JUNGE UNION - Der schwarze Nachwuchs feiert Friedrich Merz, bekrittelt Edmund Stoiber und attackiert Angela Merkel. Die hält stand und verspricht anhaltende Reformfreude - trotz schwieriger Koalition.: Deutschlandtag der Fehlerfinder

AUGSBURG, 23. Oktober. Den größten Applaus beim Auftritt von Angela Merkel bekommt Friedrich Merz. Die CDU-Chefin hat ihre Rede gehalten, sie hat begründet, warum sie die Debatte über das schlechte Wahlergebnis der Union nicht jetzt und hier beginnen will, sie hat den Reformkurs ihrer Partei bekräftigt. Die Junge Union hat ein wenig geklatscht.Es ist kein euphorischer Applaus, aber man könnte zu diesem Zeitpunkt noch als Grund vermuten, dass der Parteinachwuchs am Vorabend bis tief in die Nacht gefeiert hat. Dann tritt der hessische JU-Vorsitzende Peter Tauber ans Mikrofon, und sagt nur ein paar Worte: "Gestern hatten wir Friedrich Merz zu Gast ." Da wird die Junge Union munter, die Anwesenden klatschen und jubeln. Als erstes erheben sich die Niedersachsen rechts im Saal, dann in der Mitte die Hessen und links die Nordrhein-Westfalen. Schließlich stehen fast alle Delegierte und klatschen rhythmisch. Am Morgen haben sie Friedrich Merz aufgefordert für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren. Jetzt singen sie "Und wir haben ein Idol, Friedrich Merz." Sie singen und sie klatschen so lange, dass Angela Merkel ihr Lächeln nicht durchhält, das sie zunächst so umsichtig aufgesetzt hat.Lustvolles ProvozierenEs ist eine Mischung aus ehrlicher Begeisterung und Lust an der Provokation, die Merkel da in diesem Moment entgegenprallt auf der Jahresversammlung der Jungen Union in der düsteren Kongresshalle von Augsburg. Die Parteivorsitzende pariert den Angriff: "Ich muss ganz freundlich darauf hinweisen, dass Friedrich Merz den Beschluss gefasst hat, nicht mehr stellvertretender Fraktionsvorsitzender zu sein", sagt sie.Merz habe am Sonnabend "glasklare Ansagen" zu den notwendigen Reformen gemacht, kommt die Vorhaltung eines weiteren Redners. Natürlich habe auch sie ganz glasklare Wünsche, gibt Merkel zurück und schiebt einen Satz hinterher, der ihren Ärger über den Widersacher offenbart: "Aber ich lüge ihnen hier nichts vor." In den Koalitionsverhandlungen mit der SPD müsse man eben auch Kompromisse machen. Merz ist nicht einmal bei der Vorbereitung der Koalitionsverhandlungen dabei.Angela Merkel arbeitet sich ruhig und bestimmt durch die Versammlung. Eine Analyse der Fehler im Wahlkampf hat die Junge Union gefordert. Sie haben die Jubel-Teams auf den Wahlveranstaltungen gestellt - jetzt wollen sie ihrer Enttäuschung Luft machen. Die Parteivorsitzende lässt sie schimpfen. Schlechte Vermittlung, zu wenig Herz, zu wenig Geschlossenheit, das Programm zu bürokratisch. Ein JU-ler nach dem nächsten stellt einen Fehler der Parteiführung fest. "Werden Sie nicht die erste CDU-Kanzlerin einer sozialdemokratischen Regierung" warnt ein bayerischer JU-Mann.Merkel nimmt den Angriffen die Wucht, indem sie sich zu den Reformen bekennt, die der Jungen Union so wichtig sind: Umgestaltung des Arbeitsmarktes, Gesundheitsprämie, Kombilohn und Streichung der Steuerausnahmen. Auch eine Kurzanalyse zur Wahl hat sie anzubieten: Die CDU sich schon zu sehr als Sieger gesehen habe und sich neue Wählerpotenziale erschließen müsse.Wie das gehen soll, erläutert sie nicht. "Wir werden nur Erfolg haben wenn wir nicht gegeneinander arbeiten", mahnt sie kurz. Und sie warnt - gewandt an die eifrigsten Reformer der Jungen Union - man dürfe nicht vergessen, dass die Union auch einen Arbeitnehmerflügel hat. "Wir müssen alle Flügel mitnehmen", sagt sie. Daher könne man auch erst nach der Regierungsbildung richtig diskutieren, wenn die Koalitionsverhandlungen nicht mehr alle