Kommentar: Außenpolitik der Gefühle

Gefühle sind keine Kategorie, erklärt Frank-Walter Steinmeier gern, jedenfalls mag er ihnen in seinem Verständnis von Diplomatie nur einen äußerst begrenzten Raum geben. Aus gutem Grund. Ebenso wahr aber ist, dass Gefühle in der Außenpolitik selbstverständlich eine Rolle spielen.

Am Montag bezeugte das auch Steinmeier. Er erklärte, man könne, was den Armeniern vor einhundert Jahren geschehen sei, in dem Begriff des Völkermords zusammenfassen wollen. Er könne die Gründe dafür und die Gefühle dazu gut verstehen. Als Außenminister müsse er aber daran denken, was nach dem Gedenktag des Völkermords an den Armeniern geschehe. Seine Sorge ist, dass der Streit zwischen der Türkei und Armenien um die Benennung dessen, was den Armeniern im osmanischen Reich angetan wurde, einen Ausgleich zwischen den beiden Völkern unmöglich macht.

Legt man einhundert Jahre Erfahrung zugrunde, wird man sagen müssen, dass die Leugnung des Völkermords durch die Türken zu keinem Ausgleich mit den Armeniern geführt hat, auch das peinliche Beschweigen des Umstands durch andere nicht. Die Mindestvoraussetzung für einen Ausgleich wäre wohl, dass sich beide Seiten über den Gegenstand ihrer Fehde verständigten. Dem stehen die Gefühle im Weg. Die türkische Regierung sieht sich beleidigt, die Armenier an der Trauer um die Opfer gehindert. Letzteres wiegt schwerer und verdient nach einhundert Jahren eine Parteinahme.

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