Jonathan Meese: Das verknuddelte Grußarmmonster
Eher zähneknirschend als emphatisch haben die Feuilletons in der vergangenen Woche den Freispruch des Künstlers Jonathan Meese begrüßt, der wegen wiederholter Präsentation des Hitlergrußes in Kassel vor Gericht stand. Einig waren sich beinahe alle Kommentatoren darin, dass die Nervensäge Meese den Begriff der Kunstfreiheit in seiner Aktion und dann vor Gericht arg strapaziert hat.
Schon im Vorfeld der Verhandlung war Ingo Arend in der taz davon überzeugt, dass über den Fall Meese nicht nur juristisch, sondern auch ästhetisch geurteilt werden müsse. „Und da könnten einen Zweifel befallen, ob der ‚Babysoldat der Diktatur der Kunst‘ seinem selbstgestellten Kommandounternehmen gewachsen ist. Bei dessen performativer Durchführung wirkt er mitunter wie ein Schüler von Sigmar Polke: ‚Höhere Wesen befahlen: Hitlergruß neutralisieren!‘ Wer, wie Meese in seinen ‚Ausgewählten Schriften‘, das Hakenkreuz als ‚das präziseste Symbol aller Zeiten‘ bezeichnet, offenbart ein etwas schwammiges ästhetisches Urteilsvermögen. Und wer das Zeichen aller Zeichen immer nur wiederholt, ‚neutralisiert‘ es nicht. Er perpetuiert es. Und langweilt damit inzwischen selbst seine treuen Fans. Jonathan, der Erzritter gegen die faschistischen Codes? An A.H., dem ‚süßesten Stofftier der Kunst‘ (Meese) könnte sich selbst das verknuddelte Grußarmmonster aus Hamburg-Ahrensburg noch ganz schön verheben.‘
In der Süddeutschen Zeitung hat sich Lothar Müller ausführlich mit der Meese-Kunst befasst, und er will ihn nicht einfach auf dem Ticket Provokation durch die künstlerische Beliebigkeit reisen lassen. „Die Trash-Show, die Meese unter dem Titel ‚Diktatur der Kunst‘ abzieht, ist ungefährlich. Kein Gericht muss dagegen einschreiten. Aber warum ist sie so harmlos – und so peinlich?“ Aus zwei Gründen, findet Lothar Müller. Der erste Grund erkläre die Peinlichkeit. „Er liegt darin, dass Meese in der Rhetorik wie in der Gestik seiner ‚Diktatur der Kunst‘ vollkommen brav, affirmativ und pathetisch das verblichenste, zukunftsloseste und im 20. Jahrhundert am gründlichsten ruinierte Element der klassischen Avantgarde zitiert: das Umsichwerfen mit Manifesten, in denen die Kunst die Macht ergreift. Darum hat bei Meese nicht der durch den satirischen Reißwolf gedrehte Hitler seinen Auftritt. Vielmehr holt er stampfend, pathetisch, dröhnend den kitschigen Hitler aufs Parkett.“ Die Provokation, so fährt Lothar Müller fort, ist gar keine, denn: „An diesen kitschigen Hitler ist Meeses Hitlergruß angeklebt, und das führt zum zweiten Grund der Harmlosigkeit dieses Künstlers. Der darin besteht, dass Meeses Kunst zwar aktuell ist, aber nicht gegenwärtig. Sie ist das Beispiel einer Kunst, die vollkommen im Retrodesign aufgeht. Sein Hitlergruß ist ein Readymade, von dem er glaubt, er könne die damit herbeizitierten Bedeutungen und Zeichenketten souverän kontrollieren. Dieses Readymade ist aber keine Brillo-Box und kein Urinal, kein Objekt, sondern ein performativer Akt, und dieser Akt hat eine Geschichte und eine Gegenwart.“