Kraft binden. Die Koalition sei noch lange nicht beschlossene Sache, mahnt Merkel und gibt damit indirekt zu verstehen: Die Kanzlerschaft ist noch nicht ganz sicher, ihr könnt mich noch beschädigen.Doch die Debatte hat begonnen, aller Appelle von Merkel zum Trotz, zumindest an diesem Wochenende. In Interviews melden sich Christian Wulff und Horst Seehofer zu Wort. Merz wirft der Parteiführung in Augsburg vor, den Wahlkampf zu defensiv geführt zu haben. Auf einem normalen CDU-Parteitag wäre seine Rede ein Aufruf zum Putsch gegen Merkel gewesen. Edmund Stoiber hat sich zwar beschwert, dass alle plötzlich Fehler finden, und im Wahlkampf nichts gesagt hätten.Die Möglichkeiten der KanzlerinDoch dann, angespornt durch Anfeindungen aus dem Jugend-Verband, findet auch Stoiber plötzlich ganz viel, was nicht richtig gelaufen ist. Die Koalitionsaussage zu Gunsten der FDP sei falsch gewesen. Die Ankündigung, die Steuerfreiheit der Nachtzuschläge zu streichen, habe "erheblich geschadet". Die Steuervorstellungen des Schattenfinanzministers Paul Kirchhof seien nicht mehrheitsfähig, das soziale Profil der Union sei nicht erkennbar gewesen. Die Liebeserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder an seine Frau habe eine "Schneise" geschlagen in die Zustimmung zur Union, sagt Stoiber noch. Ein wenig mehr Emotionen, Frau Merkel, könnte das auch heißen. Und damit die jungen Leute auch Stoff für etwas Selbstkritik haben, liefert Stoiber auch etwas Statistik: "38 Prozent der Jungwähler haben SPD gewählt, 26 Prozent die Union. Das ist ein Thema, das ihr aufarbeiten müsst."Und, nun gut, seine eigenen Äußerungen zu den Ostdeutschen seien missverstanden worden. "Die Wiedergabe war nicht hilfreich", sagt Stoiber. Die Wiedergabe. Nicht die Äußerungen. Einen deutlichen Applaus bekommt Stoiber, als er erklärt, er werde sich der Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin Merkel unterordnen."Die Kanzlerin hat eine Menge Möglichkeiten", sagt zu diesem Thema Angela Merkel. Und dass sie es seltsam findet, dass man diese Selbstverständlichkeit, den Begriff Richtlinienkompetenz, überhaupt betonen müsse. "Helmut Kohl hat es einfach gemacht", sagt Merkel. Die Junge Union ruft "Angie, Angie".------------------------------Aktiv konservativDie Junge Union (JU) hat fast 130 000 Mitglieder. Damit ist sie nach eigenen Angaben die größte politische Jugendorganisation Europas.Als Nachwuchsorganisation von CDU und CSU bekennt sie sich zu deren politischen Zielen und tritt für die Interessen der jungen Generation ein. Die Mitglieder sind mindestens 14 und höchstens 35 Jahre alt. Der CDU oder CSU müssen sie nicht angehören.Struktur: Analog zur Union gliedert sich die JU in 18 Landesverbände, die in Bezirks-, Kreis- und Orts- oder Stadtverbände unterteilt sind. Das größte Forum der JU, der jährliche Deutschlandtag, ist mit einem Parteitag vergleichbar.Geschichte: In ihrer mehr als 50-jährigen Geschichte hat die JU mehrfach versucht, sich als Motor von Reformen zu profilieren. Zuletzt provozierte im Jahr 2003 der JU-Vorsitzende Philipp Mißfelder mit Ideen zur finanziellen Verbesserung des Gesundheitssystems. Es sei nicht nachvollziehbar, dass "85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen", hatte er gesagt. Später schwächte er seine Äußerungen ab.------------------------------Foto: "Ich bin bereit, unter der Richtlinienkompetenz von Frau Merkel einen Beitrag zu leisten."Edmund Stoiber, CSU-Chef------------------------------Foto: "Nicht nur die große Koalition hat ihre Chance verdient, sondern auch Angela Merkel."Friedrich Merz, CDU-Finanzexperte------------------------------Foto: Trotz aller Kritik - die Junge Union steht hinter Angela Merkel, auch JU-Vorsitzender Philipp Mißfelder.