Kommentar zu ertrunkenen Flüchtlingen: Zivilisatorischer Rückschritt

Den Grad einer Zivilisation könne man an ihrem Umgang mit den Gefangenen ablesen, sagte einst Fjodor Dostojewski. Wenn man das Wort Gefangene durch das Wort Flüchtlinge ersetzt, hat man eine moderne Version des Diktums des russischen Schriftstellers. Es geht nicht nur um die Flüchtlinge, die angekommen sind, sondern auch um diejenigen, die ankommen wollen. Vor der libyschen Küste sind etwa 400 Menschen ertrunken. Sie sind tot, weil Italien die Seenotrettungskampagne „Mare Nostrum“ im vergangen Jahr eingestellt hat. Italien, wo im vergangenen Jahr 150.000 der 200.000 Mittelmeerflüchtlinge angekommen sind, hat die monatlich neun Millionen Euro teure Kampagne auslaufen lassen, weil die EU sie nicht mitfinanzieren wollte.

Wollte die EU wirklich nur neun Millionen Euro sparen? Oder nimmt sie die Opfer in Kauf, um die Immigration durch Abschreckung zu kontrollieren, wie Giusi Nicolini, die Bürgermeisterin von Lampedusa schon vor drei Jahren vermutete? Natürlich muss man die Fluchtursachen bekämpfen. Aber wie, bitte schön? Die meisten Flüchtlinge kommen aus Syrien und Eritrea. Wie soll man kurzfristig in Syrien Frieden schaffen und in Eritrea, dem Nordkorea Afrikas, Demokratie erzwingen? So bleibt also vorerst nur Seenotrettung. Doch Mare Nostrum wurde durch Triton abgelöst, eine Grenzschutzmission zur Aussperrung von Flüchtlingen. Es ist ein zivilisatorischer Rückschritt, eine Schande.

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