Kommoden aller Epochen bewahrt Falkners "X-te Person Einzahl": Auserloren in der gegenwalt
Ende der 80er Jahre entzog Gerhard Falkner sein "Sprachkraftwerk" Dichtung der Öffentlichkeit. "Öffentlichkeit bedeutet Gewaltanwendung" schrieb er 1993 in seinen Aufzeichnungen "Über den Unwert des Gedichts". Es war die endgültige Verweigerung des Dichters, "aus dem wortschatz land (zu) verkaufen": "Der Dichter stirbt aus, weil eine in Pleonexie (Überfluß, d. Red.) verrottende Gesellschaft seine Existenzbedingungen zerstört, die nämlich der Verfeinertheit, eines Gewissens des Ohrs, der Zeit (Muse) für rhythmische Wiederholung, aller Arten von Herzensgüte, Noblesse und Unterscheidungsfähigkeit Man fordert vom Gedicht zunehmend den plakativen Griff, wie ihn die Werbung tut. Wenn sich das Gedicht darauf einläßt, wird es seinen Schwerpunkt ebenso verlieren wie die Werbung ihren Zusammenhang mit ihrem Gegenstand " Nach siebenjährigem Innehalten erscheint nun in der edition suhrkamp ein neuer Gedichtband Falkners unter dem Titel "Xte Person Einzahl" mit neuen Gedichten, vor allem aber mit Destillaten seiner früheren Lyrikbände.Vor einer Verantwortung (und sei es der gegenüber Sprache) vermag sich mancher Zeitgenosse, wenn auch unter Gewissensbissen, davonzustehlen. Wenn jedoch ein Werk von seinem Urheber sagt, er "ist ohne mich verloren, denn ich bin sein gedicht", wird begreiflich, warum er das Versprechen, seiner Dichtung ein Ende zu setzen, nicht vollends einlösen kann. Da er der "gegenwalt" standhalten muß, bleibt ihm nur die Wahl seiner eigenen Mittel. Er muß zwangshaft gegen eine "Vorstellung von Sprache", die "im allgemeine so lausig, wie es ein Blick auf die Uhr als Begriff von der Zeit ist". Denn die "Sprache ist das Licht, das von uns heraus auf die Dinge fällt".Sprache ist demnach eine hoch infektiöse Angelegenheit. Kein noch so ausgeprägter Schutzmechanismus, keine der noch so zahlreichen Antikörper bewahren vor einer immer wieder auftretenden Ansteckung durch dieses sich chamäleonhaft wandelnde Etwas, welches das Sein durchdringt wie ein Laserstrahl dichtes Gewebe."Xte Person Einzahl" scheint ein Widerspruch zunächst allein der Menge, eine Widerrufung der deutschen Grammatik. Der tiefere Grund für die Flucht hinter das Kreuz (das zu tragen der Dichter bereit ist). Ichduersiees sind zu belastet, als daß sie noch in den Zeugenstand treten könnten. Ihre Authentizität ist so echt wie die Nachrichten bei errteellsatteins oder wie war der Name? Alle und alles sind unverwechselbar beliebig geworden. Ich läßt sich durch du, er durch es vertreten, und keiner scheint davon Notiz zu nehmen oder sich sogar einen Reim darauf zu machen bis auf wenige Ausnahmen. Auch eine Mehrzahl bietet keine verläßliche Gesellschaft mehr, wie überhaupt das Wir nur als Fiktion (Gemein)Sinn stiften mußte, ohne daß es je nachweisbar existiert hätte. "gesichter aber:/ absolutes parterre/ gebaut wie cockpits/ im absturz der jahre zerstört". Kein Schutz durch Menge. Insofern ist die EinZahl die einzig verläßliche Größe, die noch zählt. Sie läßt sich weder ersetzen noch vertreten. Denn sie ist einsam, und diese "auserlorenheit" ist kein Tauschwert.Wer Falkners "sprachsperrbezirk" zu übertreten gewillt ist, den erwartet das "jüngste gedicht". Die Schranken schließen sich, sobald man die erste Seite aufgeschlagen hat, und man findet sich wieder inmitten eines magischen Zirkels aus Sprache. Man "möchte sich entfernen/ aber alles ist so in seine nähe/ gerückt daß kein auskommen ist". Falkner geht mit dem Fundus der Wörter wie ein behutsamer Restaurator und kühner Architekt gleichermaßen um. Er bewahrt Kommoden, Schränke, Zierat aller Epochen. Er bearbeitet, verbaut das Wortmaterial zu neuen Behausungen, setzt Erker, Skulpturen, Fluchten in die Landschaft. Ein wahnsinniger Lenne des verwilderten Wörtergartens. (Das Wort wahnsinnig beschwert kein pejoratives Gewicht: WahnSinn bedeutet die Gabe, durch schmerzhaft offene Sinne klar wahr Nehmen zu können.) "Absicht des Gedicht ist es, die Sprache zu sich kommen zu lassen und sich des Dichters für diesen Vorgang zu bedienen." Gerhard Falkner: X-te Person Einzahl. Gedichte. edition suhrkamp, Frankfurt am Main 1996. 140 S., 16,80 DM. +++