Joseph Blatter über den ISMM-Konkurs, Schwarzgelder, Stiftungen und seine Zukunft als Fifa-Präsident: "Ich bin nicht bestechlich"

Die einst weltgrößte Sportmarketingagentur ist kollabiert. Der Konkurs der ISMM/ISL-Holding wurde vom IOC-Marketingchef Michael Payne unlängst als "Erdbeben für den Weltsport" bezeichnet. Besonders betroffen ist der Fußball-Weltverband Fifa, der mit der ISMM-Gruppe Fernseh- und Marketingverträge für die Weltmeisterschaften bis 2006 abgeschlossen hatte. Für die WM 2002 rechnet Fifa-Präsident Joseph Blatter mit einem Verlust von rund 100 Millionen Schweizer Franken - eine erste Schätzung. Schwerer wiegen jene Fakten, die der ISMM-Konkurs bislang an die Öffentlichkeit spülte. So existieren dubiose Stiftungen, über die Bestechungsgelder geflossen sein sollen; auch stellte die Fifa die Existenz eines Schwarzkontos fest. Schwere Wochen für Joseph Blatter, den 65 Jahre alten Fifa-Präsidenten.Herr Blatter, sind Sie bestechlich?Absolut nicht. Diese Aussage mache ich auch unter Eid. Warum kommen diese Vorwürfe immer aus Deutschland? Was soll dieses Kesseltreiben gegen mich?Sehr raffiniert, wie Sie den unschuldig Verfolgten mimen. Im Schweizer Boulevardblatt "Blick" haben Sie behauptet: "Die Deutschen wollen mich fertig machen. " Sie kündigten rechtliche Schritte an. Wie es scheint, haben Sie sich das schon wieder anders überlegt.Man will mir Bestechung unterstellen, das ist absurd. Da schmunzele ich nicht mehr. Schauen Sie mir in die Augen .. kein Problem. Ich habe ja ein reines Gewissen.Ich auch.Ein paar Fragen fürs Protokoll: Über die Liechtensteiner Stiftung "Nunca" sind allein 60 Millionen Franken geflossen. Wann haben Sie zum ersten Mal von "Nunca" gehört?Vor einer Woche. Ich habe mich sofort erkundigt. Man hat mir gesagt, das sei eine Stiftung der Familie Dassler (Aktionäre der ISMM-Gruppe/d. A. ), aber keine ISL-Stiftung. Über den Stiftungszweck weiß ich nichts.Es existierten und existieren noch andere ISL-Stiftungen. Beispielsweise "Fructose", ebenfalls ansässig in Liechtenstein. Schon mal gehört?Nein, nein. Das notiere ich sofort. Das interessiert mich nämlich auch.Eine andere gängige Methode, im Weltsport wichtige Entscheidungen - wie die Vergabe von lukrativen TV-Rechten - zu beeinflussen, ist es, Funktionäre mit so genannten Beraterverträgen auszustatten. Haben Sie jemals einen Beratervertrag mit einer Firma aus dem ISL-Konglomerat gehabt?Niemals. Mir hat nur in den ersten Jahren meiner Tätigkeit für die Fifa, der Sportartikelkonzern Adidas einen Beratervertrag unterbreitet. Ich habe den zurückgewiesen. Die Firma war mir deshalb eine Zeit lang sehr böse. Ich sage damit nicht, dass es keine Bestechung gab. Wenn man mir etwas offeriert hat, hat man es sicher auch anderen Funktionären angeboten.Allerdings hat Robert Louis-Dreyfus, der spätere Adidas-Chef, öffentlich erklärt, Sie seien Mitte der siebziger Jahre von Adidas bezahlt worden, obwohl Sie da schon für die Fifa arbeiteten.Mir gegenüber hat Louis-Dreyfus diese Aussage längst widerrufen. Sagen Sie, was hat man eigentlich in Deutschland gegen mich?Gar nichts. Es