Kenias Justiz funktioniert doch: Anwalt Ghalia erkämpft in einem spektakulären Prozess ein faires Urteil für einen Deutschen: Freispruch statt Todeszelle

MOMBASA. Lahm quirlen die Deckenventilatoren schweißgetränkte Luft. Schadhafte Neonröhren verbreiten Schummerlicht im Saal 3 des High Court Mombasa. Die Atmosphäre scheint symptomatisch zu sein für den Zustand von Kenias Justiz: überlastete Richter hinter Aktenbergen, schleppende Verfahren - manche dauern bald 30 Jahre, überfüllte Anklagebänke. Prozessflut. Prozessstau.Hier verbringt Sidiq Ghalia, 76, sein Berufsleben. Er ist ein würdiger Herr, der als Honorarkonsul Deutschlands in einem klimatisierten Büro residiert und in seiner Strandvilla in Nyali eine antike Rosenholzsammlung pflegt. Als Kind fuhr er Milch aus, studierte später in London. Er gilt als bester Strafverteidiger an der Küste. Von Hunderten Fällen verlor er nur wenige. "Er soll sich zur Ruhe setzen", fordert seine deutsche Frau.Drei harte Jahre U-HaftDoch Ghalia genießt die Auftritte vor Gericht. Seit 1955 vertritt der Anwalt Mandanten in Mombasa, seit der Zeit des Mau-Mau-Aufstandes; Ghalia verkörpert afrikanische Rechtsgeschichte. Wie alle Anwesenden scheint er im Saal vor sich hinzudämmern. Doch der Eindruck täuscht. Ghalia ist hellwach und scharfsinnig, schlagfertig, gut vorbereitet. Und Kenias Justiz ist manchmal besser als ihr Ruf.Gestern schloss Ghalia seine lange Laufbahn mit einem seiner größten Erfolge ab: Freispruch statt Todeszelle erreichten er und sein Kollege Ngachuku Gakuhi für den Deutschen Uwe Meixner. "Das System funktiert", sagte Ghalia anschließend. Für ihn ist es nicht nur ein persönlicher Triumph, sondern auch ein Beweis dafür, dass in Kenia mit juristischem Sachverstand und einem vernünftigen Richter ein gerechtes Urteil gefunden werden kann. Selbst wenn es dauert, wie so vieles in Kenia. Es gab hier Gefangene, die 18 Jahre ohne Prozess festsaßen. Die konnten sich keinen Ghalia leisten, kein Anwaltsteam, das dafür sorgt, dass Beisitzer und Zeugen auch erscheinen und der Apparat Fortschritte macht. Vor anderthalb Jahren begann der Prozess gegen Uwe Meixner, 53. Der Deutsche hatte sich in 25 Jahren eine große Tauchschulkette aufgebaut, besaß Haus und Auto - dann schlug das Schicksal zu. Bis gestern waren Meixner und seine Freundin Violet Akinyi Odero, 28, angeklagt, im März 2004 Meixners langjährige Lebensgefährtin Hanifa ermordet zu haben. Drei Jahre verbrachte er im Untersuchungsgefängnis Shimo La Tewa in Mombasa. Drei Jahre Gitterstäbe statt des freien Blicks über seinen Pool und die Palmen am Indischen Ozean. Das hat ihn krank und mager gemacht. Seine Freundin leidet an Magengeschwüren. Sie saß zwei Jahre in Beugehaft und sollte, wie im Prozess deutlich wurde, zu einer Aussage gegen Meixner gezwungen werden.Meixner hat Presserummel stets abgewehrt, um ja nicht den Eindruck zu erwecken, er wolle Druck auf den Richter ausüben. Der nierenkranke Mann wollte nur den Prozess lebend und möglichst schnell hinter sich bringen. Seine Zelle füllte sich mit Büchern. Arbeiten durfte er als U-Häftling nicht, also versuchte Meixner, Mitgefangenen Schach beizubringen oder Deutsch. Vor allem aber klemmte er sich hinter sein eigenes Verfahren, verfasste für die rund 20 Prozesstage seitenlange Plädoyers, in denen er seine Unschuld beteuerte. Ihm drohte die Todesstrafe.Meixner und sein Rechtsbeistand sind ein ungleiches Paar. Das spärliche Haar hat der Tauchlehrer zum Zopf gebunden, das Hemd bis zum Bauch aufgeknöpft. Über den blütenweißen Sneakers trägt er Shorts. Er will vor Gericht keinesfalls den Eindruck erwecken, er sei etwas Besseres, nur weil er ein "mzungu" ist, ein Weißer.Kenias Zeitungen werden heute schäumen darüber, dass der Weiße davonkam, obwohl seine Waffe Hanifa tötete. Doch selbst die drei kenianischen Beisitzer entschieden vor einer Woche "not guilty", unschuldig. Nicht wegen Mangels an Beweisen rieten die Laien dem Richter, Meixner und seine Freundin freizusprechen, sondern weil es