Kommentar Linke nach der Wahl: Gleichberechtigt mit Gysi
Zumindest die Tonlage hat sich schon mal geändert. „Wir brauchen uns alle, und wir brauchen jetzt keine Kämpfe zwischen uns“, sagte Gregor Gysi vor der ersten Fraktionssitzung. Neben dem Vorsitzenden schlug auch seine Stellvertreterin Sahra Wagenknecht versöhnliche Töne an: „Ich hoffe nicht, dass das wieder zu Machtkämpfen und Zerreißproben führt.“ Mit „das“ war der Konflikt um die Fraktionsspitze gemeint.
Zwar hatte die Linke 2010 ein Fraktionsstatut beschlossen, das die Bildung einer Doppelspitze ermöglicht. Gysi hatte bei der letzten Vorstandswahl indes verhindert, dass Wagenknecht zweite Vorsitzende an seiner Seite wurde. Sie wurde damals nur zu einer von vier Stellvertretern gewählt. Nach der Wahl steht das Thema nun erneut auf der Tagesordnung. Und wieder sammeln sich die Truppen.
Die nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen sagte: „Wir hatten im Bundestagswahlkampf zwei Spitzenkandidaten, die weit herausragten: Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht. Beide haben das hervorragend gemacht – Sahra besonders im Westen und Gregor besonders im Osten. Ich wünschte, das würde sich in der Fraktionsspitze dann auch widerspiegeln.“ Dem widersprechen zumindest indirekt Vertreter des Reformflügels. Der wiedergewählte Berliner Abgeordnete Stefan Liebich etwa hob schon am Wahlabend hervor, dass Gysi seiner Ansicht nach herausragenden Anteil am Wahlerfolg habe. Dass Gysi das Ergebnis so überschwänglich feiert, darf auch als Werbung in eigener Sache verstanden werden. Der 65-Jährige sei, so heißt es, fest entschlossen, allein weiterzumachen. Seine Anhänger erklären, komme es zu einer Abstimmung, werde er gewinnen.
Harmonie oder Eskalation
Damit wäre der Fraktion freilich nicht unbedingt gedient. So sagt der saarländische Bundestagsabgeordnete Thomas Lutze: „Gysi war Spitzenkandidat und hat einen super Job gemacht. Wenn er das noch einmal machen würde, wäre das ganz großes Kino.“ Er sagt jedoch auch: „Ich gehe davon aus, dass sich die beiden großen Köpfe Sahra Wagenknecht und Gregor Gysi in irgendeiner Weise einig werden und der Fraktion einen gemeinsamen Vorschlag unterbreiten.“ Es nütze niemandem, wenn eine Entscheidung nur von einer knappen Mehrheit getragen werde. „Wenn es eine Konsequenz aus dem Wahlergebnis geben muss, dann die, dass solche Personalfragen einvernehmlich im Vorfeld geklärt werden.“ Als einfaches Fraktionsmitglied erwarte er das.
Lutzes Wortmeldung ist ein interessanter und vielleicht sogar bezeichnender Hinweis auf die Stimmung. Lutze wurde in Elsterwerda geboren, ging aber mit Anfang 20 zum Studium nach Saarbrücken und arbeitete später für den Linkspartei-Mitbegründer Oskar Lafontaine. Der versuchte im Sommer erfolglos, Lutzes Nominierung zum saarländischen Spitzenkandidaten zu verhindern – unter anderem weil dieser nach grober Einteilung zum Reformlager zählt. Dass der 44-jährige Lutze nun für einen Kompromiss mit der Lafontaine-Gefährtin plädiert, darf man als Indiz dafür werten, dass manche die Selbstzerfleischung satt haben.
Aus der reformorientierten Landesgruppe Sachsen-Anhalt verlautet unterdessen, eine Doppelspitze lasse sich wohl kaum noch vermeiden. Dabei ist Wagenknecht dort unpopulär. Der nordrhein-westfälische Wagenknecht-Anhänger Andrej Hunko wiederum warb vorsichtig für sie. „Eigentlich“ müsse es eine Doppelspitze geben, sagte er. Manövriermasse zwischen den Lagern entsteht dadurch, dass der Posten des Parlamentarischen Geschäftsführers neu besetzt werden muss. Es gibt Leute, die finden, der wäre etwas für Fraktionsvize und Wagenknecht-Konkurrent Dietmar Bartsch – auch um das Konfliktpotenzial weiter zu reduzieren.
Am 8. und 9. Oktober trifft sich die Fraktion zu einer Klausur im Spreewald. Dann wird sich zeigen, ob die Linke bei der Auflösung interner Gegensätze dazugelernt hat – oder ob „das“ wieder eskaliert.