ist nur so, dass Ihre Wahl zum Fifa-Präsidenten 1998 von Bestechungsvorwürfen überschattet wurde und dass Sie zuvor, als Sie noch Generalsekretär waren, eine merkwürdige Rolle bei der Vergabe von Milliardenverträgen gespielt haben.Ich höre.1995/96 haben Sie Mitbewerber um die WM-Fernsehverträge ausgetrickst. Die Rechte erhielten ISL und Leo Kirch. Der Manager Eric Drossart, der für IMG und Ufa mitgeboten hatte, warf Ihnen damals vor, Sie hätten dieses Gebot nie fair behandelt. Die Entscheidung für ISL sei von Anfang an klar und Ihre Auskünfte seien lediglich kosmetische Korrekturen gewesen, um die Fifa vor Vorwürfen unsauberen Wettbewerbs zu schützen.Ich erinnere mich nicht. Wann hat Drossart das geschrieben?Im April 1996. Bei den WM-Marketingverträgen, die ein Jahr später verhandelt wurden, lief das gleiche Spiel. Zu einem Zeitpunkt, als die Fifa offiziell nicht entschieden hatte, hieß es in ISL-internen Unterlagen bereits, die Sache sei klar.Vergessen Sie nicht, dass die ISL damals ein guter Partner vieler Verbände war, unter anderem der Uefa.Vor allem war die ISL gerade als Hausagentur des IOC gefeuert worden. Weil sie schlechte Arbeit leistete, weil ihre Provisionen zu hoch waren.Aber wir waren zufrieden mit der ISL. Die hatten eine Option auf die WM-Marketingrechte, und diese Option haben wir ihnen gewährt. Ich war damals doch nur Generalsekretär, nicht der Präsident.Trägt also der damalige Präsident João Havelange Verantwortung für alle dubiosen Verträge?(Blatter schweigt. )Hat Sie Havelange überrumpelt, wie er es mit vielen anderen auch getan hat?Was heißt überrumpelt? Wir haben nach den Fifa-Prinzipien gearbeitet. Ich war Generalsekretär und hatte die Dossiers vorbereitet. Entschieden habe ich nicht. Heute ist das anders: Heute bin ich der Präsident, heute bin ich verantwortlich für die Fifa.Und als großer Verantwortlicher wissen Sie nicht mal, wie viel Geld jeder der elf WM-Sponsoren überweist. Was ist das für ein Geschäftsgebahren, warum wissen Sie so etwas nicht?Weil uns die Verträge nicht vorliegen. Diese Verträge mit den Sponsoren hat ISL abgeschlossen. Nach dem Konkurs übernimmt unsere Fifa Marketing AG die Aufgaben der ISL. In zwei Wochen kennen wir alle Zahlen.Können Sie wenigstens abschätzen, wie viel Geld hereinkommen wird? Laut ISL-Planungen sollten im Marketingbereich rund 1,5 Milliarden Franken erlöst werden - aber nur 800 Millionen davon waren für die Fifa vorgesehen. Ein schlechtes Geschäft für Ihren Verband.Die Zahlen stimmen ungefähr, es könnte ein bisschen weniger sein. Vergessen Sie nicht, dass wir vom Überschuss auch einen Teil abbekommen hätten. Was stimmt ist, dass die ISL allein 30 Prozent an Service-Kosten und Kommission aus den Marketingverträgen erhielt.Wie viel Prozent lässt sich die Fifa aus den Fernsehverträgen abzweigen, die bislang von der KirchGruppe (Europa und USA) und ISMM (Rest der Welt) betreut wurden?Insgesamt 25 Prozent. Fünf Prozent davon sind die Produktionskosten. Alles, was über der Garantiesumme liegt - also insgesamt 1,3 Milliarden Franken für die WM 2002 und 1,5 Milliarden für 2006 - teilen wir