Kommentar zu Barbara Hendricks: Von wegen schrille Minderheit
Aus heutiger Sicht blickt man fassungslos zurück auf die „Affäre Kießling“: Allein wegen des Gerüchts, der Vier-Sterne-General Günter Kießling, sei schwul, drängte ihn 1983 CDU-Verteidigungsminister Manfred Wörner zum Rücktritt. Begründung: Er sei erpressbar, also ein Sicherheitsrisiko. Sogar die Kripo ermittelte – gegen Kießling. Wenn nun Barbara Hendricks als erste offen lesbische Bundesministerin in die Geschichtsbücher eingeht, ist es offensichtlich und auch gut so, dass diese Art von Schmierenkampagne ins Leere laufen und nur auf ihre Urheber zurückfallen würde.
Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass es egal ist, ob jemand in einer Homo- oder einer Hetero-Ehe lebt. Denn obwohl die Pflichten sich fast gleichen, sind die Schwulen und Lesben vom Steuer- bis zum Adoptionsrecht noch immer Bürger zweiter Klasse. Da ist es verständlich, dass mancher Gleichstellungsaktivist verzweifelt nach Fürsprechern auch am Kabinettstisch sucht – zumal es dort reichlich konservative Unions-Männer gibt, die Homosexuellen gleiche Rechte nur gewähren wollen, wenn das Verfassungsgericht sie dazu zwingt.
Das Private ist zwar nicht stets politisch und Politiker sollten nicht gegen ihren Willen geoutet werden. Es bleibt aber zu hoffen, dass es etwa CSU-Minister Dobrindt schwerer fällt, Homosexuelle als „schrille Minderheit“ abzutun, wenn er weiß, dass er damit auch eine Kabinettskollegin beleidigt.