der Farben und Formen hineinzudenken. "Wahrscheinlich war das Interesse tatsächlich ererbt, oder es war Veranlagung", sagt er.Berggruen verbringt sechs Monate mit seinem Vater. Und ist so angezogen von dem, was er erfahren hat, dass er nun selbst als Kunsthändler arbeiten will. Er geht für ein Jahr in eine kleine Galerie in London, danach für acht Monate in ein sehr großes Geschäft nach New York. Dann weiß er, dass er eine eigene Galerie führen möchte. Bei seinem Vater stößt die Idee, ein Geschäft in San Francisco zu eröffnen, nicht auf Begeisterung. "Niemand kauft dort Kunst", sagt er seinem Sohn.Für den Vater ist dies die Stadt des Unglücks. In seinen Memoiren beschreibt Heinz Berggruen, wie er hier trotz vieler Vorbehalte versuchte, sich zu integrieren, sich dafür in die fragwürdige Ehe mit der Tochter einer alteingesessenen Familie stürzt, er beschreibt, wie er kurzzeitig flieht aus dieser Stadt, zusammen mit seiner großen Liebe, der Malerin Frida Kahlo, und wie ihn nach seiner Rückkehr von diesem Abenteuer sogar seine Aufgabe als Kurator des späteren Museums of Modern Art zu langweilen beginnt. Er muss intensiv versucht haben, seinem Sohn zumindest San Francisco als Standort für die Galerie auszureden. "Mit allen Mitteln", sagt dieser. "Doch ich sagte ihm, ,diese Stadt ist meine Heimat, dort ist mein Herz', und dann eröffnete ich 1970 meine Galerie. " Aus Paris kommt zwar keine direkte finanzielle Hilfe, dafür stellt ihm der Vater aber Lithografien zur Verfügung, die Berggruen auf Kommissionsbasis verkaufen kann. Gleichzeitig beginnt er, sich für die zeitgenössischen Maler zu interessieren, besonders für Rauschenberg und Johnson. Zunehmend stellt er auch Künstler der Region aus, Christopher Brown zum Beispiel, nach dessen Werken die Leute in der Gegend um San Francisco schon seit Jahren verrückt sind. "Insgesamt interessiere ich mich eher für die amerikanischen Künstler", sagt Berggruen, "so eine Ausstellung wie die mit den Picasso-Zeichnungen war eine Ausnahme. " Die Zeichnungen hatte er vor vier Jahren in einem Skizzenbuch gebunden im Apartment seines Vaters in Berlin entdeckt. Und seitdem versucht, sie ihm abzuluchsen und der Öffentlichkeit zu präsentieren. Schließlich erklärte der alte Herr sich bereit, sie an ihn und an einen Kollegen in New York zu verkaufen. "Die Picasso-Ausstellung war also keine Kooperation mit meinem Vater, sondern mit der Galerie in New York", sagt John Berggruen. Eigentlich habe er mit seinem Vater bisher nur eine Ausstellung von Matisse-Zeichnungen zusammengemacht, in den frühen Achtzigern. "Trotzdem denken einige Leute immer noch, wir seien der Ableger der europäischen Berggruen-Sammlung. Die Leute nehmen so manches an. Nur weil mein Vater ein großer Philantrop ist, denken sie, ich hätte viel Geld. Oder weil die Zellerbachs, die Familie meiner Mutter, reich sind, denken sie, zumindest aus dieser Ecke sei ich versorgt. Stimmt aber nicht. Wissen Sie, was ich als Lieblingsenkel nach dem Tod meiner Großmutter bekommen habe? 2 500 Dollar. " Dass sein Vater seine Sammlung der Stadt Berlin gegeben hat und damit ein Großteil des Erbes weg ist, störe ihn nicht im Geringsten, sagt er. "Mein Vater hat mir noch nie etwas gegeben. Er hat uns ein Hochzeitsgeschenk gemacht, klar. Doch all das interessiert mich auch nicht. Ich lebe mein Leben, wie ich es leben möchte und von mir selbst erwarte. " Geld von anderen Menschen sei da nicht eingeplant, sagt er. "Ich bin stolz, wenn ich diesen wunderbaren Stülerbau sehe. Es ist ein wundervolles Geschenk, nicht nur an die Berliner und die Deutschen. Die Sammlung bereichert jeden Besucher, der sie sieht.Viele Amerikaner haben es zunächst nicht verstanden, als 1996 bekannt wurde, dass Heinz Berggruen, dem in Nazideutschland der Tod zugedacht worden wäre, seine wunderbaren Werke ausgerechnet nach Berlin bringen wollte. Wie kann ein Jude so etwas tun?, fragten kritische Stimmen in Zeitungen und Magazinen. "Mein Vater ist