Krankenhaus St. Hedwig feiert am Wochenende Geburtstag / Beispielhafter Dienst am Menschen: 150 Jahre Toleranz zum Weitergeben
MITTE Noch steht die heilige Agatha mit verhülltem Haupt im Innenhof des St.-Hedwig-Krankenhauses in der Großen Hamburger Straße. Handwerker und Künstler geben der Statue den letzten Schliff. Am Sonnabend wird der Agatha-Brunnen zum 150. Geburtstag der Klinik eingeweiht.Damit erfüllt die Klinikleitung ein Gelübde vom 28. November 1943. Inmitten des Bombenhagels auf Berlin gelobte Pfarrer Unhold in der Kapelle von St. Hedwig, der Feuerschutzpatronin Agatha eine Statue zu errichten, sollte das Krankenhaus von den Luftangriffen verschont bleiben. Sein Gebet wurde offensichtlich erhört, denn nach dem Krieg gehörte St. Hedwig zu den wenigen Krankenhäusern, die noch funktionstüchtig waren. Doch erst 53 Jahre später konnte das Versprechen erfüllt werden - vorher hatte das Geld nur für eine Mini-Statue gereicht. 21 Ordensschwestern Seit 150 Jahren gilt in St. Hedwig das Motto der Borromäerinnen, die das Hospital ins Leben gerufen haben: Dienst am Menschen. Stets haben sie sich bemüht, geistliche Fürsorge, Pflege und moderne Technik zu vereinen. Heute sind nur noch 21 Ordensschwestern in St. Hedwig, der Rest der knapp 1 000 Mitarbeiter besteht aus weltlichem Personal. Spezialisiert ist die Klinik vor allem auf die Gebiete Innere Medizin, Chirurgie und Urologie; erst im Frühjahr dieses Jahres wurde ein neuer Operationstrakt mit Röntgenabteilung, Anästhesie, Intensivmedizin- und Zentralsterilisation eingeweiht.Der Geist des Ordens ist spürbar geblieben: "Ich habe hier die Toleranz gelernt", erzählt Andreas, Zivildienstleistender im Krankenhaus. Dem stimmen Schülerinnen der 1907 im Haus gegründeten Krankenpflegeschule zu. Jährlich werden hier 50 Krankenschwestern und Krankenpfleger ausgebildet. Auch sie wollen Menschen helfen. In St. Hedwig sei der persönliche Kontakt und die individuelle Betreuung der Patienten noch oberstes Gebot, wissen die Auszubildenden zu berichten. Schließlich betont auch Oberin Schwester Elfrieda Tuska stets: "Wer Hilfe braucht, dem wird geholfen." Keineswegs eine Floskel - vom Obdachlosen, Moslem, Juden bis hin zum Politiker werden alle gleichermaßen betreut. Denn das Quartier um St. Hedwig heißt seit jeher "Toleranzviertel", hier leben Juden und Christen in enger und friedlicher Nachbarschaft. Zur Zeit des Nazi-Regimes wurde St. Hedwig sogar Zuflucht für Verfolgte: Ein Deportationslager grenzte an die Klinik. "Nachts hörten wir die Schreie der Juden", erzählt Schwester Adelgard. Die Mitarbeiter von St. Hedwig sahen dem nicht tatenlos zu: Jüdinnen wurden unter falschen Namen aufgenommen und versteckt, Häftlingen Essen und saubere Wäsche gebracht. Dr. Erhard Lux diagnostizierte angeblich ansteckende Krankheiten bei jüdischen Häftlingen, diese blieben vorerst im Krankenhaus und konnten später fliehen. Zufluchtsort St. Hedwig blieb auch zu DDR-Zeiten Zufluchtsort: Vielen nicht organisierten Jugendlichen und Ausreisewilligen, denen Arbeitsplätze von staatlicher Seite verweigert wurden, fanden hier Ausbildung und Anstellung. Das Krankenhaus blieb unabhängig und wurde von der Caritas finanziell unterstützt - so konnte St. Hedwig durch den Eisernen Vorhang hindurch modernste medizinische Technik aus dem Westen einführen.Mit der Wende mußte das Hospital allerdings umdenken: Das selbständige, behütete Inseldasein mußte einer wirtschaftlich rentablen Struktur weichen. 1995 wurde die Klinik eine GmbH. Trotz Gesundheitsreform und weniger öffentlichen Mitteln sollen die humanitären Grundsätze der Klinik nicht auf der Strecke bleiben. "Hier wird betriebswirtschaftlich organisiert, menschlich gehandelt und Humanität praktiziert", erzählt Geschäftsführer Heinrich Kattenbeck.Im Zuge der Umstrukturierung wurden einige Bereiche wie die Wäscherei geschlossen. An anderer Stelle wird das Krankenhaus renoviert und erweitert. 150 Millionen Mark wird das Bauprojekt kosten, das 1997 beginnen soll. Der Berliner Senat bewilligte allerdings nur knapp 100 Millionen, den Rest muß das Krankenhaus selber aufbringen. "Aber alles Denkbare ist machbar", bleibt Kattenbeck bei seiner Zukunftsvision für das Krankenhaus. Engpässe könnten allerdings künftig bei den Ordensschwestern entstehen. Mit dem Nachwuchs sieht es nicht gerade rosig aus. "Null Komma nichts", geben die Schwestern zu. Doch die Borromäerinnen bleiben zuversichtlich: "Von irgendwoher wird schon Hilfe kommen " +++