Kommentar zur schwarzen Null: Merkels Regierung spart Deutschland arm
Berlin - Deutschlands Zukunft gestalten, so hat die große Koalition ihr Regierungsprogramm überschrieben. Das ist ein hoher Anspruch, aber seine Erfüllung setzte voraus, dass die Regierung eine gesellschaftspolitische Vision davon hat, was aus diesem Land werden soll. Wie sehr es ihr jedoch daran mangelt, hat die Generalaussprache im Bundestag am Mittwoch gezeigt.
Wenn es überhaupt eine überwölbende Idee dieser Koalition gibt, dann es ist jene schwarze Null, die der Finanzminister Wolfgang Schäuble wie einen Fetisch verehrt und dem sich inzwischen auch die Sozialdemokraten unterwerfen. Ein Haushalt ohne neue Schulden sei ein Beitrag zur Generationengerechtigkeit, behauptete Kanzlerin Angela Merkel vor den Abgeordneten. Das ist nichts anderes als eine Vortäuschung falscher Tatsachen.
Denn was die Bundesregierung an Schulden abbaut, häuft sie gleichzeitig in noch größerem Umfang an versteckten Schulden wieder auf, die künftige Generationen abzutragen haben. Sie erben vielleicht einen etwas günstigeren Kontostand, zugleich aber eine verrottete Infrastruktur, deren Reparatur und Ersatz umso teurer wird, je länger man zuwartet. Das gilt für Straßen, Brücken, Schleusen, Bahnlinien und Datennetze ebenso wie für Universitäten, Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Pflegeheime und die Entwicklung des dazugehörigen Personals.
Als Sparsamkeit verkleidete Armut
Deutschland ist ein reiches Land, doch gefallen sich viele seiner Politiker seit Jahren darin, den gesamten öffentlichen Sektor mit einem Schleier der als Sparsamkeit verkleideten Armut zu überziehen. „Dafür ist kein Geld da“, lautet eine Standardformel, die so oft wiederholt wird, dass man sie schon gar nicht mehr in Frage stellen mag – und wenn, dann mit einem schlechten Gewissen. Dabei sind die Steuereinnahmen auf ungeahnte Höhen gestiegen; dabei böte die immer größere Ungleichheit der Einkommensverteilung genügend Anlass, die Reichen stärker zur Kasse zu bitten; dabei sind die Zinsen so niedrig, dass jede einigermaßen vernünftige kreditfinanzierte Investition fast automatisch zu Gewinnen führt.
Doch die Regierung tut nichts, um die derzeit sehr günstigen Rahmenbedingungen für eine echte Daseinsvorsorge zu nutzen. So wie ihre Vorgänger in den 90er-Jahren den angeblichen Heilsbringer Markt wie einen Götzen umtanzten und erst sehr spät ihren Irrtum erkannten, so sind es heute die Fetische schwarze Null und Schuldenbremse, denen sich die Politik unterwirft und so ihren Gestaltungsanspruch aufgibt. Das aber führt dazu, den Staat – besser: die Ausstattung unseres Gemeinwesens – immer weiter zu schwächen.
Dabei wirken die Folgen des Neoliberalismus, der ein Jahrzehnt lang die deutsche Politik beherrscht hat, bis heute nach. Die damals vollzogene Privatisierung öffentlichen Eigentums zum Beispiel in der Energieversorgung behindert bis heute die staatliche Handlungsfähigkeit, was sich besonders negativ für die unterfinanzierte Energiewende auswirkt. Die Bundesregierung müsste noch mehr in erneuerbare Energien und deren Praxistauglichkeit investieren sowie den Umbau beschleunigen. Stattdessen aber fördert sie eher den Klimawandel als die Energiewende. Ist auch das ein Beitrag zu Merkels Generationengerechtigkeit?
Sozialfeindliche Privatisierungspolitik
Noch immer hält der Bund an seiner sozialfeindlichen Privatisierungspolitik öffentlicher Liegenschaften fest. Nicht nur in Berlin werden so Grundstücke und Gebäude an meistbietende Investoren verkauft, die sie allein in ihrem Profitinteresse verwerten. Auch das dient dem Schuldenabbau, widerspricht aber vollkommen dem Ziel, für Normalverdiener bezahlbaren Wohnraum zu erhalten, neue Eigentumsmodelle zu fördern und eine gute soziale Durchmischung in den Städten zu sichern.
Sozialdemokraten erkennen diese Fehlentwicklungen durchaus, immerhin hat ihr Vorsitzender, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, nun sogar einen Investitionsbeauftragten berufen, der helfen soll, die größten Schwachstellen zu identifizieren. Aber sie tragen die verfehlte Haushaltspolitik schweigend mit. Das ist der Preis, den die SPD der Union für die Duldung von Mindestlohn und Rentenreform zahlen muss, wobei sie sich schon bei deren gemeinverträglicher Finanzierung nicht durchsetzen konnte.
Ausgeglichener Haushalt ohne Steuererhöhungen, das ist das einzige Ziel, dem sich CDU und CSU noch verpflichtet fühlen. Ein Ziel, das nur wenig mit einer politisch-ökonomischen Wirklichkeit zu tun hat, die einen ganz anderen Gestaltungswillen erforderte. So aber spart die Regierung von Angela Merkel Deutschland immer ärmer und kaputter.