Anja Rützels Kolumne: Verdächtige Grundverstrubbeltheit
Fynn Kliemann wird als Rosstäuscher entlarvt, Mel B. geadelt, und Kim Kardashian schrumpft sich in ein Kleid von Marilyn Monroe: die Woche auf dem Boulevard

Frau Rützel, wer hat Sie diese Woche wütend gemacht?
Es ist wenig originell, weil ich diesen Zorn mit vielen anderen Menschen teile – aber ich habe mich natürlich auch sehr über Fynn Kliemann aufgeregt, den schraubefrohen Wuschelunternehmer, Musiker, Maler und augenscheinlich auch wahrheitsflexiblen Maskenverkäufer. Nach Informationen von Jan Böhmermann und seinem Team von „ZDF Magazin Royale“ ließ Kliemann den Mund-Nasen-Schutz, den er zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 millionenfach verkaufte, nämlich nicht – wie beworben – fair und nachhaltig in Portugal produzieren, sondern in Bangladesch und Vietnam. Außerdem soll er eine fehlerhafte Charge als Spende an Flüchtlinge entsorgt haben. Alles wirklich sehr unangenehm und für seine Fans extrem ernüchternd. Ich fand seine Musik glücklicherweise immer schon schlimm und seine patentierte Grundverstrubbeltheit mindestens verdächtig.
Eine wie immer erfreulich exaltierte Ablenkung von menschlichen Enttäuschungen bot vergangene Woche die Met-Gala, der alljährliche Benefizball des Metropolitan Museum of Art in New York. Wen fanden Sie am besten ausstaffiert?
Es tut mir leid, auch das ist jetzt wieder eine mehrheitsfähige Meinung, aber: Ich fand Blake Lively besonders toll. Sie kam in einer schleppenintensiven Versace-Robe, die ihre Farbe wechseln konnte und sich von einem Kupferton in Richtung Türkis verfärbte, was man als Hommage an die im Laufe der Zeit verfärbte Patinaschicht auf kupfernen Häuserelementen lesen kann, wie man sie auch oft in New York sieht. Das fand ich persönlich spannender als den Umstand, dass sich Kim Kardashian in drei Wochen sieben Kilo abhungerte, um in das Originalkleid von Marilyn Monroe zu passen, das diese 1962 bei ihrem Geburtstagsständchen für John F. Kennedy trug. Sich derart brachial in ein Kleid zu schrumpfen, das ist für mich eine Idee, die sehr aus der Zeit gefallen ist.
Was viel besser passt: reiche, berühmte Menschen, die ihre Position und Macht nützen, um sich für wichtige Themen einzusetzen, wie es Leonardo DiCaprio für den Klimaschutz tut.
Darum wurde er vergangene Woche öffentlich vom brasilianischen Präsidenten angegriffen, denn Jair Bolsonaro wollte sich von DiCaprio nicht so gerne für die Zerstörung des Regenwaldes kritisieren lassen. Der Schauspieler hatte über die ökologische Bedeutung des Amazonasgebietes getwittert und vor allem die jungen Menschen in Brasilien aufgefordert, im Oktober zur Wahl zu gehen. Der Politiker hatte ihm darauf beschieden, er solle einfach „den Mund halten“, weil Umweltschutz in erster Linie den wirtschaftlichen Fortschritt seines Landes behindere und die Welt ohne die brasilianische Agrarindustrie Hunger leiden müsste. Es ist gerade wirklich nicht einfach mit immer mehr immer unerträglicheren Menschen, so viele wilde Kleider kann man sich gar nicht anschauen.

Dann noch schnell ein wohltätiger Promi hinterher: Spice Girl Mel B. wurde jetzt vom britischen Königshaus für ihren Einsatz gegen häusliche Gewalt geehrt. Da muss ihnen doch mindestens als Royalistin kurz das Herz aufgehen.
Sogar doppelt, denn natürlich liebe ich auch die Spice Girls, und selbstverständlich kann ich all ihre Beinamen wie „Scary Spice“, „Ginger Spice“ und so weiter auch noch nach mehreren Schnäpsen korrekt und ohne Stocken zuordnen. Prinz William überreichte Melanie Brown – so viel Zeit muss bei einem solch würdevollen Anlass sein – als Schirmherrin von Women’s Aid den Orden mit dem schönen Namen „Member of the Most Excellent Order of the British Empire“. William habe sie dabei gefragt, ob sie die Spice Girls wieder zusammenbringen könnte, und ich bin froh, dass Großbritannien einen zukünftigen König hat, der mit dem Herzen so nah an den wichtigsten Wünschen seines Volkes ist.
Was macht eigentlich Helene Fischer?
Wie meistens weiß man es nicht ganz genau, aber eventuell ist ihr Browserverlauf seit einigen Tagen voll mit Suchanfragen wie „Marylin Monroe alte Kleider wie teuer“ – irgendwas muss sie bei ihren nächsten Konzerten ja anziehen.
Die Fragen stellte Christian Seidl
Anja Rützel ist freie Autorin und schreibt vor allem über Fernsehen und Tiere. Für die Berliner Zeitung am Wochenende beobachtet sie die wunderliche Welt der Promis.