gar keine Beweise gebe: "no evidence". Meixner trage allenfalls psychologisch Mitschuld am Tod seiner Ex-Freundin, befand die einzige Frau unter den Beisitzern.Meixner hatte Hanifa am Abend des 20. März 2004 seine neue Freundin Violet vorgestellt, mit der er Kinder haben wolle. Ein brisantes Treffen, wie Meixners Haushälter Suleiman Mbegah erkannte, als er sich an dem Abend von der Runde verabschiedete. "Das Herz ist ein kleines Ding", warnte er das Trio, "aber es kann töten". Der Mann behielt recht. In einem Anfall von Eifersucht entwendete Hanifa Meixners Pistole, die er zum Schutz vor Raubüberfällen tragen durfte. Dann versteckte sie sich im Garten seines Strandgrundstücks. Meixner verschanzte sich vor Hanifa im Haus und rief den Sicherheitsdienst. Drei Wachleute fanden Hanifa auf einer Klippe sieben Meter über dem Strand. Sie rieten Meixner, mit ihr zu reden. "Schaff die Frau aus dem Haus", forderte Hanifa. Meixner kletterte zu ihr, auf einen anderthalb Meter von Hanifa entfernten Klippenvorsprung. Dann gab es einen Knall und Hanifa lag tot am Strand. Niemand außer Meixner will gesehen haben, wer den Schuss abgab, aber im Prozess deutete vieles darauf hin, dass Hanifa sich die halbautomatische Beretta in ihr Hüfttuch gewickelt hatte, als der Schuss fiel und die Kugel ihren Schädel durchschlug. An ihrer Hand und in ihrer Kleidung fanden sich Schmauchspuren, nicht aber an Meixner.Doch Chefermittler Kobina wollte Meixner auch daraus einen Strick drehen. Er habe sich die Hände gewaschen, falsche Kleidungsstücke zum Test gegeben, behauptete er. Violet und Meixner hätten Hanifa aus dem Weg räumen wollen. Alles was gegen seine These sprach, ignorierte der Staatsanwalt. Bald hatte der Fall politische Dimensionen erreicht. Kenias neue Regierung wollte offenbar den Eindruck vermeiden, ein Weißer könne vor Gericht leichter davonkommen als ein Kenianer. Hanifas Bruder bedrohte Angeklagte und Zeugen. "Die haben das Gericht bestochen", sagt er.Ein hochkorrekter RichterDoch das ist in Kenia seit Antritt der neuen Regierung vor bald fünf Jahren kaum mehr möglich, sagen erfahrene Anwälte. Die Hälfte der High-Court-Richter wurde wegen Korruption aus dem Amt gejagt, und Richter David Maraga war schon unter dem alten Präsidenten Moi für seine Korrektheit bekannt. Nie ließ er zu, dass eine Strafe bar bezahlt wurde, um Durchstechereien zu verhindern.Der Fall Meixner sei ein reiner Indizienprozess gewesen, bloß ohne Indizien, rügte der Richter gestern in seiner anderthalbstündigen Urteilsverkündung. Damit spielte er auf die Unverfrorenheit der Anklage an, in seinem Saal Märchen zu spinnen. Sein Urteil: "Nicht schuldig." Meixner kommt frei. "Sehr gut", sagte Ghalia nach dem Schiedsspruch. Nun will er sich zur Ruhe setzen, seine Kunstsammlung erweitern und in Mombasa ein Ghalia-Museum gründen. Voll Ingrimm denkt er an die Jahre, die sein Mandant unschuldig eingesperrt war: "Dieser Fall hätte gar nicht erst vor Gericht gebracht werden dürfen." Das System hat eben doch Schwächen.------------------------------Hohe Erwartungen - kleine FortschritteDie Regierung unter dem Präsidenten Kibaki hat ein umfassendes Reformprogramm für die Bereiche Regierungsführung, Justiz, Gesetz und Ordnung vorgelegt. Zwei neue Ministerien, eines für Justiz- und Verfassungsfragen und die kenianische Antikorruptionsbehörde, sollen die vielerorts vorherrschende Korruption zurückdrängen. Nach Einschätzung der deutschen Regierung haben sich die hohen Erwartungen in vielen Bereichen bisher nicht erfüllt.Amnesty International beklagt in jüngerer Zeit im Fall Kenias vor allem den problematischen Umgang mit Menschenrechten bei der Verfolgung von Verdächtigen im Rahmen des internationalen Anti-Terror-Kampfes.------------------------------Foto: Uwe Meixner und seine Freundin Violet Akinyi im Gerichtssaal------------------------------Foto: Anwalt Sidiq Ghalia vor dem Gericht in Mombasa: Seine blonde Perücke ist wie das gesamte Rechtswesen Kenias ein Erbe der britischen Kolonialzeit.