Berliner geblieben", sagt dagegen sein Sohn. "Ich denke, dass er in Berlin immer noch die Zeit der 20er-Jahre spürt. Ich verstehe das gut. " Wer würde ihn schließlich aus San Francisco wegbekommen? Und trotz der Schoa sei dies die richtige Richtung. "Man kann das nie vergessen", sagt John Berggruen, "doch man muss irgendwie die Zukunft gestalten. " Er fliegt regelmäßig nach Berlin, um seinen Vater zu besuchen. Mittlerweile knüpft er auch Geschäftsbeziehungen dorthin. Nach ganz Europa. "Das Kunstgeschäft wird global", sagt er. Und ein guter Geschäftsmann bereitet sich darauf vor. Einige Freunde von früher meinten, er sei zu sehr Geschäftsmann geworden und kenne plötzlich nur noch Menschen, die auch potenzielle Kunden seien. Nur seiner Frau Gretchen und ihrer warmherzigen Art habe er noch Sympathiepunkte zu verdanken. Berggruen sagt, er halte die Situation einfach für unsicher. "Es ist nie gemütlich in unserem Metier. Man weiß nicht, was kommt. Doch das ist gleichzeitig stimulierend. " Er hält sich an das, was er von seinem Vater gelernt hat: seinen Instinkten zu folgen, und der Intuition. Für den Erfolg hart zu arbeiten und - vor allem - unabhängig zu bleiben.Vielleicht ist dieses ständige Pochen auf die eigene Selbstständigkeit nicht unbedingt eine Attitüde des Trotzes, nicht nur eine Reaktion auf das Gefühl, in einer wichtigen Zeit nicht bekommen zu haben, was ihm zustand. Vielleicht hat es mit Respekt gegenüber dem Vater zu tun. "Respekt bedeutet die Fähigkeit, einen Menschen so zu sehen, wie er ist, und seine einmalige Individualität zu erkennen", schrieb Erich Fromm in "Die Kunst des Liebens". "Dem Respekt fehlt jede Tendenz der Ausbeutung. Ich möchte, dass der geliebte Mensch zu seinem eigenen Nutzen und in seiner eigenen Art wächst und sich entfaltet und nicht zu dem Zweck, mir zu dienen. " In seinen Erinnerungen schreibt Heinz Berggruen, er wolle nichts entschuldigen, doch obgleich er seine Familie verlassen habe und auch seine geschiedene Frau sich kaum um sie gekümmert habe, hätten sich seine zwei Kinder aus der ersten Ehe prächtig entwickelt. Wahrscheinlich ist es so, dass sich mit Vater und Sohn zwei starke, eigenwillige Menschen gegenüber stehen, die sich lieben, aus einer gewissen Distanz heraus, und auf der Seite des Sohnes mit Wünschen, die unerfüllt bleiben werden. Die auch immer nur am Rande anklingen. Wenn er von diesem herrlichen Sommerabend letztes Jahr in London spricht, zum Beispiel. Sein Vater war da, seine beiden Brüder Olivier und Nicolas, die Söhne seines Vaters aus der zweiten Ehe, mit denen er sich "sehr gut" versteht, und er selbst. "An einem Abend gingen wir zusammen aus, und es war das erste Mal, dass ich mich erinnern kann, dass vier erwachsene Berggruens zusammen Dinner hatten. Wir drei Jungen, wirklich allein mit ihm. Es war das Beste, es war eine großartige Zeit. " Oder wenn er von seinem eigenen Sohn erzählt, der nun fünfzehn ist, und mit dem er so viel unternimmt. Er reist und treibt Sport mit ihm, unterhält sich stundenlang. Und dann den Gegensatz schildert: "Mein Vater lebt Kunst, isst Kunst, trinkt Kunst. " Schon zum 80. Geburtstag seines Vaters hat er sich gewünscht, er würde einmal alle, wirklich alle, die zweite Frau Bettina, die drei Söhne, die Tochter Helen, die als Malerin im Napa Valley lebt, und ihn selbst mit Frau und Sohn zu einem großen Familienurlaub einladen. Nun ist sein Vater 90 geworden, und es ist wieder nicht passiert.Am Ende schildert Berggruen, der nichtreligiöse Jude, der nur an die Humanität glaubt, noch, was das wirklich wunderbarste Erlebnis in seinem Leben war. "Es war meine Teilnahme an dem Marsch für die Menschenrechte nach Montgomery Alabama, den Martin Luther King angeführt hat. Ich bin eine ganze Nacht und einen ganzen Tag gefahren, um wenigstens einen Teil mitzulaufen. Dann musste ich zurück, ich stand gerade im Examen. " ------------------------------ Foto: John Berggruen in seiner Galerie in San Francisco