Kommentar : Stunde der Populisten in Italien

Angst ist in der Politik ein schlechter Ratgeber, das weiß auch Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi. Europa ist in diesen Wochen getrieben von Ängsten, seine Schwäche offenbart sich nicht nur in der Griechenlandkrise, sondern auch in der Flüchtlingspolitik. Geradezu beschwörend versichert der Regierungschef immer wieder, dass Italien nicht gefährdet sei von einem contagio, einer Ansteckung. Bloß keine Angst, das ist die Botschaft, und man fragt sich, ob er sich nicht auch selbst Mut zuspricht.

Es ist ja noch nicht lange her, da war Italien hochgradig gefährdet. Damals, im Jahr 2011, drohte dem Land die Zahlungsfähigkeit, Silvio Berlusconi hatte es politisch, moralisch und ökonomisch an den Rand des Abgrunds gewirtschaftet. Die Angst vor einer Kettenreaktion, sollte die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone wanken, war so groß, dass Berlusconi in Schimpf und Schande aus dem Amt gehen musste – nicht zuletzt auf Druck aus Brüssel und Berlin.

Nach einer Technokratenregierung versucht nun der junge Sozialdemokrat aus Florenz, die Hinterlassenschaften des berlusconismo zu überwinden. Gewiss, mit dem Versprechen, jeden Monat eine Reform durchzubringen, musste er scheitern in einem Land, in dem seit Jahrzehnten lustvoll geklagt wird, dass es nicht vorankommt, in dem jede noch so kleine Reform dann aber blockiert wird.

So gesehen, grenzt es fast an ein Wunder, was Renzi in seinen knapp eineinhalb Regierungsjahren vollbracht hat. Er hat den verkrusteten Arbeitsmarkt geöffnet und jungen Leuten eine Perspektive gegeben, er hat das Wahlrecht reformiert und die zweite Parlamentskammer, den Senat, faktisch abgeschafft, er hat den Kampf gegen Korruption verschärft und will nun die Privatisierung von Staatsunternehmen wie Post und Bahn vorantreiben.

Der Preis dafür aber ist hoch. Renzi, der nicht demokratisch gewählt ist, greift zu Mitteln, die nicht nur den linken Flügel seiner Partei das Fürchten lehren. In einer neuen Volte kündigte er jüngst an, Steuern in Höhe von fast 50 Milliarden Euro zu senken und versprach den Italienern einen neuen „Pakt“. Damit spätestens fühlten sich all jene bestätigt, die ihn schon immer für einen vom Schlage Berlusconis gehalten haben. Der hatte mit einem solchen „Pakt“ Wahlen gewonnen. Auch Renzi hat ein untrügliches Gespür für die Stimmung in der Bevölkerung, und er muss alarmiert sein, dass seine anfängliche Popularität verblasst.

Die Italiener beunruhigt es weniger, dass die Staatsverschuldung auf schwindelerregende 133 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gestiegen ist – das Land liegt damit in der Eurozone auf Platz zwei hinter Griechenland. Man hat ja Übung, mit Schulden virtuos zu jonglieren. Viel gefährlicher ist für Renzi das Erstarken der Populisten von Links und Rechts, und dies hängt auch mit der europäischen Krise zusammen. Trotz der politischen Instabilität in der gesamten Nachkriegszeit waren die Italiener immer überzeugte Europäer und stolz darauf, dass die Gründungsverträge des geeinten Europa einst in Rom unterzeichnet wurden.

Das hat sich in den vergangenen Jahren, seit der Finanzkrise 2008 und der anschließenden Eurokrise, dramatisch verändert. Die Italiener bekommen deren Auswirkungen nach wie vor hart zu spüren, und dass das Land derzeit trotzdem stabiler ist, liegt auch an der Politik der Europäischen Zentralbank. Bis Renzis Reformen greifen, werden Jahre vergehen. Italien fühlt sich von Europa schon lange im Stich gelassen, vor allem in der Flüchtlingspolitik. Angst vor Überfremdung, Angst vor sozialem Abstieg, Angst vor zu viel Veränderung, Angst vor der Globalisierung, dazu der Verdruss über das abgewirtschaftete politische System, all das treibt die Menschen den Populisten in die Arme, sei es der rechten Lega Nord, der wieder erstandenen Forza Italia von Berlusconi oder der linken Bewegung Fünf Sterne.

Sie alle beschwören Schreckensbilder eines Landes herauf, das von Afrikanern überrannt wird; sie eint die Wut auf Brüssel und die Ablehnung Europas. Beppe Grillo, der Gründer der Fünf Sterne, fordert ein Referendum über den Euro, und es ist keineswegs sicher, dass noch eine Mehrheit für einen Verbleib stimmen würde. Es sind sehr unheilige Allianzen, die da geschmiedet werden. Man sieht sich vereint in der Achse Rom-Athen und gegen „la Merkel“; rechte und linke Hetzer feierten das Nein der Griechen zu den Brüsseler Sparmaßnahmen gleichermaßen.

Alle gemeinsam treiben sie Renzi vor sich her, der so etwas wie einen dritten Weg zu gehen versucht: das eigene Land reformieren und das auch Griechenland abverlangen – während er gleichzeitig in Berlin und Brüssel darauf drängt, dass es gerettet werden muss. Es ist ein einsamer Weg. Zu Hause in Italien erreicht er damit immer weniger Menschen, die Feinde der EU warten nur auf ihre Stunde. Das ist für Europa brandgefährlich.