Kommentar zum Pistorius-Urteil: Was das Urteil über Südafrika aussagt
Es ist ein salomonisches Urteil. Dermaßen ausgewogen, dass es bei seiner Verkündung im Saal DG des Landgerichtes von Pretoria zu keinerlei emotionalen Reaktionen kam. Ruhig nahm sowohl Oscar Pistorius wie seine Familie das über ihn verhängte Strafmaß zur Kenntnis – auch auf der Seite der Hinterbliebenen der getöteten Reeva Steenkamp waren weder Rufe der Erleichterung noch des Zornes zu vernehmen. Bislang hat auch weder die Verteidigung noch die Staatsanwaltschaft Berufung gegen den Entscheid der Richterin Thokozile Masipa eingelegt: Zumindest die juristische Welt scheint mit den fünf Jahren Haft für Oscar Pistorius einverstanden zu sein.
In der südafrikanischen Öffentlichkeit stößt das Strafmaß – wie schon das Urteil, das schuldig des Totschlags aber nicht des Mordes lautete –indessen auf Kritik. Eine Mehrheit der Kapbewohner legte sich bereits vor Monaten darauf fest, dass Pistorius seine Freundin Reeva im Februar des vergangenen Jahres nicht aus Versehen sondern mit voller Absicht getötet hatte: Dass es der Staatsanwaltschaft beim besten Willen nicht gelang, die Vorsätzlichkeit des Mordes zu beweisen, nahmen die von vornherein Überzeugten nicht zur Kenntnis.
Vermutlich wird Pistorius höchstens ein Jahr lang hinter Gittern sitzen müssen – der Rest der fünfjährigen Haftstrafe kann bei guter Führung in Hausarrest verwandelt werden. Auch das wird manchem Südafrikaner als viel zu milde erscheinen: Die Forderungen der Bevölkerung nach Gerechtigkeit dürften jedoch nicht mit Rachegelüsten verwechselt werden, sagte Richterin Masipa bei der Strafmaß-Begründung.
Einmal stellte die 67-Jährige ihre Bedachtsamkeit und ihre Souveränität unter Beweis. Dass eine schwarze Juristin über einen weißen Sportstar zu Gericht sitzt, war in Südafrika keinem entgangen: Ein Meilenstein der jungen Regenbogennation, den die erst zweite schwarze Richterin des Landes mit Bravour passierte.
Den Kapländern sollte das in voller Länge übertragene Verfahren auch den Beweis dafür liefern, dass mit dem Gerichtswesen in ihrem Land alles in bester Ordnung ist. Im Fall Pistorius war das wohl tatsächlich der Fall. Doch dass links und rechts des „Schauprozesses“ vieles, ja fast alles in Trümmern liegt, sollte am Tag der Zufriedenheit nicht vergessen werden.