Kommentar zu Michael Müller: SPD und CDU in Berlin verbindet nichts mehr

Wenn ein Regierungschef eine seitenlange Erklärung abgibt, dann gerät das oft etwas statisch. Alles ist bis ins Detail ausformuliert und wird vorgelesen, es soll ja später nichts fehlen im Protokoll.

Doch wer eine solche Regierungserklärung am Donnerstag auch vom Regierenden Bürgermeister erwartet hatte, wurde überrascht. Positiv überrascht. Michael Müller (SPD) hielt sich fast gar nicht ans eigene Manuskript, sondern formulierte einen flammenden Appell an die Hauptstadt, in der Bewältigung der Flüchtlingskrise zusammenzustehen und zusammenzuarbeiten. Berlin muss und wird das schaffen, wenn alle anpacken, wenn keiner blockiert, so seine Botschaft. Eine veritable „Ruckrede“ war das. Nicht nur die SPD, auch die Opposition war begeistert.

Vorwurf der Überforderung

Die Opposition? Ja, denn Müllers Auftritt war zugleich eine scharfe Abrechnung mit dem Koalitionspartner. Er hielt, wenn auch nicht namentlich, CDU-Innensenator Frank Henkel vor, sich an Abschiebungszahlen „besoffen zu reden“. Er legte CDU-Sozialsenator Mario Czaja nahe, seinen Platz zu räumen, wenn er sich überfordert fühle.

Die Union quittierte dies, verständlicherweise, mit eisigem Schweigen und verweigerte Müller den Applaus. Es grenzt an Selbstverleugnung, nach dieser Attacke nicht die Koalition in Frage zu stellen. Selten ist klarer geworden, wie weit die Politikansätze von SPD und CDU in Berlin bei wesentlichen Themen auseinanderliegen. In zehn Monaten sind Neuwahlen. Es wird höchste Zeit.

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