Abhöraffäre in Berlin: Redakteur der „taz“ soll Kollegen ausspioniert haben

Köln - Ein Mitarbeiter der Berliner Tageszeitung taz soll über mehrere Jahre hinweg die eigene Redaktion ausspioniert haben. Das berichten das Branchenportal newsroom.de und Welt Online. Demnach soll Chefredakteurin Ines Pohl die Belegschaft bereits am Mittwoch über die Vorgänge in Kenntnis gesetzt haben. Der Kollege soll inzwischen fristlos entlassen worden sein. Seine Motive sind bislang noch unklar.

Nach bisherigem Erkenntnisstand soll der Beschuldigte die Rechner seiner Kollegen mit so genannten Keyloggern überwacht haben. Diese werden wie ein USB-Stick in den Computer gesteckt und zeichnen sämtliche Tastatureingaben des Nutzers auf, darunter auch sensible Daten wie Passwörter.

Vom Techniker überführt

Ein Techniker habe Mitte der Woche einen solchen Keylogger entdeckt und dann gewartet, bis der Besitzer das Gerät wieder abholt, schreibt newsroom.de. Mit Erfolg. Gleichsam im Vorbeigehen, mit einer Zeitung unter dem Arm, habe der Redakteur das Abhörutensil aus dem Computer gezogen. Der Techniker habe ihn zur Rede gestellt, der Beschuldigte wiederum soll alles abgestritten und behauptet haben, bei dem Gerät handle es sich lediglich um einen gewöhnlichen USB-Stick.

Eine erste Analyse soll ergeben haben, dass die Daten mehrerer Mitarbeiter mit Hilfe eines Keyloggers ausgespäht wurden, berichtet Die Welt auf ihrer Onlineseite: Ressortleiter, Redakteure, ehemalige Redakteure, aber auch eine Volontärin und eine Praktikantin.

Nach übereinstimmenden Informationen von Welt Online und dem NDR-Medienmagazin Zapp soll es sich bei dem Mann um den Enthüllungsjournalisten Sebastian Heiser handeln. Heiser hatte in dieser Woche bereits einen fulminanten Auftritt in den Schlagzeilen. Auf seinem privaten Blog heisersstimme.wordpress.com hatte er schwere Vorwürfe gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber „Süddeutsche Zeitung“ erhoben. Er warf der SZ unter anderem vor, Schleichwerbung für Steuerhinterziehung veröffentlicht zu haben. Seine Anschuldigungen untermauerte er mit verdeckten Tonaufzeichnungen aus Redaktionskonferenzen und Einzelgesprächen, die er ebenfalls auf seinem Blog veröffentlichte. Mit seinem Beitrag löste er eine bundesweite medienethische Debatte aus. Rechtsexperten halten Heisers Vorgehen für juristisch fragwürdig.

In der Branche hatte sich Heiser bereits vor seinen "SZ-Leaks" einen Namen gemacht. Das Fachblatt "Medium Magazin" wählte ihn 2010 zum Newcomer des Jahres. Die Jury lobte: "Außergewöhnlich und lobenswert ist seine selbstkritische journalistische Grundhaltung."

Redaktion steht unter Schock

Die taz-Redaktion steht dem Vernehmen nach unter Schock. Ein Spionageangriff aus den eigenen Reihen, damit hatte das linksalternative Blatt wohl kaum gerechnet. Pikanterweise hat sich zudem nur ein Tag nach dem "tazgate" ein Einbruch in die Redaktionsräume des Blatts im Berliner Stadtteil Kreuzberg ereignet. Dabei soll die erste Tür zum Haus aufgebrochen, die zweite, codegeschützte Tür unversehrt geblieben sein. Der Code wiederum sei jahrelang nicht geändert worden und der gesamten Belegschaft bekannt sein, berichtet newsroom.de.

Heiser ist mittlerweile abgetaucht, für eine Stellungnahme ist er nicht zu erreichen. Auch die taz will sich öffentlich nicht äußern. Am Freitagmorgen soll die Chefredaktion mit der Geschäftsführung zu einer Krisensitzung zusammengekommen sein. Am kommenden Montag soll eine zeitungsinterne Anhörung stattfinden, zu der der beschuldigte Mitarbeiter eingeladen ist. (ccp)