Kann Architektur Werte schaffen? Der Deutsche Pavillon in Venedig sagt: Ja!
In Venedig wird im Mai die 18. Architekturbiennale eröffnet. Der Deutsche Pavillon fokussiert auf Recycling und Soziales. Das wirkt so abstrakt wie überfällig.

Für Lesley Lokko, die Kuratorin der diesjährigen Architekturbiennale, stellt der afrikanische Kontinent ein Zukunftslabor dar. Die wohl wichtigste Architekturschau der Welt in Venedig eröffnet dieses Jahr mit dem Thema: „The Laboratory of the Future“, wobei viel Augenmerk auf Afrika liegt. Wohl nicht nur, weil die Effekte von Kolonialismus, Klimakrise und globaler Misswirtschaft dort schon (oder noch) viel sichtbarer sind. Sondern auch, weil es sich um einen demografisch jungen Kontinent handelt – einen Kontinent voller Ideen und, aus europäischer Sicht, schwer nachvollziehbarer Resilienz.
„Hoffnung ist eine mächtige Währung“, kommentiert Lokko das Thema der Architekturbiennale selbst. „Die Vision einer modernen, vielfältigen und integrativen Gesellschaft ist verführerisch, aber solange sie ein Bild bleibt, ist sie eine Fata Morgana. Es braucht mehr als nur eine Darstellung, und Architekt:innen sind die Hauptakteure bei der Umsetzung von Bildern in die Realität.“
Ein Stück konkrete Utopie im Deutschen Pavillon
Ein Stück konkreter Utopie, wie sie sich in diesem Statement vermittelt, wollen auch die Kurator:innen des deutschen Beitrags – das Berliner Architekturmagazin ARCH+ sowie das Architekturbüro Summacumfemmer Juliane Greb – auf dieser 18. Architekturbiennale umsetzen. Ihr Konzept „Open for Maintenance/Wegen Umbau geöffnet“ soll Potenziale für eine nachhaltigere und sozial-inklusive Stadtgestaltung aufzeigen. Themen wie Reparatur, Pflege und Solidarität stehen dabei im Zentrum.
Dies wird schon daran deutlich, dass der Deutsche Pavillon, der im letzten Jahr im Kontext der Kunstbiennale durch Maria Eichhorn sprichwörtlich freigelegt wurde, 2023 nicht wie sonst zurückgebaut, sondern in seinem Ist-Zustand mit einbezogen wird. Eichhorn hatte den Deutschen Pavillon spektakulär aufgebrochen, Putz abgeschlagen und somit all jene Stellen sichtbar gemacht, wo einst die Nazis am Werk waren. Ihre Arbeit war eine Auseinandersetzung mit der in Deutschland immer noch gern übermalten, sprich verdrängten Geschichte.
Mehr noch: Im Sinne des klimafreundlichen Recyclings bedienen sich die Protagonist:innen des deutschen Beitrags dieses Jahr ausschließlich an gebrauchtem Baumaterial aus dem Vorjahr. Etwa einer blauen Styroporsäule der israelischen Künstlerin Ilit Azoulay – und zahlreicher vergleichbarer Objekte, die ansonsten aufwendig als Abfall entsorgt werden müssten und hier jetzt im Werkstattformat bearbeitet, zweckentfremdet und neu erfunden werden.
Dekolonisierung und Dekarbonisierung
Auf der Pressekonferenz fallen wiederholt Stichwörter wie Dekolonisierung und Dekarbonisierung. Man betont, dass der Deutsche Pavillon sich nicht nur auf das Giardini-Gelände beschränke, sondern auch soziale und politische Initiativen vor Ort einbeziehen wolle. Der Hintergrund ist Venedigs voranschreitende Gentrifizierung, für die zweifellos auch die Biennalen mitverantwortlich sind.
Immerhin: Venedig ist eine Stadt, wo Hunderte Wohnungen leer stehen und das, obwohl viele Menschen, die hier seit Generationen leben, sich das Wohnen inzwischen kaum mehr leisten können. Lokale Initiativen, die diese Missstände ansprechen, werden vom Deutschen Pavillon 2023 unterstützt. Seine Akteur:innen wollen die Grenzen und Aufgaben der Disziplin der Architektur dabei auch kritisch hinterfragen. Es ist eine Form der Selbstbefragung, die hochgradig zeitgenössisch und letztlich auch überfällig wirkt. Gleichzeitig aber auch ein bisschen abstrakt. Was genau die Deutschen 2023 in Venedig umsetzen, davon sollte man sich am besten selbst ein Bild vor Ort machen.
Open for Maintenance/Wegen Umbaus geöffnet. Deutscher Pavillon, 18. Architekturbiennale, 20. Mai bis 26. November 2023