Kolumne: Das moralische Problem gezielter Genveränderungen
Mit meiner genetischen Grundausstattung bin ich ganz zufrieden. Meine Zähne haben zwar inzwischen Generationen von Zahnärzten beschäftigt. Aber da war wohl die dürftige Ernährung meiner Kindertage der Auslöser. Und dass ich gegen Katzenhaare, Gräser- und Baumpollen allergisch bin, führe ich auf die einstige Vorliebe meiner Mutter zurück, Aluminiumkochtöpfe zu benutzen. Das Leichtmetall steht im Verdacht, das Immunsystem aufzustacheln.
Unsere Umwelt steuert eben unsere Gene, zum Schlechten wie zum Guten. Zigaretten und Sport sind so ein populäres Gegensatzpaar. Die damit ausgelösten sogenannten epigenetischen Schaltungen im Erbgut sind sehr viel stärker, als die Experten noch vor wenigen Jahren vermutet hatten. Wir können unser Dasein aktiv gestalten.
Aktiv eingreifen möchten auch die Geningenieure. Seit mehr als zwei Jahren verfügen sie über ein mächtiges Werkzeug, das einst Bakterien zur Abwehr von Viren entwickelt haben. Die Methode nennt sich Crispr/Cas-System und lässt die Schrotschussmethoden der alten Gentechnik weit hinter sich. Erstmals ist es den Wissenschaftlern damit möglich, gezielt einzelne Gene unter Milliarden ein- und auszuschalten, zu entfernen oder auszutauschen. Das Verfahren hat in der Grundlagenforschung einen Boom ausgelöst. So konnte damit etwa jüngst die molekulare Struktur der lebenswichtigen Chloridkanäle, sie steuern den Druck in unseren Zellen, aufgeklärt werden.
Genetische Veränderungen Punkt genau möglich
Doch dabei wird es nicht bleiben. Bei schwersten Erbkrankheiten wurden früher grobschlächtige Gentherapien erprobt. Die waren noch auf Virushüllen für den Transport der heilenden Gene angewiesen, die dann nach dem Prinzip Zufall irgendwo im Erbgut abgeladen wurden. Schlimme Nebenwirkungen bis hin zum Tod waren teilweise die Folge. Das ist nach dem bisherigen Kenntnisstand bei Crispr/Cas ausgeschlossen. Damit lassen sich genetische Veränderungen erstmals punktgenau ausführen.
So wäre die Heilung der Immunschwächekrankheit Aids durch eine kleine Veränderung am Gen CCR5 möglich, die Zellen würden keine HI-Viren mehr eindringen lassen. Auch zur Vorbeugung des Herzinfarkts gibt es das passende Zielgen: PCSK9. Solche Gentherapien sind am lebenden Menschen, aber auch am Embryo möglich. Unserer Gesellschaft steht damit zwangsläufig eine neue ethische Debatte bevor, ob das heilende Medizin ist – oder auslesende Zucht der Stärksten und Gesündesten.
Wunsch nach Selbstoptimierung ist nicht neu
Nun sind die ethischen Debatten zu Gentechnik oder auch Stammzellforschung bisher oft mit religiösen Argumenten unterfüttert worden. Umso erstaunlicher für mich, dass jetzt der Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster eine Studie vorgelegt hat, die zu dem Ergebnis kommt, genetische Optimierungen seien zulässig. Das Verbot eines solchen Eingriffs in die Keimbahn, also in einen Embryo, durch das Embryonenschutzgesetz werde dann hinfällig, sobald die Medizin die absolute Sicherheit garantieren könne. Weder würden Grundrechte noch Menschenwürde durch genetisches Enhancement verletzt, so die Münsteraner Studie.
Darwin lässt schön grüßen, die Menschheit kümmert sich seit Urzeiten um ihre Schwachen und Kranken, das Soziale ist also eindeutig ein Überlebensvorteil. Neu ist der Wunsch nach Selbstoptimierung allerdings auch nicht. Fettabsaugen, pralle Brüste und geliftete Gesichter sind der Kassenknüller bei den Schönheitschirurgen. Wer schön sein will, muss leiden. Ganz ohne Gentechnik.