Karsten Bäron hat den Kampf gegen sein Knie aufgegeben. Jetzt trainiert er den Nachwuchs: Der rettende Dampfer kommt nicht mehr

Wie soll man so etwas erklären? Karsten Bäron denkt nach, und in seinen Gedanken ist der Fußballer draußen, weit draußen auf dem Meer. Bäron sagt: "Du hast ein Boot, ein Holzboot, und da ist ein Loch drin; und du musst immer mit einem Eimer Wasser rausschütten, damit es nicht untergeht, aber das Wasser kommt immer wieder nach. Natürlich probierst du es am Anfang und hoffst, dass ein Dampfer vorbeikommt und dich rettet." Er zuckt die Schultern. "Aber irgendwann, wenn du zehn Tage durchgehalten hast, kannst du nicht mehr. Da kommt dann eh kein Dampfer." Fast acht Jahre lang hat Bäron einen verzweifelten Kampf gekämpft, einen Kampf gegen sein krankes Knie. Anfang Januar gab er auf. Mit 27 Jahren beendete Bäron, einst gerühmt als größtes deutsches Stürmer-Talent, seine Karriere als Fußball-Profi beim Hamburger SV. Vielleicht hat der Winter ihm die Entscheidung erleichtert. "Wenn s richtig kalt ist", sagt Bäron, "tun mir die Narben weh." Die Narben am linken Knie. 32 Monate PauseAm 20. Februar 1993 riss Bäron beim Spiel in Stuttgart nach einem Foul der Meniskus. Zehn Monate später wurde er entfernt. Das Leid begann. Bäron lebte zwischen Arztpraxen, Krankengymnasten und Krafttrainern. Die Ärzte fanden einen Knorpelschaden im Knie. Bäron kämpfte. Er fand zurück in die Mannschaft, spielte, verletzte sich wieder. Wurde wieder operiert - acht Mal insgesamt. Die längste Pause dauerte 32 Monate; sie endete am 18. Dezember 1999 in einem triumphalen Comeback. Die Zuschauer standen auf und klatschten, als Bäron nach 80 Spielminuten gegen den MSV Duisburg eingewechselt wurde. Nach dem Schlusspfiff trugen ihn die Mitspieler auf ihren Schultern über den Platz. Die Partie endete 6:1 für den Hamburger SV, aber wichtig war nur Bäron."Fantastisch war das", sagt er: "Toll, einfach perfekt." Die Schufterei hatte sich gelohnt. Für den Augenblick, für ein kleines bisschen Glück. Nur sechs Mal hat Bäron danach noch in der Bundesliga gespielt, zuletzt im Mai, gegen Unterhaching. Bäron sagt: "Ich kann sagen, ich hab alles probiert." Holger Hieronymus, der Sportchef des HSV, sagt, Bäron habe sich "mit einer unglaublichen Wucht gegen die drohende Invalidität gestemmt". Hieronymus spricht aus Erfahrung, auch er musste seine Karriere als Fußballer wegen eines Knorpelschadens beenden, im Januar 1985.Die beiden haben prominente Leidensgenossen. Michael Skibbe, heute Assistent von DFB-Teamchef Rudi Völler, wurde 1987 zum Sportinvaliden; Matthias Sammer, der Trainer von Borussia Dortmund, absolvierte sein letztes Bundesliga-Spiel als Aktiver 1997. Allen beendete das Knie die Karriere - und alle blieben im Fußball-Geschäft. Bei Karsten Bäron wird das nicht anders sein.Seit September letzten Jahres ist er Co-Trainer der A-Jugend des HSV, künftig soll er hauptberuflich im Nachwuchsbereich wirken. Bärons Berater Jürgen Milewski sprach schon mit dem Verein, und der zeigt sich aufgeschlossen. Trainer Frank Pagelsdorf sagt, es sei "von Anfang an klar gewesen", dass Bäron hauptamtlich in den Verein eingebunden werde - wie auch sein Mannschaftskollege Thomas Doll. Bäron, der einst als Versicherungskaufmann Aktenberge schrumpfte, schließt zwar einen Schreibtischjob nicht aus. Doch am liebsten würde er als Trainer arbeiten. In den nächsten Tagen klärt Bäron mit dem HSV seine künftige Aufgabe. "Ich will etwas bewegen", sagt er, "etwas aufbauen." Talente formen. Vielleicht an die Zeit denken, als er selbst bekannt wurde und der FC Bayern um ihn warb mit dicken Bündeln von Geld."Ein bisschen rumdaddeln"Aber eigentlich will Bäron nicht zurückschauen. "Ich vermisse nichts", sagt er, und dem Knie gehe es auch ganz gut. Ab und zu Krankengymnastik und zweimal im Jahr eine Spritze für das Knorpelwachstum - das reicht mittlerweile, um das Knie stabil zu halten. Und um "ein bisschen rumzudaddeln" mit seinen A-Jugendlichen. Für den Beruf Fußball-Profi reichte es nicht mehr. Bäron und der HSV konnten sich einstellen auf das Ende, es kam ja nicht überraschend. Deshalb, sagt Bäron, "hinterlasse ich keine Lücke". Trainer Pagelsdorf will künftig statt drei Angreifern auch mal zwei aufstellen. Am Sonntag, in der Partie gegen Hertha BSC, werden wohl Anthony Yeboah und Erik Meijer auflaufen. Dort, wo einst Karsten Bäron stürmte.Von Zehlendorf nach Hamburg // Im Januar 1992 unterzeichnete der gebürtige Berliner Karsten Bäron einen Vertrag beim Hamburger SV. Bei Hertha Zehlendorf hatte der damals 18-Jährige in der Berliner Oberliga mit 28 Toren in 30 Spielen auf sich aufmerksam gemacht.Karsten Bäron absolvierte insgesamt 124 Bundesliga-Spiele und schoss 39 Tore.IMAGO Ein Foto fürs Archiv: Karsten Bäron (Zweiter von links), mittendrin im Bundesliga-Getümmel.