Kolumne zu Putin: Society der alten Schule
Die Oldschool Society ist aufgeflogen. Die Polizei nahm einige der Neonazis fest. Man fand Feuerwerkskörper und anderes Zeug, aus dem Bomben gemacht werden können. Großer Erfolg der gescholtenen Behörden – Applaus, Applaus –, der Verfassungsschutz ist doch zu etwas nütze und ab sofort nicht mehr der Versager vom NSU-Skandal! Und wenn die NPD dann erst verboten ist, wird am Ende alles gut.
Die Zahlen sind gestiegen, sagt das Innenministerium: ein Viertel mehr rechte Gewalt und ein Viertel mehr antisemitische Straftaten. Dafür aber weniger geschändete jüdische Friedhöfe. Wenigstens das. So ist die Lage in Deutschland am 70. Tag der Befreiung. Den schönsten Tag in seinem Leben nannte ihn mein Vater. Für ihn war dies ein Tag unfassbarer Erleichterung und noch viel größerer Trauer, die erst in diesem Moment einen Platz bekam. Für ihn war es so, für die meisten Deutschen nicht. Sie wurden nicht befreit, sondern besiegt.
An diesem 70. Jahrestag in Deutschland aber verwischten die Grenzen zwischen Sieg und Niederlage, Befreiung und Freiheit. Die Feierlichkeiten in diesem Jahr waren überschattet von Symboliken, die für das eigentliche Ereignis, das schlichte Erinnern, viel zu wenig Platz ließen. Putin, der Imperialist des Ostens, hat mit seiner anti-westlichen Demagogie diesen Tag beschlagnahmt. Er hat erreicht, dass nicht über den fanatischen Nationalsozialismus der Deutschen gesprochen wurde. Endlich tauchte dieses leidige Thema kaum mehr auf! Stattdessen wurden alle zu Siegern, die Putins Selbstherrlichkeit gegenüber den westlichen Demokratien bejubelten. Einschließlich der neuen Nazis.
Der geplante Sturm auf den Reichstag fiel zwar kläglich aus, doch zeigten die Versammelten gleichermaßen, wie wenig sie dem eigentlichen Anlass zu gedenken bereit waren. Auf der einen Seite zum Sturm bereit, die Hippie-Faschos, Pegidisten, Friedenswächter ohne Aluhut, Rocker ohne Bikes und dazwischen Käpt’n Brise. Auf der anderen traurige Linke, schwermütig und eifersüchtig, dass sie nicht gleichzeitig gegen Nazis und für Putin sein konnten. Die meisten hätten ihn schon gern für sich gehabt.
Die Heraldik dieses Tages: Sowjetfahnen im Doppel mit der palästinensischen, die deutsche im Doppel mit der russischen. Dazu jede Menge Kreuze in verschiedenen Farben, kriegerische Wappen, neue Symbole der neuen Rechten, der deutschen wie der russischen. Soldatische Kerle, die sich gegenseitig beglückwünschen. Und selbst die Veteranen an den Ehrenmalen konnten dem nicht wirklich entkommen, nicht einmal im Widerstand gegen ihn: Putins Narzissmus wehte über allem.
Das alles hat gar nichts mit jenen Tagen im Mai zu tun, jenem schönsten Tag im Leben vieler. Und es lässt vergessen, dass auch die westlichen Alliierten an der Befreiung beteiligt waren. Ohne sie hätte es die Freiheit für diese Demos nie gegeben. Und ohne sie gäbe es keine Institutionen, die sich mit der Festnahme von Nazis brüsten. Ohne sie gäbe es kein überflüssiges NPD-Verbot. Sie mögen albern sein, unaufrichtig und ihre Politik vollkommen unzureichend. Und doch ist es so viel besser. Und am Ende eine große Erleichterung.
Denn das Ergebnis der Befreiung muss Freiheit sein. Die gibt es unter Putins Banner nicht.