Kommentar zur Selbstverteidigung: Edathy macht es sich zu leicht
Wenn jemandem gerade der Boden unter den Füßen entgleitet, ist Strampeln nach Tritt das denkbar Normalste. Der Grund, den Sebastian Edathy verloren hat, besteht aus einer gefestigten bürgerlichen Existenz, einer steilen politischen Karriere, öffentlicher Resonanz.
Sogar Anfeindungen konnte der frühere SPD-Abgeordnete auf der Haben-Seite verbuchen: Als Chef des Untersuchungsausschusses zur rechtsextremen NSU stand er fast per Definition auf der Seite der Guten. Womöglich ist es genau dieses Changieren seiner einstigen Reputation zwischen Politik und Ethik, zwischen Recht und Moral, das Edathy so schwer Halt finden lässt - jetzt nachdem der Kauf von Bildern nackter Kinder bekanntgeworden ist.
Die ganze Haltlosigkeit, das wütend-verzweifelte Ringen um einen Standpunkt wird in seinem jüngsten "Spiegel"-Interview vor allem an der zentralen Argumentationsfigur deutlich: Es war erlaubt, diese Bilder zu kaufen und anzusehen. Illegal ist darum nicht dieses Verhalten, sondern das Vorgehen der Behörden samt öffentlicher (Vor-)Verurteilung. Folglich sieht sich Edathy als Opfer, nicht als Täter. In dieser Perspektive verhindern der Furor einer mehr oder weniger scheinheiligen Moralisierung und Charakterlosigkeiten der SPD-Spitze, dass ihm Recht geschieht in seiner, so wörtlich, "surrealen Lage".
Kunsthistorische Argumente
Dieser Begriff "surreal" mag Edathys Stimmungslage widerspiegeln. Die Sache trifft er nur bedingt. Fernab der Realität ist nämlich in erster Linie Edathys Versuch, mit einer rein legalistischen Betrachtung die Deutungshoheit über seine "Affäre" zu erlangen. Das führt ihn bis zur kühnen Volte, einen Besucher der Staatlichen Museen zu Berlin in wohlgefälliger Betrachtung von Caravaggios Gemälde "Amor als Sieger", das einen entblößten Jüngling zeigt, gewissermaßen als sexuell-ästhetisch Gleichgesinnten zu reklamieren. Und schon gar nicht will er im eigenen Fall über "Missbrauch" mit sich reden lassen.
Im streng strafrechtlichen Rahmen muss er das wohl auch nicht. Aber problematisch wird es, wo er nicht im Ansatz erkennen lässt, dass ihn das Schicksal der Kinder beschäftigt, aus deren Bildern er Lustgewinn gezogen hat.
Legal, illegal oder ganz egal - diese Vereinfachung fällt hinter die öffentliche Debatte zurück, die spätestens nach den jüngsten Skandalen um den sexuellen Missbrauch Minderjähriger eingesetzt hat. Gegen all die Schein-Ausflüchte - von der "Knabenliebe" der alten Griechen bis zur angeblichen Befreiung einer durch Prüderie gehemmten vorpubertären Sexualität - zeichnet sich ein Konsens ab: Im sexuell konnotierten Verhalten Erwachsener gegenüber jungen Menschen geht es vor allem um Macht. Die Ausnutzung eines Machtgefälles beginnt aber weit vor jeder Sanktion durch das Strafrecht. Also müssen auch Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung deutlich früher einsetzen.
Bloßes Pochen auf Recht
Diesen Anspruch unterläuft Edathy, indem er so tut, als würde Sexualität erst dann zum Problem, wenn der Einzelne jenseits der Intimität seines persönlichen Lebenswandels oder seiner Paarbeziehungen mit dem Strafrecht in Konflikt kommt. Wo bleibt in solch grober Vereinfachung der gesamte Bereich nichtkodifizierter Verantwortung, wo bleiben soziale Normen, Konventionen, Alltagsregeln? Wer bloß auf das Recht pocht, verfehlt das Leben.
Edathy macht es nicht nur sich selbst zu einfach. Er bestärkt gerade jene Schwarz-Weiß-Maler, als deren Opfer er sich sieht. Denn die lassen sich bei ihrer Etikettierung jeder Form erotischer Empfindungen für Minderjährige als "pervers" von juristischen Subtilitäten ebenso wenig beeindrucken wie von der Frage nach dem Umgang mit Macht im Erwachsenen-Kind-Verhältnis. Die Basis der Legalität, auf die Sebastian Edathy glaubt, bauen zu können, erweist sich somit erst recht als Treibsand.