Cancel Culture: Warum ein schwarzer Marxist unter Linken nicht sprechen darf

Der amerikanische Politologe Adolph Reed wollte bei einem linken Verein in New York über die Klassenfrage sprechen. Doch er wurde wieder ausgeladen. Ein Fall von Cancel Culture?

Der Professor Adolph Reed von der University of Pennsylvania, USA
Der Professor Adolph Reed von der University of Pennsylvania, USAFoto: University of Pennsylvania/Eric Sucar

New York-Adolph Reed, 73, ist nicht nur Politologe, er ist auch Marxist. Die aktuellen Konflikte in den USA, wie etwa die Polizeigewalt gegen Schwarze und People of Colour, liest er durch seine marxistische Brille und sieht sie als Resultat des neoliberalen Klassenkampfes. Es gehe vor allem um ein „Oben gegen Unten“ und nicht so sehr um „Weiß gegen Schwarz“. Gäbe es eine gerechtere Welt, wo die Produktionsbedingungen nicht allein den Marktmechanismen unterlägen, gäbe es auch keinen Rassismus und keine Diskriminierung mehr.

So jedenfalls die streitbare, aber nicht besonders kühne Hypothese. Doch in der aufgeheizten Stimmung in den USA reicht eine solch unverfängliche Lesart schon aus, um zur Zielscheibe von Gesinnungstätern zu werden – und dann noch ausgerechnet im eigenen Lager. Adolph Reed hat nämlich linke Mitstreiter provoziert, die seine Auslegung amerikanischer Polizeigewalt für derart inakzeptabel halten, dass sie einen Vortrag des Professors verhinderten. Eigentlich hätte Adolph Reed bei einem Treffen der Democratic Socialists of America in New York City sprechen sollen. Daraus wird wohl nichts werden.

Adolph Reed spürt Regeln der Empörung

Die These des Vortrags hätte zu seinen anderen Standpunkten gepasst: dass der Fokus auf die Hautfarbe - etwa bei Covid-19-Kranken, unter denen überproportional viele Schwarze sich befinden - das eigentliche Ungleichheitsproblem in den USA verfehle: die ökonomischen Verhältnisse. Würde die Linke, so der Umkehrschluss, sich nicht bei identitätspolitischen Fragen aufhalten, sondern den Klassenunterschied aller Proletarier und ökonomisch marginalisierter Gruppen in den Fokus nehmen, gäbe es mehr Einheit, mehr Kraft im Klassenkampf. Nicht die Hautfarbe sei in den Unterdrückungsmechanismen entscheidend, sondern die ungerechten Regeln der Konsumgesellschaft. 

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Afroamerikanische Gruppen protestierten und erreichten eine Absage der Veranstaltung. Adolph Reed sieht sich missverstanden. Die Regeln der Empörung machen vor niemandem Halt.