Berlin-Es waren schwere Vorwürfe, die die Wochenzeitung „Die Zeit“ Ende Januar 2020 gegen den ersten Berlinale-Chef Alfred Bauer erhob: Er sei ein wichtiger Funktionär der NS-Kulturbürokratie gewesen. Die Berlinale setzte umgehend die Verleihung des Alfred-Bauer-Preises aus und beauftragte noch im Februar das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München, Bauers Position in der NS-Filmbürokratie näher zu untersuchen. Nun liegen die Ergebnisse der Studie vor. Sie bestätigt, dass Bauers Rolle in der Reichsfilmintendanz bedeutender war als bisher bekannt und von ihm nach 1945 systematisch verschleiert wurde.
Die von dem Historiker Tobias Hof im Auftrag des IfZ erstellte Studie zeigt, dass Bauer sich der bedeutenden Rolle der durch Reichspropagandaminister Joseph Goebbels geschaffenen Reichsfilmintendanz im Propaganda-Apparat der NS-Herrschaft sehr bewusst gewesen sein muss. Seine Aufgabe dort habe zum Funktionieren, zur Stabilisierung und Legitimierung der NS-Herrschaft beigetragen. Bauer schloss sich zudem schon ab 1933 verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen an, 1937 wurde er Mitglied der NSDAP.
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Weiter legt die Studie offen, dass Bauer während seines Entnazifizierungsverfahrens durch Falschaussagen, Halbwahrheiten und Behauptungen seine Rolle im NS-Regime zu verschleiern versuchte. Und mehr noch: Er nutzte die chaotischen Zustände im Berlin der Nachkriegszeit aus, um sich das Image eines überzeugten, sogar aktiven Gegners des NS-Regimes zu konstruieren. Auch wenn es viele ähnliche Fälle gebe, so steche doch die Penetranz und Dreistigkeit von Bauers Vorgehen hervor, so Hof. „Sie offenbaren Bauers ehrgeizigen, fast schon skrupellosen Opportunismus.“ Nach der erfolgreich absolvierten Entnazifizierung schlug er dem damaligen Oberbürgermeister von Berlin Ernst Reuter die Etablierung eines jährlichen Filmfestivals vor. 1951 fand die erste Berlinale statt, Bauer leitete sie bis 1976.
Die Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek nennt die neuen Erkenntnisse bestürzend. „Sie sind aber ein wichtiges Element in der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Kulturinstitutionen, die nach 1945 gegründet wurden. Es stellt sich daher die Frage, welche personellen Kontinuitäten die deutsche Kulturszene in den Nachkriegsjahren prägten.“ Durch die neuen Kenntnisse verändert sich auch der Blick auf die Gründungsjahre der Berlinale. Die IfZ-Studie weise zudem darauf hin, dass es noch zahlreiche Forschungslücken bei der historischen Betrachtung der Nachkriegs-Filmbranche gebe.