Kleine Regelverstöße sind womöglich schlimmer als große: Kavaliersdelikte in der Wissenschaft

Messdaten zu erfinden, gehört zum Schlimmsten, was ein Forscher tun kann. So selten solche Fälle sind, so nachhaltig erschüttern sie das Vertrauen in die Wissenschaft. Brian Martinson von der US-amerikanischen Stiftung Healthpartners hält den Wirbel um die spektakulären Vergehen von Forschern jedoch für übertrieben. Im Wissenschaftsmagazin Nature schreibt er gemeinsam mit zwei Kollegen, dass kleinere Verstöße gegen die Regeln der Zunft die Integrität der Wissenschaft stärker gefährden als große. Denn Kavaliersdelikte wie das Ignorieren von unpassenden Messdaten oder die mehrfache Veröffentlichung desselben Resultats seien verbreitet.Seine Behauptung untermauert Martinson mit einer Umfrage unter 3 250 amerikanischen Forschern. Jeder Dritte von ihnen kreuzte auf dem Fragebogen mindestens eine von 16 Verhaltensweisen an, die zuvor von Expertengruppen als Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Praxis gewertet worden waren. 15 Prozent hatten zum Beispiel in den vergangenen drei Jahren Daten aus ihrer Analyse ausgeschlossen, weil ihr Gefühl ihnen sagte, die Messung sei falsch gelaufen. Ebenso viele hatten schon einmal ein Experiment geändert, weil es ihr Sponsor so wollte. Und knapp 5 Prozent publizieren Forschungsergebnisse gelegentlich mehrfach.Auch in Deutschland seien Unredlichkeiten dieser Art verbreitet, bestätigt Ulrike Beisiegel, die Ombudsfrau der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Hamburger Biochemikerin spricht von einer Grauzone, von der aus der Schritt zur Fälschung nicht mehr groß sei. Allerdings gebe es hier zu Lande keine verlässlichen Zahlen.Vor allem in den Biowissenschaften und der Medizin nehme der Druck auf Nachwuchswissenschaftler zu, berichtet Beisiegel. Man müsse in kurzer Zeit und mit geringen Mitteln möglichst viele Forschungsergebnisse veröffentlichen. Daher steige die Rate der kleinen Vergehen. "Ich halte das für eine gefährliche Entwicklung", sagt die Biochemikerin.In der Wissenschaft müsse es selbstverständlich werden, Vergehen einem Ombudsmann zu melden, fordert Beisiegel. Doch derzeit würden kleine Regelverstöße noch von zu vielen Wissenschaftlern als Kavaliersdelikte betrachtet.Nature, Bd. 435, S. 737