mit den Rechtehändlern.Auch mit Kirch, wenn er seine Option auf den bisherigen ISMM-Anteil wahrnehmen sollte?Wenn Kirch die TV-Verträge übernimmt, übernimmt er alle Rechten und Pflichten und muss entsprechend mit uns teilen.Kirch wird bald sämtliche TV-Rechte der Fifa makeln. Hätten Sie eine Übernahme der ISMM-Anteile durch Vivendi und Bertelsmann lieber gesehen, um nicht nur einem Giganten ausgeliefert zu sein?Die Frage stellt sich nicht mehr. Vivendis Offerte war eine sympathische Sache. Für die Fifa wäre ein starker Investor das Einfachste gewesen.Im Fifa-Exekutivkomitee wird Ihnen vorgeworfen, Sie hätten zu lange an der ISMM festgehalten, weil Sie Ihren Freund, den ISMM-Vorstand Jean-Marie Weber, nicht verprellen wollten.Das ist Quatsch. Wir konnten die Verträge nicht so einfach kündigen.Als die ISMM im Dezember 2000 erstmals mit einer Bürgschaft für die Marketingrechte in Verzug geriet, haben Sie aber ein Ultimatum gesetzt?Richtig, wir hatten ihnen einen Monat Gnadenfrist gegeben. Mitte Januar hat die ISMM dann die Bankgerantie von 70 Millionen Franken aufgebracht. Von da an war man uns gegenüber nicht mehr in Verzug.Der Grund für Ihre Zurückhaltung war es nicht, dass ISL-Manager und Anwälte Ihnen mit unliebsamen Enthüllungen gedroht haben? Sogar ein Anwalt der Vivendi-Tochter Canal Plus hat geplaudert.Ja, dieser Anwalt ist uns bekannt. Der hat sogar auf die Mailbox eines unserer Anwälte gesprochen. Das war eine Frechheit. Ich habe mich bei seinem Auftraggeber beschwert und eine Entschuldigung erhalten.Der Anwalt behauptete offenbar, er könne mit ISL-Unterlagen Zahlungen an Sportfunktionäre nachweisen.Wenn er etwas weiß, müsste er es sofort dem Richter sagen. Das ist ein Fall für die Justiz.Sie sorgen sich nicht?Ich will auch wissen, wohin das Geld geflossen ist. Niemand aus der ISMM-Gruppe musste sich bisher dafür rechtfertigen, immer nur ist die Fifa unter Druck. Ich habe noch nie versucht, jemanden zu bestechen. Ich bin nicht bestechlich. Da können Sie mir beide Hände abhacken.Die Fifa hat inzwischen Kenntnis von einem Schwarzkonto, auf das in ISMM-Verantwortung 75 Millionen Franken geflossen sind. Warum stellen Sie dann nur Strafanzeige gegen unbekannt - und nicht gegen Ihren alten Freund Weber?Wir müssen Strafanzeige gegen unbekannt stellen, haben aber jetzt aufgrund uns vorliegender Dokumente zwei Verantwortliche namentlich erwähnt, weil sie ein Schriftstück im Zusammenhang mit dieser Zahlung unterzeichnet haben.Es wird also strafrechtlich ermittelt. Werden Sie diese Krise überstehen?Es ist keine Krise, nur eine unkomfortable Situation. Es geht nur um Geld, nicht um Menschenleben.Erleben Sie die WM 2002 noch als Fifa-Präsident?Ich werde, wenn Gott mir die Gesundheit gibt, den Fifa-Kongress im Jahr 2002 in Seoul leiten.Interview: Jens Weinreich"Wenn man mir etwas offeriert hat, hat man es sicher auch anderen Funktionären angeboten.""Es ist keine Krise, nur eine nicht sehr komfortable Situation. Es geht nur um Geld."AP/DAMIAN DOVARGANES In Bedrängnis: Fifa-Präsident Joseph Blatter muss die Folgen des Konkurses der ISMM-Gruppe überstehen.